# taz.de -- Regisseur Arslan über "Im Schatten": "Der Kriminelle im Alltag"
       
       > Thomas Arslans neuer Film "Im Schatten" beobachtet, wie ein Mann aus dem
       > Knast kommt und den nächsten Coup plant. Ein Gespräch mit dem Berliner
       > Regisseur.
       
 (IMG) Bild: Regisseur Thomas Arslan: "Wo Kriminalfilm draufsteht, muss auch etwas Kriminalfilm drin sein."
       
       taz: Herr Arslan, "Im Schatten" ist neben manch anderem der Versuch, etwas
       ganz anderes zu probieren als zuletzt im dialogreichen Familiendrama
       "Ferien": ein fast abstrakter Genrefilm. Die Geschichte eines Gangsters
       namens Trojan, der aus dem Knast kommt, Rechnungen offen hat und einen
       neuen Coup ausbaldowert. Wie kam es zu diesem Projekt? Verdankt es sich der
       Lust auf Abwechslung? 
       
       Thomas Arslan: Das sicher auch. Auf jeden Fall hatte ich einen Genre-,
       einen Kriminalfilm im Sinn. Ganz ursprünglich war die zentrale Figur ein
       Undercover-Polizist, der im Drogenmilieu ermittelt. Das hat mich dann aber
       immer weniger interessiert, weil einem bei den Undercover-Geschichten immer
       diese Identitätsfrage in die Quere kommt. Ich habe mit dem Buch völlig neu
       begonnen, und der Fokus hat sich dann hin zur Beschreibung der Existenz
       einer kriminellen Hauptfigur verschoben. Ich habe hierbei versucht, das,
       was sie tut, als Arbeit ernstzunehmen. Der Ausgangspunkt war: Wie könnte
       der Arbeitsalltag einer solchen Person aussehen?
       
       Was sich als Bezug aufdrängt, sind die Filme von Jean-Pierre Melville mit
       ihren Einzelgängerfiguren, an die der von Misel Maticevic gespielte Trojan
       erinnert. War das ein wichtiger Einfluss? 
       
       Ein Einfluss, ja sicher, ich schätze die Filme von Melville. Aber nur ein
       Einfluss unter vielen. Der Ansatz ist schon ein anderer - die
       Melville-Figuren sind stark überhöht, mythisiert geradezu. Mir ging es im
       Gegensatz darum, den Kriminellen im Alltag zu verankern. In den langen
       beschreibenden Sequenzen der Vorbereitung eines Überfalls, der
       Observierung, die es in "Im Schatten" gibt, da würde ich am ehesten eine
       Nähe sehen.
       
       Da stellt sich allerdings gleich die Frage: Wie recherchiert man das?
       Welche Waffen? Wie hält man sie? Wie schießt man jemanden tot? Wie verfolgt
       man jemanden unauffällig? Man kennt das aus dem Kino und hat oft den
       Eindruck: Das Kino kennt das aus dem Kino. Wie fängt man das dann aber
       anders, von der Realität aus, an? 
       
       Ich habe recherchiert, allerdings nur das Nötigste. Ich habe keine
       Originalgangster getroffen. Das hatte ich schon bei "Dealer" probiert.
       Davon habe ich mir in diesem Fall nicht so viel versprochen, da die zum
       großen Teil auch nur das Kino nachmachen. Über die Polizei kommt man an
       manche Informationen, oft etwas verklausuliert, aber man begreift schnell,
       was sie eigentlich meinen. Über bestimmte Konkretheiten, zum Beispiel die
       Wahl der Waffen, das System von Geldtransporten, wie man eine Geldkassette
       öffnet, und über alles, was für die detaillierten Abläufe wichtig war,
       darüber habe ich mich schon informiert.
       
       Wie sahen die Vorbereitung, die Arbeit mit Misel Maticevic aus, der die
       Figur in diesem anspruchsvollen Sinn verkörpern, ihr also einen Körper,
       Bewegungen, Blicke, Haltungen geben muss? 
       
       Wir haben in den Gesprächen im Vorfeld eher klar abgesteckt, was wir nicht
       wollten. Misel ist jemand, der nicht viel psychologisches Futter braucht,
       sondern sich sehr lustvoll aufs Konkrete stürzt und das dann von sich aus
       entwickelt: Wie man eine Tasche vom Bett aufnimmt, wie man eine Waffe
       hineinlegt, damit das als Bewegungsablauf etwas Organisches bekommt. Misel
       wollte auch keine einschlägigen Filme zur Vorbereitung sehen, weil ihn das,
       wie er meinte, zu sehr beeinflusst hätte. Bücher waren okay, ich habe ihm
       da eine kleine Liste gemacht, einiges davon hat er gelesen.
       
       Was stand denn auf der Bücherliste? 
       
       Geschichten um einzelgängerische Kriminelle, zum Beispiel. Romane von
       Richard Stark, Gary Disher und - vielleicht am wenigsten bekannt - Dan J.
       Marlowes großartiger Roman "Das Spiel heißt Tod" aus den Sechzigern. Das
       sind alles Sachen, die ich sehr mag.
       
       Auch Christian Petzold und Benjamin Heisenberg, exponierte Vertreter des
       deutschen Autorenfilms, haben zuletzt Filme mit starkem Bezug aufs
       Kriminalgenre gemacht. Das ist so auffällig, als Tendenz geradezu, dass man
       sich fragt, wie das kommt. Was finden die deutschen Autorenfilmer plötzlich
       - oder nicht so plötzlich - am Genre? Oder ist diese Häufung doch einfach
       Zufall? 
       
       Ich glaube nicht an die Vorstellung, dass in Filmen, die abseits des Genres
       angesiedelt sind, die filmische Wahrheit zwangsläufig größer ist. Genre im
       konkreten Sinn bedeutet für mich, dass man die "reine Autorenschaft" einmal
       hinter sich lassen kann; dass man nicht eine ganze Welt aus sich schöpfen
       und selbst bauen muss. Das war für mich eine Wohltat. Beim Genre arbeitet
       man mit präexistenten Mustern. Die Herausforderung besteht dann darin,
       diese Muster wieder zum Klingen zu bringen. Ich wollte das Genre ernst
       nehmen, auch meine Faszination daran. Allerdings ist mir das Kino, das nur
       noch mit dem Kino kommuniziert, zu wenig. Ich denke, dass sich auch über
       das Genre ein Fenster zur Welt öffnen lässt. Daher spielt das Konkrete der
       Stadt, ihre Topografie, eine wichtige Rolle in dem Film. Warum wieder mehr
       Genrefilme gemacht werden, dazu habe ich keine Theorie. Für mich ist es
       wichtig, mich nicht vorschnell in etwas einzurichten oder einzuschließen.
       Auch nicht im allzu Persönlichen. In dieser Hinsicht ist für mich auch das
       Genre eine Option.
       
       Zwei der stärksten Szenen sind die Mordszenen. Eine ansatzlose
       Vollstreckung zum einen, im anderen Fall ein Schuss, ganz undramatisch, das
       Opfer liegt da und lebt und spricht weiter, bis es dann tot ist. Das ist
       ein sehr spezifischer Umgang mit dem Genreelement Gewalt, weder eine
       Verharmlosung noch eine Überhöhung. 
       
       Wo Kriminalfilm draufsteht, muss auch etwas Kriminalfilm drin sein. Dazu
       gehört auch die Darstellung der Gewalt, die ein Teil des Umfeldes der
       Figuren ist. Mir war es wichtig, das knapp und der Härte des Moments
       entsprechend zu zeigen. Ohne große Stilisierung, ohne unnötige Lust daran.
       In der ersten Mordszene zum Beispiel schien es mir daher richtiger, das aus
       der Distanz zu filmen, weil es dadurch eine unangenehme Normalität bekommt.
       
       "Im Schatten" ist, wie Sie sagen, zugleich ein Stadtfilm, ein Berlinfilm.
       Mit der ersten Einstellung als klarer Setzung. Sie zeigt die Mitte der
       Stadt, die Friedrichstraße, aber durch eine Fensterscheibe, mit
       Lichtbrechungen und Spiegelungen. Es ist, als würde diese Einstellung
       sagen: Ich bin inmitten der Stadt, aber ich stehe auch in einem gebrochenen
       Verhältnis dazu. Die Glasscheiben, die Spiegelungen sind ein Motiv, das
       sich durch den ganzen Film zieht. 
       
       Die erste Einstellung war nicht geplant. Das waren nicht immer
       programmatische Entscheidungen. Bei allen Versuchen einer sorgfältigen
       Vorbereitung entsteht doch vieles unbewusst oder halbbewusst. Mit den
       Blicken durch Fenster verhält es sich ähnlich. Ich mache das nicht
       systematisch. Es scheint da eine Vorliebe dafür zu geben. Vielleicht weil
       der Film, anders, als man zunächst vielleicht denkt, eben nicht eine Kunst
       des Unmittelbaren ist.
       
       6 Oct 2010
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Ekkehard Knörer
       
       ## TAGS
       
 (DIR) Spielfilm
 (DIR) Christian Petzold
       
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