# taz.de -- Amoklauf von Lörrach: Auch sie tötet hart
       
       > Das Klischee sagt: Der Mann bringt brutal mit der Waffe um, die Frau
       > hingegen sanft mit Gift. Wahr ist: Nur vier Prozent aller Amokläufe
       > werden von Frauen begangen.
       
 (IMG) Bild: Eine Stadt sieht blau: Polizei in Lörrach.
       
       Das kennt man nur von Männern: Sie kriegen nicht, was sie wollen, drehen
       durch und ballern rum. Frauen, denkt man, bewältigen Konflikte anders: Sie
       reden, meistens mit Freundinnen, gehen zum Therapeuten, werden depressiv.
       Aber jetzt war es eine Frau, die Amok lief. In Lörrach hat eine 41-jährige
       Juristin zuerst ihren Mann und ihren Sohn getötet und danach in einem
       Krankenhaus wild um sich geschossen. Dann wurde sie selbst von der Polizei
       erschossen. Wie kann man das erklären?
       
       Frauen sind tatsächlich weniger gewalttätig als Männer und gewöhnlich keine
       Amokläuferinnen. Die internationale Kriminalstatistik sagt, dass nur 4
       Prozent aller Amokläufe von Frauen begangen werden. Männer bringen sich
       dreimal häufiger um als Frauen. Aber wenn sich Frauen einmal entschlossen
       haben zu töten, dann tun sie das häufig genauso heftig wie Männer, sagt
       Justine Glaz-Ocik, Kriminalpsychologin an der Universität Darmstadt zur
       taz: "Sind Frauen erst einmal auf dem Gewaltweg, dann gehen sie den eisern
       und mit allen Konsequenzen. Bis hin zur eigenen Tötung. Egal ob von eigener
       Hand oder durch andere Personen."
       
       Es ist ein Mythos, dass Frauen auf sanfte Weise töten: mit Tabletten, Gift,
       im Schlaf. Sie greifen zwar öfter als Männer zu den "weichen" Mordwaffen.
       Aber sie stechen ebenso mit Messern zu, erwürgen ihre Opfer mit eigenen
       Händen oder mit Seilen und Stricken. In seltenen Fällen schießen sie. Warum
       tun sie das?
       
       Aus einer enormen Kränkung heraus, aus Demütigung und Verletztheit, sagt
       der Kriminalpsychologe Christian Lüdke. Er leitet in Essen die Gesellschaft
       zur Opferbetreuung nach Überfällen, Geiselnahmen, Unfällen und
       Katastrophen. Offensichtlich trieb die Rechtsanwältin in Lörrach ein
       privates Motiv: Sie stritt sich mit ihrem Exmann und Vater ihres Sohnes um
       das Sorgerecht, der Sohn lebte beim Vater. Wenn Frauen töten, sagt Justine
       Glaz-Ocid, dann bringen sie meist ihre Kinder oder ihre Intimpartner um.
       Experten nennen das Phänomen "Famizid". Dabei treiben die Mörderinnen drei
       Motive: Wahnvorstellungen, Verzweiflung, Rache.
       
       Rache könnte durchaus das Motiv des Lörracher Amoklaufs gewesen sein,
       spekuliert Karoline Roshdi, Psychologin vom Team Psychologie und Sicherheit
       in Darmstadt, gegenüber der taz: "Wobei die Täterin sicher nach
       Alternativen gesucht hat. Aber ihre Verzweiflung kann so groß gewesen sein,
       dass sie am Ende keine andere Lösung gesehen hat als schwere Gewalt."
       Amokläuferinnen und Mörderinnen fühlen sich ungerecht behandelt und dadurch
       zu ihrer Tat berechtigt. "Das macht sie so gefährlich", sagt Justine
       Glaz-Ocid.
       
       Trotzdem: Frauen rasten seltener aus als Männer, sie werden laut
       Kriminalstatistik seltener zu Mörderinnen. Frauen können mit
       Enttäuschungen, Kränkungen und Verletzungen besser umgehen als Männer, sagt
       Christian Lüdke: "Männer sind bei Konflikten und Krisen wesentlich
       verletzlicher und verletzbarer als Frauen." Bernd-Rüdeger Sonnen vom
       Institut für Kriminalwissenschaften der Universität Hamburg hat das bereits
       im Jugendalter beobachtet: Mädchen lösen Konflikte eher nach innen als nach
       außen und neigen daher leichter zu Depressionen.
       
       Am häufigsten geschehen Gewaltverbrechen im bekannten sozialen Umfeld.
       Frauen töten fast ausschließlich in Beziehungskonflikten, bei Männern kommt
       Geldgier als Motiv hinzu. Wenn jemand das Gefühl hat, ausgestoßen und
       ausgegrenzt zu sein, setze er alles daran, "aus der normalen Welt nicht
       herauszufallen", sagt Christian Lüdke: "Dann versuchen diese Menschen, in
       den Mittelpunkt zu geraten."
       
       Das führt häufig dazu, dass auch Amokläufe von Frauen zu "inszenierten
       Selbstmorden" werden. "Der eigene Tod wird bewusst einkalkuliert", sagt
       Justine Glaz-Ocid. Das bringt dann zumindest häufig die
       (Medien-)Aufmerksamkeit, an der es vorher gemangelt hat.
       
       20 Sep 2010
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Simone Schmollack
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
 (DIR) Kommentar Amoklauf und Waffenrecht: Vorsicht vor Reflexen
       
       Sportschützen sind keine Mörder. Aber das Hobby birgt ein nicht akzeptables
       Risiko. Deshalb müssen ihre Waffen aus privaten Haushalten verbannt werden.
       
 (DIR) Obduktionsbericht aus Lörrach: Amokläuferin erstickte ihren Sohn
       
       Laut Obduktionsbericht hat die Amokläuferin von Lörrach ihren Sohn erst
       betäubt und dann erstickt. Sie selbst starb durch 17 Polizeikugeln, ihr
       Mann durch zwei von ihr.
       
 (DIR) Nach Amoklauf in Lörrach: Debatte um Waffengesetz verschärft
       
       Hätte ein besseres Waffengesetz den Amoklauf von Lörrach verhindern können?
       Polizeigewerkschaften und Schützenbund sagen Nein. Das Aktionsbündnis
       "Amoklauf Winnenden" sagt Ja.
       
 (DIR) Amoklauf in Lörrach: In Ruhe auf den Kopf geschossen
       
       In Lörrach sucht die Polizei weiter nach Fakten über den Amoklauf. Klar
       ist: Die Sportschützin besaß legal vier Waffen und ihr Sohn wurde nicht
       erschossen. Ein Ortstermin.
       
 (DIR) Familie getötet, Krankenhaus überfallen: Frau läuft Amok in Lörrach
       
       Eine 41-jährige Frau tötet ihren kleinen Sohn und dessen Vater, zündet die
       Wohnung der beiden an – und überfällt dann ein Krankenhaus. Gründe und die
       Details sind noch unklar.