# taz.de -- Wahl in Taliban-Gebiet: Afghanistan sucht das Super-Parlament
       
       > In der Provinz Logar haben die Taliban das Sagen. Sie warnen die
       > Stimmberechtigten davor, am Samstag zur Wahl zu gehen. Rund 1.000
       > Wahllokale bleiben geschlossen.
       
 (IMG) Bild: Die Wahlboxen auf dem Weg in die Wahllokale.
       
       KABUL taz | Der Gouverneur legt sich ins Zeug: „Geht alle zur Wahl“, ruft
       er in die Menge. Einer der Männer mit schwarzem Bart und schwarzem Turban
       springt auf, um den Governeur hochleben zu lassen. „Gott ist groß, Allah u
       akbar“, erwidert die Menge von Dorfältesten und Honoratioren, die sich im
       modernen Gemeindezentrum in Mohammed Agha in der Provinz Logar versammelt
       haben.
       
       Die Provinz liegt nur etwa 60 Kilometer von der Hauptstadt Kabul entfernt,
       doch es ist ein gefährlicher Ort in Afghanistan. Die aufständischen Taliban
       haben hier inzwischen das Sagen. Vor vier Jahren haben die
       radikal-islamischen Kämpfer damit begonnen, das Gebiet unter ihre Kontrolle
       zu bringen. Der letzte Governeur der Provinz starb 2008 bei einem
       Bombenanschlag vor seinem Haus.
       
       Am Samstag sollen die Menschen in Logar ein neues Parlament für Afghanistan
       wählen, doch mit Flugblättern, die nachts verteilt werden, warnen die
       Taliban die Bevölkerung zur Wahl zu gehen. Im Juli wurde hier ein
       Ladenbesitzer von einem vorbeifahrenden Motorradfahrer erschossen, weil er
       ein Wahlplakat vor seinem Geschäft aufgehängt hatte.
       
       Der neue Gouverneur beschwört die Versammlung: „Unsere Provinz braucht
       einen Vertreter im Parlament in Kabul“. Alle stimmen begeistert zu.
       
       Die in Logar stationierten US-Streitkräfte haben das Treffen organisiert.
       Die Parlamentswahl gilt als Test für die demokratische Entwicklung des
       bettelarmen Landes, in dem die Nato seit fast neun Jahren einen Krieg gegen
       die aufständischen Taliban führen.
       
       Schon die Präsidentenwahl im vergangenen Jahr war von Gewalt, Anschlägen
       und massenhaftem Wahlbetrug geprägt gewesen. Wenige glauben, dass es
       diesmal besser wird.
       
       In Gebieten wie Logar haben die Taliban ihren Einfluss ausgebaut. „Schon in
       Kabul gehen nur wenige Leute überhaupt zur Wahl – von Logar ganz zu
       schweigen“, sagt Bashir, ein junger Mann in Kabul, dessen Familie aus Logar
       stammt. Seit drei Jahren war er nicht mehr dort, weil er Angst hat,
       entführt oder getötet zu werden.
       
       Die Unabhängige Wahlkommission hat bekannt gegeben, dass wegen
       Sicherheitsbedenken über 1.000 Wahllokale im Land nicht geöffnet werden
       können. Die Menschen dort haben keine Chance irgendwo anders wählen zu
       gehen.
       
       Etliche Afghanen sind zudem in den letzten Jahren aus der Provinz in die
       Hauptstadt Kabul geflohen, weil ihre Heimat zu unsicher wurde. Auch sie
       können ihre Stimme nicht abgeben, weil sie in Kabul nicht als Wähler
       registriert sind. Es wird einfach sein, in so unsicheren Gegenden die
       Wahlurnen mit gefälschten Stimmzetteln zu füllen, weil es kaum jemand
       nachprüfen kann.
       
       „Es gibt keinen Anlass, anzunehmen, dass es weniger Betrug geben wird“,
       sagt Martine von Bijlert von „Afghanistan Analysts Network“, einer
       unabhängigen Studiengruppe in Kabul. „Viele Kandidaten sind zum Schluss
       gekommen, dass sie keine Chance haben zu gewinnen, wenn sie den Prozess
       nicht manipulieren“.
       
       "Ich bin froh, wenn die Wahl zu 60 Prozent fair ist“, sagt Shukria
       Barakzai, eine Frauenrechtlerin, die seit 2005 im Parlament sitzt. Diesmal,
       so denken Beobachter, könnte der Betrug eher noch weit reichendere Formen
       annehmen, weil es einfach mehr Kandidaten gibt als zur
       Präsidentschaftswahl.
       
       Zur Abstimmung um die 249 Sitze in der Volksvertretung treten rund 2.500
       Afghanen an. Die Mischung ist bunt: das Spektrum reicht von der
       Olympia-Sprinterin bis zum den notorischen Kriegsherren, die mit ihrer
       Privatmiliz den starken Mann in ihrem Gebiet stellen. In Kabul, wo sich
       über 500 Menschen haben aufstellen lassen, erscheint der Wahlkampf manchmal
       ein wenig wie die TV-Casting-Show: „Afghanistan sucht den Super-Star“.
       
       Viele seien für das Amt wirklich nicht geeignet, klagt die Abgeordnete
       Barakzai. Zudem wissen nur wenige Afghanen, wofür ein Parlament gut sein
       soll. Eine Aufklärungskampagne im Fernsehen versucht der Bevölkerung zu
       vermitteln, dass die Volksvertretung weder für den Bau einer neuen
       Dorfstraße noch für einen neuen Brunnen zuständig ist. In Gegenden wie
       Logar wird das nur schwer zu begreifen sein.
       
       17 Sep 2010
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Agnes Tandler
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
 (DIR) Wahlen in Afghanistan: Männer stimmen für ihre Frauen ab
       
       Wahlbeobachter berichten bei den Parlamentswahlen in Afghanistan von
       erneuten Fälschungen. Auf dem Land können Frauen nur selten wählen.
       
 (DIR) Wahlkampf in Afghanistan: Chaotisch, umkämpft und manipuliert
       
       Am Samstag wählen die Afghanen ihr Parlament. Der Einsatz ausländischer
       Soldaten und Gespräche mit den Taliban waren kein Thema im Wahlkampf.