# taz.de -- Wikileaks-Gründer Assange: Der Held der Netze
       
       > Wikileaks-Gründer Julian Assange verliert mit seinem Sprecher einen
       > wichtigen Mitstreiter. Andere wollen folgen. Hat sich der Oberhacker in
       > seinem eigenen Mythos verfangen?
       
 (IMG) Bild: Er bleibt - trotz herber Kritik und schwerer Vorwürfe: Wikileaks-Gründer Julian Assange.
       
       Der Wikileaks-Sprecher Daniel Domscheit-Berg ist zurückgetreten. Noch da
       ist der Gründer der Enthüllungsplattform, Julian Assange, obwohl es intern
       scharfe Kritik an ihm gibt. Der Streit, wer bei Wikileaks das Sagen hat und
       wie es weitermachen soll, ist voll entbrannt. Doch es ist nicht nur ein
       Kampf zwischen Personen, sondern auch ein Ringen popkultureller Mythen.
       
       Ohne diese Mythen wäre die weltweite große Begeisterung für Wikileaks gar
       nicht denkbar. Als "Captain Neo" bejubeln Internetmagazine wie Counterpunch
       Assange. Die Hauptfigur Neo aus den "Matrix"-Filmen steht für einen
       Erlösermythos. Er ist ein Held, der der Verschwörungstheorie Glauben
       schenkt, die Welt sei nicht real, herausfindet, dass sie wahr ist, und dann
       mit U-Boot und Computertechnik gegen die Mächte hinter der Illusion kämpft.
       Der Heros bleibt in "Matrix" dabei recht bieder: monogames Leben,
       monochrome Anzüge, das Wetter hat die Sonne aus dem Programm gestrichen.
       
       Der Urahn dieses blassen Hackerhelden lebte da weitaus ausschweifender:
       Hagbard Celine, die Hauptfigur aus dem Buch "Illuminatus!". Ein promisker
       Anarchohippie, der in seinem goldenen U-Boot und mit dem Riesencomputer
       FUCK UP die Illuminaten befehdet, die ebenfalls eine Riesenverschwörung
       aufgezogen haben.
       
       Die in den späten Sechzigern geschriebene Trilogie hatte eine immense
       Strahlkraft, Oberhippie Timothy Leary hielt sie für "wichtiger als Ulysses
       oder Finnegans Wake". Der US-Erfolgsschriftsteller Matt Ruff setzte noch
       Ende der 90er in "G.A.S." mit Philo Dufresne einen Ökopiraten in die Welt,
       der ebenfalls mit U-Boot (diesmal bunt, Name "Yabba-Dabba-Doo"), viel Sex
       und Computern eine krasse Verschwörung fertigmacht. Celine, Neo, Dufresne -
       sie alle haben Helfer, die letztendlich aber immer nur Anhängsel sind.
       
       Für diese Rolle hat sich Julian Assange (kein U-Boot) offenbar entschieden,
       eventuell hat er sich auch ein Stück weit von seinen Bewunderern
       hineinmanövrieren lassen. Kritiker bei Wikileaks sprechen von Personenkult
       und Groupietum. Der Twitter-Feed von Wikileaks ist voll von Meldungen über
       Assange. Und Vorwürfe gegen den Meister - wie etwa der Vorwurf, er habe
       Frauen in Schweden sexuell belästigt - werden von ihm oder seinen Anhängern
       der Rolle entsprechend zu Verschwörungen großer Mächte deklariert.
       
       Auf der anderen Seite repräsentierte Wikileaks immer auch die Idee eines
       Netzwerks, an dem ein farbenfroher Mix an Individuen und potenziellen
       Helden mitwirkt, die aber ersetzbar sind. Im Rollenspiel-Universum
       "Shadowrun" beispielsweise, das eine von Konzernen beherrschte Welt
       darstellt, existieren im weltweiten Cyberspace virtuelle Orte, welche nicht
       von Unternehmen oder Staaten kontrolliert werden. Hier können Hacker - von
       politisch links bis rechts - unzensiert Informationen veröffentlichen.
       
       Wichtig ist: Selbst wenn bedeutende Figuren sterben, bricht das Netz nicht
       zusammen, denn andere nehmen ihren Platz ein. Und: Verschwörungen werden
       nicht einfach geglaubt, die Schwarmintelligenz versucht Informationen zu
       verifizieren. Einen ähnlichen Ort hat Autor Tad Williams mit dem
       "Treehouse" in seinen "Otherland"-Romanen geschaffen.
       
       Diese Mythen stehen für das, was Daniel Domscheit-Berg und viele andere
       Zuarbeiter von Wikileaks wollten. Deshalb rieten sie Assange zum
       zeitweiligen Rücktritt nach den Vorwürfen in Schweden. Sie sahen das
       Projekt nicht als die Heldengeschichte eines Einzelnen. Nun werden sie wohl
       aussteigen und eine eigene Plattform auf die Füße stellen. Oder Julian
       Assange merkt noch, dass "Illuminatus!" vor allem eines war: eine Satire.
       
       27 Sep 2010
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Daniel Schulz
       
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