# taz.de -- Streit um Winterspiele in Münchnen: Grüne trainieren für Olympia
       
       > Der Aufsichtsratschef ist ein Grüner, Claudia Roth sitzt im Kuratorium.
       > Opfert die Partei die Umwelt für eine Olympiabewerbung?
       
 (IMG) Bild: Viele Landwirte sind skeptisch gegenüber den Spielen: Bauer vor der Olympia-Sprungschanze in Garmisch-Partenkirchen.
       
       BERLIN/MÜNCHEN/OBERAMMERGAU taz | Diese Woche ist mal wieder eine besonders
       schlechte für die München 2018 GmbH und ihren Aufsichtsratschef. Michael
       Vesper schenkt Mineralwasser ein, lässt eine Tablette in sein Glas fallen.
       Sein Handy summt, er geht nicht dran. Gestern hat sich auch der Deutsche
       Naturschutzring aus der Olympiabewerbung verabschiedet, es ist nur eine
       Frage der Zeit, bis der Umweltverband die Presse zusammenrufen und die
       geplanten Olympischen Winterspiele in München und Garmisch-Partenkirchen
       als ökologischen Frevel anprangern wird. Jene Spiele, die doch eigentlich
       die "grünsten" der Geschichte werden sollen: nachhaltig und erstmals sogar
       klimaneutral. So jedenfalls steht es in den Strategiepapieren der
       Organisatoren.
       
       Wäre Michael Vesper ein FDP-Mann, hielte seine Partei das Thema
       Umweltschutz für PR-Kram, es könnte ihm egal sein. Aber Vesper hat 1979 die
       Grünen mitgegründet, der promovierte Soziologe hat deren Bundestagsfraktion
       geleitet, es bis zum Vizeministerpräsidenten in Nordrhein-Westfalen
       gebracht. Und heute, wo er als Generaldirektor des Deutschen Olympischen
       Sportbunds und mächtiger Sportlobbyist für die ersten "grünen" Spiele
       kämpft, wollen ihn andere Ökos zur Umweltsau erklären?
       
       "Das Umweltkonzept ist mitentwickelt worden vom Freiburger Öko-Institut."
       Vesper klingt gekränkt. "Denen Greenwashing vorzuwerfen, das halte ich
       wirklich für abgeschmackt."
       
       Er sitzt im Hauptstadtbüro seines Sportverbands, fünf Minuten vom Bundestag
       entfernt. Er kämpft jetzt. Es geht um die Deutungsmacht - auch in der
       eigenen Partei, um nicht weniger als die Frage: Wer sind hier die besseren
       Umweltschützer? Jene Grünen, die ein Großereignis wie Olympia nach
       Deutschland holen und sowenig umweltschädlich wie möglich gestalten wollen
       - weil es ja sowieso irgendwo stattfände und in Südkorea oder Frankreich
       noch mehr Natur zerstört würde? Oder jene Grünen, die Winterspiele in
       Bayern lieber ganz verhindern - weil sie fürchten, dass selbst die besten
       Ökoprojekte die Schäden nicht aufwiegen könnten?
       
       Der Streit über München 2018 zieht sich inzwischen kreuz quer durch die
       Parteiflügel: Die bayerischen Grünen haben sich gegen das Milliardenprojekt
       ausgesprochen. Gemeinsam mit der Landtagsfraktion, der Parteijugend und dem
       Vorstand der Münchner Grünen unterstützen sie die Nolympia-Kampagne.
       
       Doch die Grünen im Münchner Stadtrat haben die Olympia-Bewerbung einstimmig
       befürwortet, das Projekt ist sogar Teil des rot-grünen Koalitionsvertrags.
       Ein Grüner Stadtrat arbeitet hauptberuflich für die München 2018 GmbH - als
       Umweltfachmann.
       
       Und im Kuratorium von München 2018, das die Bewerbung "auf nationaler und
       internationaler Ebene unterstützen" soll, sitzen zwischen Herrschaften wie
       Franz Beckenbauer und Gerhard Schröder auch die Grünen-Chefin Claudia Roth.
       
       "Unsere Vorzeigefrau unterstützt diesen Schmarrn!" Katharina Schulze, die
       Vorsitzende der Grünen Jugend in München, ruft es ratlos heraus. "Ich
       versuch mir einzureden, dass sie nicht so richtig geblickt hat, worauf sie
       sich da einlässt." Die Politikstudentin, 25 Jahre, gibt jetzt ihre Freizeit
       dran, leitet die Münchner Nolympia-Gruppe, organisiert Infostände und
       Protestaktionen. Sie traut den Versprechen der München 2018 GmbH nicht.
       "Gibt es das überhaupt, ökologische Winterspiele?"
       
       Parteiraison, rot-grüner Koalitionsfrieden im Münchner Rathaus - auch
       anderen Grünen ist das längst egal. Hauptsache, München 2018 scheitert.
       
       Claudia Roth wartet ab 
       
       Sie fürchten: Die versprochenen 18 "Umweltleitprojekte" werden niemals die
       Schäden ausgleichen, die Winterspiele anrichten würden. Denn mit dem einst
       geplanten Biosphärenreservat in der Region Garmisch sei das wichtigste
       Projekt gestorben. Andere Versprechen, wie der "Plusenergie"-Standard für
       das Olympische Dorf seien weniger visionär, als sie verkauft würden.
       
       Nikolaus Hoenning, 38 Jahre, Vorsitzender der Münchner Grünen, sagt: "Ich
       darf dann später meinem Sohn den abgerutschten Berghang zeigen und
       erklären: Wir waren dafür - aber nur, weil der Berg sonst noch mehr
       abgerutscht wäre!" Er stöbert in seinem Laptop, der zwischen
       Kinderspielzeug und Safttüten auf dem Esstisch steht, öffnet einen Brief
       vom 14. Juli 2009, zwei DIN-A4-Seiten, "das letzte Lebenszeichen von
       Claudia Roth in dieser Sache", sagt er. Roth schreibt den "lieben
       Freundinnen und Freunden", sie wolle ihren Posten im Olympia-Kuratorium
       nutzen, um "Kritik zu üben und in einem konstruktiven Sinne zu ,nerven'".
       Hoenning sagt trocken: "Würde mich mal interessieren, wo sie da genervt
       hat!"
       
       Ein heikles Thema für die Parteichefin. Zum Interview im Bundestag bringt
       sie überraschend Verstärkung mit: Winfried Hermann, den sportpolitischen
       Sprecher, und Jerzy Montag, der seinen Abgeordneten-Wahlkreis in München
       hat. Gemeinsam versichern sie, der Parteivorstand unterstütze
       "nachdrücklich" Roths Posten im Olympia-Kuratorium. Sie nehme die Kritik
       der Umweltverbände sehr ernst, sagt Roth. Sie wolle aber erst mal abwarten,
       was im Bid Book für München 2018 stehe - der ausführlichen und
       verbindlichen Bewerbungsmappe, die im Januar fertig sein muss. Sie werde
       prüfen, ob die Umweltkriterien darin eingehalten werden. Die Parteichefin
       lächelt, ihr Blick ist ernst. "Ich erwarte von meinen Leuten schon, dass
       sie uns nicht unterstellen, Alibinummern zu sein."
       
       Über die Arbeit des Olympia-Aufsichtsratschefs Michael Vesper sagt Claudia
       Roth kein schlechtes Wort, sie lobt dessen umweltpolitisches Engagement,
       sie spricht von einem "gewissen Vertrauensvorschuss", den der Grüne
       genieße. Und von den großartigen Chancen, die das Projekt doch berge: "Wenn
       es uns gelänge, ein ökologisches, nachhaltiges, klimaneutrales Konzept für
       München 2018 umzusetzen - dann hätte das Vorbildcharakter und könnte bei
       Olympischen Spielen künftig nicht mehr unterlaufen werden."
       
       Eine neue olympische Epoche also, erkämpft von den Grünen. Ein ehrgeiziger
       Plan. Gemessen daran klingen Roth und ihre zwei Begleiter merkwürdig
       uneuphorisch. Als "blinde" Olympia-Fans wollen sie nicht gesehen werden.
       "Und es ist grüner Konsens, dass die Spiele nicht durchgeführt werden
       können, wenn sie nicht ökologisch sind und nicht auf einer breiten
       Akzeptanz in der Bevölkerung basieren", sagt Roth. Dann appelliert die
       Parteichefin an die eigenen Leute, sie klingt jetzt mütterlich. Die Grünen
       sollten doch bitte "ernsthaft und im Vertrauen" streiten.
       
       Noch während sie das sagt, schickt der Münchner Grünen-Vorstand die nächste
       Bombe ab. Eine Pressemitteilung mit der Überschrift: "Idiotensteuer für
       Olympiavorbereitung". Botschaft: Vesper verkaufe die Bürger für dumm.
       
       Die Angriffe aus Bayern treffen Michael Vesper. Er wird nicht laut, aber
       persönlich. Natürlich könne man argumentieren, Olympische Spiele ließen
       sich in den Alpen grundsätzlich nicht umweltverträglich gestalten. "Nur
       muss man dann auch konsequent sein und darf nicht selbst im Winter die
       Berge auf Kunstschnee herunterrutschen, wie das Herr Hartmann
       erklärtermaßen tut." Der Vorwurf zielt auf Ludwig Hartmann, Fraktionschef
       der Grünen in Bayern, ein Anführer des Olympia-Protests. Der fährt zwar -
       erklärtermaßen - keinen Pistenski, sondern unternimmt nur Skitouren auf
       natürlichem Schnee. Aber das muss Vesper entgangen sein.
       
       Der Aufsichtsratschef fragt sich: Was haben die Parteifreunde gegen den
       Ausbau der Bahnstrecke München-Garmisch? Was gegen ein Olympisches Dorf mit
       "Plusenergie"-Standard? Was gegen ein neues "Zentrum für Nachhaltigkeit"?
       Die Gegner, moniert er, machten keine konstruktiven
       Verbesserungsvorschläge, viele informierten sich nicht mal ernsthaft.
       
       Doch verlässliche Informationen zu den "Umweltleitprojekten" für die
       Olympiabewerbung gibt es kaum. Die München 2018 GmbH hält das Umweltkonzept
       - jenes Dokument, das die Vision grüner Spiele in die Realität umsetzen
       soll - unter Verschluss. "In dem Papier gibt es noch ein paar
       Fragezeichen", entschuldigt der Sprecher, "das ist im Klärungsprozess." Der
       Münchner Grünen-Stadtrat, der als Umweltingenieur hauptberuflich für
       München 2018 arbeitet, könnte vermutlich viele Fragen klären. Aber ohne
       Erlaubnis des Arbeitgebers dürfe er kein Interview geben, sagt Boris
       Schwartz. Und die Pressestelle lehnt ab.
       
       Die grüne Basis stimmt ab 
       
       Die nächsten Wochen dürften spannend werden. Anfang Oktober muss der
       Münchner Stadtrat die Eckpunkte für das Bid Book beschließen, vorher soll
       die Grüne Basis in München darüber abstimmen. Ob sie noch mitzieht, weiß
       niemand. Und die Olympia-Gegner haben noch mehr vor. Ihr Anführer Ludwig
       Hartmann will beim nächsten Bundesparteitag einen Olympia-Antrag stellen:
       Die Grünen sollen aus der Bewerbung aussteigen.
       
       Die Stimmen der Delegierten aus der Region Garmisch-Partenkirchen sind dem
       Antrag sicher. Dort, wo 2018 die Skirennen stattfinden sollen, ist der
       Protest ein Selbstläufer für die Grünen. Im Juli hat der Kreisvorsitzende
       Korbinian Freier mit anderen Olympiagegnern ein Bürgerbegehren angezettelt
       - um Oberammergau vor den Olympischen Biathlon- und Langlaufwettbewerben zu
       bewahren. Binnen einer Woche hatte die Initiative die Unterschriften
       zusammen. "Auch Landwirte haben gemerkt, dass grüne Inhalte viel mit ihren
       Ansichten zu tun haben", erzählt Freier. "Wir profitieren hier von diesem
       Thema wie keine andere Partei!"
       
       Korbinian Freier, 29 Jahre, trägt lange Haare und einen bauschigen Vollbart
       - wie alle Männer in Oberammergau, die bei den Passionsspielen auftreten.
       Er ist Geoökologe, promoviert in Hamburg über die Folgen des Klimawandels.
       Ein junger Grüner, der Heimat und Brauchtum nicht anrüchig findet. Die
       Olympia-"Gigantonomie", sagt er, stehe im Widerspruch zu den Umweltzielen.
       Wer der Natur dienen wolle, der solle "klare Signale an das IOC senden,
       dass olympische Spiele, wie sie heute stattfinden, nicht mehr zeitgemäß
       sind".
       
       Die Argumentation der Olympia-Befürworter erscheint ihm abwegig: "Ich kann
       nicht sagen: Atomkraftwerke gibts eh, aber wir Grünen sind für die
       umweltfreundlichsten AKWs!" In drei Stunden beginnt sein neunzigster
       Auftritt als Apostel bei den Passionsspielen. Korbinian Freier wird auf die
       Bühne treten, pathetisch die Arme in die Luft recken und den Jüngern Jesu
       zurufen: "Sollen wir noch zögern? Sollen wir nicht Widerstand leisten?" Und
       die wenigsten Touristen im Publikum werden ahnen, wie aktuell diese Fragen
       sind.
       
       22 Sep 2010
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Astrid Geisler
       
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