# taz.de -- Pop-Stil Juke Music: Abstimmen mit den Füßen
       
       > Chicagos neueste Hervorbringung nennt sich Juke Music, ein Stil, der auf
       > einem körperbetonten Tanz fußt. Erster Star der Szene ist der 20-jährige
       > DJ Nate.
       
 (IMG) Bild: DJ Nate, 20, ist in Chicago bekannt für seine Juke-Music-Mixe.
       
       Tänzer waren die Vorboten der Revolution. Zuerst tauchten 2007 auf YouTube
       verwackelte Videoclips aus Chicago auf, "Sick Hip Rolling" betitelt, oder
       "Watch yo Feet". Darin zu sehen sind afroamerikanische Jugendliche, die
       sich in kurzen Abständen um die eigene Achse drehen, dabei virtuose
       Rumpfbeugen und Schrittkombinationen machen, teilweise in der Hocke, immer
       im Rhythmus.
       
       Tanzmoden kommen und gehen, aber was hier Tänzer allein, zu zweit,
       teilweise ineinandergreifend, gern in Pirouetten entfesseln, ist ein
       Füllhorn an Gesten und Bewegungen, Schritten und Haltungen und hat das Zeug
       zu einer neuen Jugendkultur. Breakdancing zu HipHop-Musik wirkt im
       Vergleich zu den konvulsivischen Bewegungen aus Chicago wie eine Zeitlupe
       aus dem letzten Jahrhundert.
       
       Nicht nur Sportlertypen toben sich in den Clips aus, dicke Jungen,
       gedrungene Mädchen, Menschen aller Größen und Rundungen tanzen auf die
       gleiche virtuose Weise: Ihre Oberkörper verharren meist unbeweglich,
       während unterhalb der Hüften voller Körpereinsatz gefragt ist, und das bei
       konstant hohem Tempo.
       
       Immer sind die Tänzer von Zuschauern eingekreist, werden angefeuert oder
       ausgezählt. Bangemachen gilt hier nicht als Bedrohung. "Juking" nennt man
       die lustvollen Bewegungen, Juke Dancing heißt der Tanzstil, die zugehörige
       Musik Juke Music. Und Juke Music aus Chicago hatte ihren Durchbruch erst
       mit den selbstgedrehten Tanzvideos auf YouTube.
       
       Work your body 
       
       "The City that House built", die Stadt, die den House-Sound schuf, wird
       Chicago auch genannt. House war die erste rein elektronische Tanzmusik, die
       Mitte der Achtziger als lokaler Stil entstand und heute als Clubmusik par
       excellence gilt. Im Vergleich zu den großen Musikmetropolen New York und
       Los Angeles hat Chicago den Ruf der nüchternen Stadt weg, die sich selbst
       Kunst erst mühsam erarbeiten muss.
       
       Auch wenn hier Klassiker der Jazz- und Soulmusik erschaffen wurden, Stars
       aus Chicago tun sich traditionell schwerer als diejenigen aus anderen
       US-Städten. "Work your body", die Arbeit am Körper auf der Tanzfläche war
       der wichtigste Slogan von Chicago-House.
       
       Wie House wird auch Juke Music mit minimalen elektronischem Aufwand
       produziert. Der Beat wird von einem Roland 808 Drumcomputer maschinell
       erzeugt, die melodiösen Einsprengsel basieren auf kurzen, kleingemörserten
       Samples von TV-Show-Erkennungsmelodien, Horrorfilmsoundtracks oder
       Chartsongs.
       
       Es gibt keine Songtexte, keine expliziten Botschaften, nur kurze, unendlich
       wiederholte Satzfetzen, zu einem Brei geschmolzen oder hochgepitcht, wie
       eine Micky-Maus-Stimme mit Schluckauf.
       
       Ein Evergreen des Chicago-House, der Track "Percolator" des Produzenten
       Cajmere, ist auch Blaupause für die Klangsignatur der Juke Music: Cajmere
       rhythmisierte kurzerhand das Brodeln des Dampfkessels zu einem hypnotisch
       stampfenden Housebeat.
       
       Nun hat die Juke Music endlich ihren ersten Star. "Da Trak Genious" ist
       eine Sammlung von Tracks des erst 20-jährigen Chicagoer Produzenten DJ
       Nate. Sie waren zuerst Soundtracks für selbstgedrehte Videoclips. Das
       englische Label Planet Mu hat 25 seiner Tracks kompiliert. Denn die Musik
       funktioniert auch ohne die Clips.
       
       "Juke Music ist unser HipHop", erklärte Nathan Clark, wie DJ Nate
       bürgerlich heißt, dem englischen Magazin The Wire. "Es ist ein
       Alltagsphänomen unter den Teenagern Chicagos." DJ Nate sagt auch, Juke
       Dancing wirke sich positiv auf die Launen der Tänzer aus. Sind sie
       gestresst oder depressiv, könne ihnen Juke Dancing die Energie zurückgeben.
       
       "Free" ist einer seiner lakonischen Tracks betitelt. "And I just like to be
       free" singt eine Frauenstimme und Nates Beat rollt darunter mit irren 150
       bpm hinweg, dazu scheppern billige Percussionseffekte. Ein kurzes,
       repetitives Trompetensample aus einem Soulsong lockert die rhythmischen
       Fesseln.
       
       22 Sep 2010
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Julian Weber
       
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