# taz.de -- Debatte Sarrazin: Nein zum Salonrassismus
       
       > Wie viel Toleranz legen wir gegenüber der Intoleranz an den Tag? Der Fall
       > Thilo Sarrazin markiert da eine Zäsur, mit der sich viele schwertun.
       
 (IMG) Bild: Brauchtum aus dem Paralleluniversum der Bajuwaren.
       
       Als sich der Imam Yakup Tasci in einer Predigt in der Mevlana-Moschee in
       Berlin-Kreuzberg im November 2004 abfällig über Deutsche äußerte, hatte das
       Folgen. Denn ein Kamerateam des ZDF war vor Ort und strahlte seine Rede
       später in Auszügen aus. Unter anderem hatte Tasci die "mangelnde
       Nützlichkeit der Deutschen" beklagt und behauptet, ihr Schweiß verbreite
       "einen üblen Geruch", weil sie sich zu selten waschen würden. Als seine
       Hasspredigt publik wurde, suspendierte ihn sein Verband, die Islamische
       Föderation, umgehend von allen Ämtern.
       
       Doch damit enden die Parallelen zum Fall Sarrazin. Denn die Berliner
       Ausländerbehörde nahm diese Predigt und eine andere Hetzrede zum Anlass,
       den damals 59-jährigen Imam des Landes zu verweisen. Nach 34 Jahren, die er
       in Deutschland verbracht hatte, musste er deshalb 2005 seine Koffer packen.
       Keine Zeitung nannte dies, wie jetzt die Welt mit Blick auf Thilo Sarrazin,
       einen "Exorzismus" oder startete, wie Bild, gar eine "Kampagne für die
       Meinungsfreiheit". Und auch der Berliner SPD-Innensenator Ehrhart Körting
       sprach damals nicht vor einer "Hexenjagd". Im Gegenteil: Körting begrüßte
       die Ausweisung des Imams damals ausdrücklich.
       
       Man kann daraus den Schluss ziehen, dass es in Deutschland einen großen
       Unterschied macht, wer hier über wen herzieht: Während gegenüber
       islamistischen Maulhelden gerne klare Kante gezeigt wird, hat die deutsche
       Öffentlichkeit gegenüber dem Salonrassismus eines Thilo Sarrazin lange Zeit
       einen bemerkenswerten Gleichmut an den Tag gelegt. Schließlich durfte der
       Bundesbank-Vorstand seine kruden Thesen, die er schon voriges Jahr in einem
       Interview dargelegt hatte, noch zum Buch ausbauen, bevor man die Geduld mit
       ihm verlor.
       
       Verunsicherte Mittelschichten 
       
       Dass die Politik nun entschlossen gehandelt und damit ein Zeichen gesetzt
       hat, markiert eine Zäsur. Merkel, Gabriel & Co sehen sich nun aber damit
       konfrontiert, dass Sarrazins Thesen gerade in der verunsicherten
       Mittelschicht viele Sympathien genießen. Teilweise ist diese Verunsicherung
       verständlich: Die deutsche Gesellschaft befindet sich im tiefgreifenden
       Wandel, das Straßenbild ganzer Stadtteile hat sich verändert, selbst in der
       Philharmonie trifft man heute auf Frauen mit Kopftuch. In den
       bildungsbürgerlichen Parallelgesellschaften der Bundesrepublik, wo man kaum
       Kontakt zu Migranten pflegt und sich bestenfalls eine polnische Putzfrau
       hält, sorgt das für Irritationen. Mit seiner nostalgischen Beschwörung der
       alten Bundesrepublik bedient Sarrazin nostalgische Sehnsüchte nach einer
       Vergangenheit, die so nie existiert hat.
       
       Auffällig ist, dass die Debatte um die Integration von Migranten gerade
       jetzt so eskaliert, wo deren Erfolge sichtbar werden. Die Zahl der
       arrangierten Ehen lag in den Achtzigerjahren weit höher als heute, auch
       migrantische Jugendgewalt gab es damals schon. Erfolgsbiografien von
       Einwanderern dagegen waren rar gesät, stattdessen erzählte Günter Wallraff
       in seinem Bestseller "Ganz unten" vom Elend der türkischen Ex-Gastarbeiter.
       Doch je näher diese der deutschen Mittelschicht seitdem gekommen sind,
       desto mehr rückt diese von ihnen ab.
       
       Lust an der Schwarzmalerei 
       
       Dabei ist Deutschland, anders als Frankreich oder die USA, von
       "Rassenunruhen" bisher verschont geblieben, und echte "Ghettos" gibt es
       hierzulande auch nicht - nicht einmal Berlin-Neukölln lässt sich mit
       französischen Trabantenstädten oder den Armenvierteln der USA vergleichen.
       Woher rührt also die deutsche Lust an der Schwarzmalerei?
       
       Zwar liegt Sarrazin ja durchaus richtig mit seiner Beobachtung, dass fast
       alle westeuropäischen Länder Probleme mit Immigranten aus muslimischen
       Ländern haben. Der Blick auf andere Einwanderungsländer wie die USA und
       Kanada zeigt aber, dass diese Probleme nur wenig mit dem Islam zu tun
       haben. Bildungsferne und Arbeitslosigkeit, familiäre Gewalt und
       Jugendkriminalität sind klassische Probleme der Unterschicht. In den USA
       aber zählen die muslimischen Einwanderer zur Mittelschicht, während die
       Unterschicht überwiegend schwarz oder hispanisch geprägt ist.
       
       Paralleldebatten in den USA 
       
       Entsprechend unterscheiden sich die politischen Debatten. Zwar gab es auch
       in den USA mal den Versuch, den fehlenden sozialen Aufstieg einer
       Minderheit auf deren angeblich mangelnde Intelligenz zurückzuführen. "The
       Bell Curve" hieß das Machwerk zweier US-Wissenschaftler aus dem Jahre 1994,
       das in den USA eine erregte Debatte um Rassismus und soziale Segregation
       provozierte. Aus Studien, die schwarzen US-Amerikanern im Schnitt einen
       etwas niedrigeren IQ als Weißen attestierten, folgerten die
       Harvard-Forscher Charles Murray und Richard Herrnstein, man solle keine
       Hilfe mehr an ledige Mütter auszahlen, weil dies weniger intelligente
       Frauen dazu animieren würde, mehr Kinder zu bekommen. Es fällt nicht
       schwer, darin die Blaupause für Sarrazins Thesen über Muslime zu sehen.
       
       Ein anderes Buch, das Parallelen zu Sarrazins Besteller aufweist, ist
       Samuel Huntingtons Anti-Multikulti-Manifest "Who Are We?" aus dem Jahr
       2004. Auch der neokonservative Harvard-Politologe fürchtet sich vor der
       Überfremdung seiner Heimat. Allerdings ist es bei ihm der fehlende
       Anpassungswille der Latino-Einwanderer, der in seinen Augen eine Gefahr für
       die weiße, protestantische und angelsächsische Mehrheitskultur seines
       Landes darstellt.
       
       Es ist unübersehbar, dass die Unterschicht in Deutschland heute
       multiethnisch geworden ist. Es trägt aber wenig zur Lösung ihrer Probleme
       bei, wenn man diese allein auf Fragen der Ethnie oder der Religion
       reduziert. Und es mag ja sein, dass sich Henryk Broder geschmeichelt fühlt,
       wenn ihm Thilo Sarrazin qua Gen eine höhere Intelligenz als Necla Kelek
       bescheinigt. In einer pluralistischen Gesellschaft braucht es aber nicht
       nur verbindliche Spielregeln, wie sich Einwanderer und Alteingesessene zu
       verhalten haben. Sondern auch, welche Meinungsäußerungen noch akzeptabel
       sind - und welche nicht. Die Affäre Sarrazin hat da für mehr Klarheit
       gesorgt. Erstaunlich ist jetzt nur die Wehleidigkeit all jener, die sonst
       gerne über "zu viel Toleranz gegenüber der Intoleranz" lamentieren. DANIEL
       BAX
       
       5 Sep 2010
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Daniel Bax
       
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