# taz.de -- Feridun Zaimoglu über Pseudo-Aufklärer: "Ich werde als Onkel Horst verhöhnt"
       
       > Seine Hamlet-Übersetzung führte zu einem Eklat, aber der Kieler
       > Schriftsteller will das nicht zu hoch hängen. Lieber denkt er über das
       > Schäumende bei Shakespeare nach.
       
 (IMG) Bild: Albträume beim Hamlet-Übersetzen: Feridun Zaimoglu muss sich mit den Charakteren identifizieren, über die er schreibt.
       
       taz: Hier ist Friederike Gräff von der taz. 
       
       Feridun Zaimoglu: Halleluja.
       
       Wie bitte? 
       
       Das ist hier gerade die Ausweitung der Kampfzone. Ich habe keinen Computer,
       meine Schwester hat mir das alles zugefaxt und jetzt war ich dabei, etwas
       zu Ende zu lesen. Es geht wieder um den sogenannten Skandal.
       
       Den "Hamlet"-Skandal: Ein Rezensent der Welt, Alan Posener, hat Ihre -
       andernorts gelobte - Hamlet-Übersetzung verrissen, die er für eine ebenso
       platte Variante von Shakespeare hält, wie den Koran im Vergleich zur Bibel. 
       
       Selbstverständlich deckt die Meinungsfreiheit auch den Schwachsinn. Posener
       hat eine Meinung, aber er verhandelt nicht ästhetische Werte.
       
       Inwiefern ist Poseners Text für Sie schwachsinnig? 
       
       Mit Verlaub: An dieser Stelle mit Religionskritik zu kommen, wenn es um die
       Hamlet-Inszenierung geht. Das ist zwar sein gutes Recht, aber
       Unverschämtheit darf nicht ungeahndet bleiben.
       
       Sie selbst sind auch kein Kind von Traurigkeit, was Polemik anbelangt. 
       
       Richtig. Nur, es ist keine Polemik und der Tatbestand der Verunglimpfung
       ist tatsächlich erfüllt.
       
       Der Verunglimpfung des Korans? 
       
       Ja. Ich liebe die Aufklärung und halte mir die Nase zu vor diesen
       Billig-Aufklärern, denen nichts anderes einfällt als ständig auf Moslems
       einzudreschen. Können sie machen, aber es wird langweilig. Und es ist das
       gute Recht von Joachim Lux, dem Thalia-Intendanten, und mir, diesem
       Menschen entgegenzuschleudern, dass er ein Hetzer ist. Man sollte daraus
       aber nicht schon wieder eine Debatte über Meinungsfreiheit machen.
       
       Dann kommen wir doch mal zu Ihrer Hamlet-Übersetzung selbst. 
       
       Ich danke Ihnen.
       
       Warum wieder Shakespeare? 
       
       Es ist das vierte Mal. Mein Co-Autor Günter Senkel und ich haben "Othello",
       dann "Romeo und Julia", "Caesar" und jetzt Hamlet neu geschrieben. Man
       spricht ja von Neu-Adaptationen, Bearbeitungen - nein, es ist die
       Neu-Schreibung eines Klassikers. Shakespeare deswegen, weil es sich für
       mich um den größten Stückeschreiber handelt, der je gelebt hat. Die Themen
       sind zeitlos, er schafft es, in seinen Stücken immer wieder auf den
       existenziellen Grund zu stoßen.
       
       Was für eine Übersetzergemeinschaft sind Günter Senkel und Sie? 
       
       Er ist mein bester Freund und ich bin sein bester Freund. Es ist natürlich
       sehr selten, dass beste Freunde auch zusammenarbeiten können.
       
       Sie waren erst Freunde und haben dann mit dem gemeinsamen Übersetzen
       begonnen? 
       
       Er hat sich erst in meine Schwester verliebt und sie hat uns beide
       vorgestellt. Und wie es in der Liebe so ist: Sie ging und wir blieben.
       
       Wie übersetzt man zu zweit? 
       
       Günter ist zuständig für Übersetzung und Recherche. Wir verlassen uns nicht
       auf die deutschen Übersetzungen des Originals. Das Frivole, Obszöne, das
       Volksbelustigende ist oft weggestrichen worden und es ist ein
       biedermeierisches-poetisches Moment dazugekommen. Günters
       Englisch-Kenntnisse reichen aus, um das Stück aus dem Englischen ins
       Deutsche zu übersetzen, ohne Anspruch, eins zu eins. Und er recherchiert,
       wie die historische Setzung ist, also bei Othello etwa die Frage, wie die
       Uniformen der Soldaten aussahen oder bei Hamlet, was es für ein Königreich
       war. Dann übergibt er mir das, ich lese es einmal durch und lege es weg.
       Für mich ist Sekundärliteratur Gift. Ich bin das naive Kind, je naiver,
       desto besser. Ich bin für Sprache und Poesie und Rhythmus und Musikalität
       zuständig.
       
       Traditionell wird das Übersetzen als dienende und demütige Tätigkeit
       gesehen. Sie kann man sich eigentlich nur begrenzt so vorstellen. 
       
       Dienend und demütig bin ich, wenn es darum geht, herauszufinden, worum es
       in dem Stück eigentlich geht. Darüber sprechen Günter und ich immer sehr
       lange. Hier in Hamlet entdeckten wir als das zentrale Moment das
       Schäumende, das Ausufernde, den schäumenden Wahnsinn eines jungen Mannes.
       Auf heutige Verhältnisse übertragen, eines Internat-Zöglings, der keinen
       Platz hat, um wirklich traurig zu sein.
       
       Wie ist dabei Ihr Verhältnis zur Sprache? Schäumend oder eher ringend? 
       
       Mehr als das. Ich habe bemerkt, dass ich deswegen schreibe, weil es einen
       Abstand schafft zu mir. Es ist mehr als Rollenprosa. Ich habe auf dem
       Papier sogar mit meinem Geschlecht gebrochen und war ein kleines Mädchen,
       ein alter Mann, ein Stricher, eine Zofe. Es ist ein dionysischer Akt. Es
       klingt vielleicht etwas behämmert, aber ich muss mich verlassen. Ich muss
       Ophelia sein, denn ich kann mich nicht als der, der ich bin, als Zaimoglu,
       in der Nachahmung der Verzweiflung und des Wahnsinns versuchen. Deswegen
       ging es mir nicht gut in den Wochen, in denen ich Hamlet schrieb. Ich hatte
       Albträume, ich habe abgenommen - und das ist jedes Mal so. Ich wünschte
       manchmal, es ginge müheloser, aber ich kann nicht kalt schreiben.
       
       War die Lesereise, von der Sie gerade kommen, erholsam oder gehören Sie zu
       den Autoren, die finden, dass das Publikum aufgewecktere Fragen stellen
       sollte? 
       
       Ich habe in den letzten 16 Jahren 1.620 Lesungen gemacht …
       
       … da haben Sie genau mitgezählt. 
       
       Ja, wegen der Steuererklärung musste ich zählen. Es können auch 1.623 sein,
       aber das zeugt davon, dass ich Lesungen nicht als eine Pflichtveranstaltung
       ansehe. Ich ärgere mich auch nicht über die Fragen, um Gottes willen, es
       ist auch keine Frage des Geldverdienens. Auch da muss ich leider pathetisch
       werden: Ich bin im Alltag nicht so souverän wie auf der Bühne. Dort schlage
       ich das Buch auf und verliere mich, es ist eine wahre Lust. Ich schreibe
       nicht für mich, ich schreibe, um mich zu zeigen. Seltsam paradox das Ganze.
       Und ich muss wissen, was man von dem hält, was ich da vorlese. Ich will,
       dass die Männer und Frauen im Publikum mir das ins Gesicht sagen.
       
       Sie mischen sich immer wieder in die politische Debatte ein, sei es als
       Mitbegründer von Kanak Attack, sei es als Teilnehmer der Islamkonferenz.
       Sprechen Sie die Lesungs-Gäste darauf an? 
       
       Ja, nicht nur, weil ich auf der Islamkonferenz war und gegen diese billigen
       Pappkameraden der Aufklärung was habe …
       
       … wer ist das? 
       
       Man kennt sie. Moslemschelte, aber nicht nur das. Kritik des Regietheaters,
       Kritik an zu viel Feminismus, auf die Armen einschlagen. Es handelt sich um
       Leute, die an rechte Ansichten andocken und das sind nicht meine Freunde.
       Selbstverständlich sollen diese Leute wissen, dass sie nicht mal dies und
       mal jenes behaupten können. Deshalb sage ich: Sarrazin ist ein lupenreiner
       Rassist.
       
       Sie haben mit der Initiative Kanak Attak gegen Festschreibungen dieser und
       anderer Art gekämpft. Warum haben Sie die Gruppe verlassen? 
       
       Kanak Attack war angelegt als Kulturoffensive und irgendwann kamen die
       üblichen Klugschwätzer und die Barhocker-Stalinisten und ergingen sich in
       seltsamen Forderungen. Deswegen bin ich dann ausgeschieden.
       
       Was waren die seltsamen Forderungen? 
       
       Der Ton wurde so scharf: Wir gegen den Rest Deutschlands. Ich konnte nichts
       mit dem extrem politischen Anspruch anfangen. Da bin ich vielleicht
       altmodisch: Es ist gut, die Menschen schön anzusprechen. Sonst vergrault
       man sie. Als Schreiber weiß ich darum, dass ich ohne Macht und Einfluss
       bin. Das finde ich sehr, sehr gut. Ich spreche nicht für eine Generation,
       nicht für eine Interessengemeinschaft, ich bin nicht Teil einer Bewegung.
       Ich lebe in einer Mietskaserne in Kiel. Ich bin eine einzelne Stimme, aber
       wenn es da draußen unverschämte Angriffe gibt der erbarmungslosen
       Politikfuzzis auf Menschen, die sich nicht wehren können, dann bin ich an
       vorderster Front.
       
       Sie als Bewohner einer Kieler Mietskaserne sind gerade mit dem Kulturpreis
       der Stadt ausgezeichnet worden, die äußerte, stolz auf Sie zu sein. Und
       daneben regnen andere Literaturpreise auf Sie. Was bedeutet Ihnen das? 
       
       Was den Kieler Kulturpreis anbetrifft, habe ich mich gefreut wie ein
       Honigkuchenpferd. Ich war sehr gerührt, es ist mittlerweile meine
       Heimatstadt. Ich werde ja auch von den anderen als der Onkel Horst aus Kiel
       verhöhnt …
       
       … vermutlich nicht von den Kielern. 
       
       Nein, von den Leuten in anderen Großstädten. Als Kieler Poet. Es hat mich
       sehr gefreut, dass mich meine Stadt ausgezeichnet hat. Was andere
       Literaturpreise anbetrifft: Sie sind Aufmunterung und gleichzeitig, weil
       sogar nach der Steuer etwas übrig bleibt, kann ich mir Zeit freikaufen und
       schreiben.
       
       Macht es Ihre Eltern stolz? 
       
       Stolz ist so ein seltsamer Begriff. Sie freuen sich sehr. Man muss sich
       vorstellen, Vorsicht, jetzt wird es pathetisch: Sie sind pensionierte
       Arbeiter, sie sind zurückgekehrt in ihr Heimatland, die Türkei. Meine
       Schwester und ich sind für sie ihre deutschen Kinder. Sie haben uns immer
       wieder gesagt: Ihr sollt es besser haben als wir. Ganz einfache
       Arbeitermoral. Und wenn sie dann sehen, dass ihr Sohn als deutscher
       Schriftsteller bezeichnet wird und einigen Erfolg hat, dass es ihm auch
       Freude bereitet, weiterzumachen, dann freuen sie sich sehr. Wahrscheinlich
       würden sie sagen: Hör auf, ja, wir sind stolz.
       
       26 Sep 2010
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Friederike Gräff
       
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