# taz.de -- Wahlen in Afghanistan: Männer stimmen für ihre Frauen ab
       
       > Wahlbeobachter berichten bei den Parlamentswahlen in Afghanistan von
       > erneuten Fälschungen. Auf dem Land können Frauen nur selten wählen.
       
 (IMG) Bild: Sie haben gewählt: Afghanen zeigen in Kabul ihren in den Wahllokalen blau gefärbten Finger.
       
       GARDEZ taz | Eine einzige Stimme steckte am Ende des afghanischen
       Wahlsonnabends in der für Frauen bestimmten Urne der Tera-Schule von
       Gardez. Sie kam von Dschamila Jussufsai, die sich im örtlichen Büro der
       Unabhängigen Menschenrechtskommission um Kinderrechte kümmert, aber von
       auswärts stammt.
       
       Als die Paschtunin mit der kleinen Tätowierung auf der Stirn hörte, dass
       dort überhaupt keine Frauen zur Wahl gingen, habe sie beschlossen, dort
       abzustimmen, erzählt sie: "Es wäre eine Schande, wenn diese Urne leer
       geblieben wäre."
       
       Tera liegt am Rande der südostafghanischen Provinzstadt, und schon hier am
       Übergang von der urbanen zur ländlichen Zone haben afghanische Frauen es
       schwer, ihre Rechte auszuüben. Einer von zwei Ältesten vom Stamm der
       Ahmadsai, die die Urne bewachten, erklärte, warum: "Die Verfassung ist das
       eine, Scharia das andere." Die Betonung legte er auf das Letztere.
       
       Die Tera-Schule war nur eines von dreien (unter insgesamt 127) Wahllokalen
       in der Provinz Paktia, in dem Frauen tatsächlich zum Wählen kamen. Überall
       sonst stimmten Stammesälteste en bloc im Namen "ihrer" Frauen ab. Das
       bestätigt Abdul Wakil Nasiry, einer der hiesigen Koordinatoren der
       afghanischen Wahlbeobachter. Und selbst dort habe weibliches Personal
       mithilfe gefälschter leerer Wahlkarten zusätzliche Stimmen in die Urnen
       geschmuggelt, so Augenzeuge Ibrahim Hamim von der Beschwerdekommission.
       
       Die gefälschten Dokumente stammen aus Pakistan und wurden wohl zu
       Hunderttausenden in Afghanistan verkauft, das Stück zu 200 bis 500 Afghani,
       vier bis zehn Dollar. In Gardez konfiszierte die Polizei über 3.000 - mit
       dazugehörigen, schon angekreuzten Wahlzetteln. Auch die waren made in
       Pakistan. 
       
       Nicht überall war die Polizei so vorbildlich. Nasery zufolge boten
       Polizisten nach Schließung des Wahllokals von Kalgar den Kandidaten an, die
       übrig geblienen Stimmzettel unter sich aufzuteilen - gegen eine kleine
       Spende. In Seyyed Karam blieben die Urnen dreier Wahllokale über Nacht
       ungezählt und offen im Büro des Distriktgouverneurs. Am nächsten Morgen
       fanden die Beobachter sie gezählt und versiegelt vor, mit fertigen
       Begleitpapieren.
       
       Auch aus den Provinzen Kandahar und Wardak wurde über nächtlich
       "produzierte" Stimmen berichtet. In Paktika und Teilen Ghaznis habe nach
       Angaben aus Sicherheitskreisen "keine Wahl stattgefunden". Khial Muhammad
       Ahmadsai, ein aussichtsreicher Kandidat in Gardez, schätzt, dass auch in
       Paktia nur fünf Prozent gewählt haben. In Gardez-Stadt zählte der Autor
       knapp über 4.000 Stimmen - weniger als 20 Prozent. In einigen Nord- und
       Zentralprovinzen hingegen wurden Schlangen selbst vor den Frauenwahllokalen
       gesichtet.
       
       Noch liegt aber kein vollständiges Bild von Afghanistans zweiter
       Nach-Taliban-Parlamentswahl vor. Deshalb sind auch die optimistischen
       Zahlen über die Wahlbeteiligung mit Vorsicht zu genießen, die die
       afghanische Wahlkommission (IEC) schon am Wahlabend verbreitete: um die 40
       Prozent. Doch es gibt weder verlässliche Einwohnerzahlen noch Wählerlisten,
       und die IEC korrigiert die Zahl der angenommenen Wähler seit Jahren
       herunter.
       
       Der Soziologe und Kandidat Dina Gul Gharibmal sagt, er und seine
       Stammesanhänger im Distrikt Ahmadkhel hätten die Abstimmung schließlich
       boykottiert, denn das sei "keine demokratische Wahl" gewesen. Nasiry äußert
       sich ähnlich. Solche Stimmen sollten die westlichen Verbündeten Präsident
       Karsais veranlassen, endlich auf eine Reform der Wahlinstitutionen in
       Afghanistan zu drängen.
       
       19 Sep 2010
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Thomas Ruttig
       
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