# taz.de -- Kommentar Rechtspartei: Schwarzes Loch rechts außen
       
       > "Das wird man ja wohl sagen dürfen" – Bild geriert sich als Kämpferin für
       > Meinungsfreiheit. Und testet aus, ob die Zeit reif ist für eine
       > chauvinistische Partei jenseits der CDU.
       
       Was wir gegenwärtig in der öffentlichen Debatte erleben, ist ein
       diskursiver Dammbruch. Ganz egal, ob es tatsächlich zu einer neuen
       Rechtspartei kommen wird, potentiell und mental ist diese
       Rechtskonstellation schon vorhanden. Dass jeder Fünfte heute eine
       Sarrazin-Partei wählen würde, hat die politische Landschaft bereits jetzt
       massiv verändert. Das Vakuum auf der Rechten wirkt anziehend wie ein
       schwarzes Loch auf die Parteien und verschiebt ihre Positionen sukzessive
       nach rechts.
       
       Wie dies geschieht, konnten wir in den letzten Tagen erleben - von der
       heißgestrickten, rechtlich höchst zweifelhaften Neuregelung der
       nachträglichen Sicherungsverwahrung über das Umfallen Angela Merkels
       gegenüber der Atomlobby bis zu den hektischen Integrationsvorschlägen durch
       Sanktionsverschärfungen.
       
       Der Boulevard greift an 
       
       Was sich, ausgelöst durch den Fall Sarrazin, derzeit auftut, ist eine neue
       virtuelle Sammlungsbewegung parteiübergreifender Art, die Mitglieder aller
       Parteien erfasst. In besonderem Maße sind die beiden Volksparteien von
       diesem Sog nach rechts betroffen, aber nicht minder, wen wunderts, auch die
       Linkspartei, deren Klientel schon immer rechtspopulistischen Tönen
       gegenüber empfänglich war. Und mit der Bild-Zeitung hat diese angeblich
       "schweigende Mehrheit" gegen die "abgehobenen Parteien" ihr Sprachrohr
       gefunden. Tatsächlich war der "Fall Sarrazin" von Anfang an auch ein "Fall
       Bild".
       
       Eine Woche lang, mit täglich einer ganzen Seite, machte sich Bild Sarrazins
       Positionen zu eigen. Man kann mit Fug und Recht behaupten, dass das
       Verhältnis von Medium und Autor ganz gezielt umgedreht wurde. Nicht Bild
       war primär Medium für Sarrazin, sondern Sarrazin wurde zum Medium für Bild,
       um mit seiner Hilfe endlich mal all das rauszulassen, was man sich selbst -
       bisher - nicht zu sagen traute. Und um mit Sarrazin als Testballon
       auszuprobieren, was in diesem Lande alles möglich ist.
       
       "Das wird man ja wohl noch sagen können", lautete am vergangenen Samstag
       der ganzseitige Aufmacher. Und was man von nun an wird sagen können - und
       offenbar auch sagen will, folgte gleich darunter: "Kinderschänder gehören
       für immer weggesperrt"; "Ausländer, die sich nicht an unsere Gesetze
       halten, haben hier nichts zu suchen"; "Auf den Schulhöfen muss Deutsch
       gesprochen werden"; "Nicht wir müssen uns den Ausländern anpassen, sondern
       sie sich uns!" und so weiter, und so weiter. An diesen Ton werden wir uns
       von nun an gewöhnen müssen. Denn all das wird legitimiert durch den
       selbsterklärten Anspruch der Bild-Zeitung, die Stimme "des Volkes" zu sein.
       
       "Junge Freiheit" ist überrascht 
       
       Allerdings steckte hinter der Sarrazin-Offensive von Anfang ein
       weitergehendes Kalkül. Bereits Ende Juli stellte Michael Backhaus,
       Chefredakteur der Bild am Sonntag, in einem Leitkommentar fest: "Die Union
       von Angela Merkel und Horst Seehofer lässt reichlich Raum für eine neue
       konservative Kraft. Was CDU, CSU und auch die FDP an Wählerpotenzial
       verspielt haben, reicht locker aus, um zwei Parteien über fünf Prozent zu
       bringen." Und zum Abschluss seines Artikels zog der BamS-Chef süffisant
       blank: "Und was ist, wenn Friedrich Merz im CDU-Trümmerland NRW einen
       eigenen Verein aufmacht, unterstützt von Wolfgang Clement? Dann wäre
       schnell Feuer unter dem Dach der Union!"
       
       Massiver Druck von ganz weit rechts - das war ganz offensichtlich bereits
       da das eigentliche Anliegen der Bild-Zeitung. Was selbst die Junge Freiheit
       überrumpelte: "Dieses Potential existiert seit Jahren. Dass das ganze aber
       thematisiert und nicht totgeschwiegen wird - das ist schon überraschend."
       
       Und wie schnell dieser Druck verfängt, haben wir in den letzten Tagen
       erlebt. Bild treibt die Parteien erfolgreich vor sich her, da diese weder
       willens noch in der Lage sind, selbst eine klare Position einzunehmen oder
       gar zu verteidigen.
       
       Dieses politische Kesseltreiben wird nun munter weitergehen, da mit
       Sarrazin als "Märtyrer der Meinungsfreiheit" genau jenes noch fehlende
       missing link gefunden ist, um weit mehr als den ganz rechten Rand
       anzusprechen - und damit massiv Stimmung gegen eine moderate
       Integrationspolitik zu machen. Mit Sarrazins Kampf gegen die
       "Schauprozesse" von SPD und Bundespräsident sind die Themen der nächsten
       Monate bereits gesetzt. Die Bild-Protestbriefkampagne folgte auf den Fuß.
       "APO kann die andere Seite auch", jubiliert denn auch bereits Springers
       Welt. 
       
       Kabinett des Schreckens 
       
       Problemlos könnte man jedoch noch einen Schritt weiter gehen und als
       verschärfte Drohkulisse eine virtuelle Bundesregierung aus den rechten
       Bild-Lieblingen basteln: mit Finanzminister Merz für die versprochene
       Minimalsteuer und als Wirtschaftsminister Bild-Kolumnist Clement. Dazu für
       "null Toleranz" einen Innenminister Roland Koch, der bereits an den
       Druckfahnen seines neuen Buches sitzt. Fehlt nur noch Alice Schwarzer, die
       derzeit für Bild im Fall Kachelmann berichtet und nebenbei noch ihre
       neueste Philippika gegen das Kopftuch als Kriegsflagge des Islam
       fertigstellt - alsbald exklusiv in Bild. Und all das flankiert von
       Bildungs- und Desintegrationsminister Sarrazin.
       
       Seit Franz Josef Strauß war es stets oberstes Prinzip der Union, ein
       nennenswertes Potential rechts von ihr zu verhindern. Das ist gescheitert
       und wird auf keinen Fall ohne Wirkung bleiben. Da insbesondere die
       Volksparteien kaum in der Lage sind, wirksame programmatische Gegendiskurse
       zu inszenieren, stehen sie den periodischen Aufwallungen von "Volkes
       Willen" durch den Boulevard hilflos gegenüber.
       
       Und so sehr auch der Innenminister derzeit versucht, die Wogen in der
       Migrationsdebatte zu glätten, es ist nur eine Frage der Zeit, wann der
       erste Politiker auf den rechtspopulistischen Zug aufspringen wird. Längst
       schielen besonders jene auf die heimatlosen zwanzig Prozent am rechten
       Rand, die ihrerseits in der Krise sind. Warum hört man eigentlich so wenig
       Protest gegen Sarrazins Thesen aus Bayern? Warten wir's ab. Und machen wir
       uns derweil auf einiges gefasst.
       
       9 Sep 2010
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Albrecht von Lucke
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
 (DIR) Steinbachs Rückzug aus CDU-Führung: "Ich stehe immer mehr allein"
       
       Nach ihren auch in der CDU umstrittenen Äußerungen zur deutschen
       Kriegsschuld hat Erika Steinbach angekündigt, sich aus der CDU-Führung
       zurückzuziehen – nicht ohne Warnung an die Partei.
       
 (DIR) De Maiziere gegen Alarmismus: Migrantische Lehrer gesucht
       
       Alarmismus sei nicht hilfreich, die bestehenden Programme müssten ausgebaut
       werden, sagt Thomas de Maizière. Man brauche deutlich mehr Lehrer mit
       Migrationshintergrund.
       
 (DIR) Debatte Sarrazin: Rassismus aus der Mitte
       
       Sarrazins Rassismus repräsentiert nicht die Ränder der Gesellschaft,
       sondern die gutbürgerliche Gesellschaft in der Mitte. Muslimfeindlichkeit
       ist für sie normativ.