# taz.de -- Zweifel an Ratingagenturen: Bilanzen raten
       
       > Firmen wie Solarworld, adidas, SAP und Dürr verzichten auf die teuren
       > Gutachten der umstrittenen Ratingagenturen. Kann das funktionieren?
       
 (IMG) Bild: Als die Bank Lehman Brothers am 15. September 2008 bankrott ging, trug sie das Prädikat "A" der Ratingagentur Standard and Poor's.
       
       Ein gnadenloseres Urteil über ein Produkt kann man kaum fällen. "Die Kosten
       hätten sich für uns nicht ausgezahlt", sagt Philipp Koecke, Finanzvorstand
       der Solarfirma Solarworld. "Ein derartiger Betrag stünde in schlechtem
       Verhältnis zu den Vorteilen."
       
       Ein wenig zurückhaltender sagt es Boris Jendruschewitz, Direktor für
       Konzernfinanzen beim Handelshaus Otto: "Das Kosten-Nutzen-Verhältnis ist
       nicht ausgewogen."
       
       Die Finanzchefs der beiden Unternehmen äußern sich zu einem ganz speziellen
       Produkt: den Gutachten von Ratingagenturen. Diese privaten Bewertungsfirmen
       prüfen, ob Banken, Fonds und Produktionsunternehmen, aber auch Staaten und
       Gemeinden ihre Schulden an ihre Gläubiger zurückzahlen können. Sind sie
       nach Meinung der Ratinganalysten dazu in der Lage, bekommen die Schuldner
       eine gute Note. Steht die Rückzahlung in Frage, gibt es eine schlechte
       Zensur - wie in der Schule. Dieses Auslesesystem aber wollen jetzt viele
       Firmen nicht mehr mitmachen. Sie verzichten auf die teuren Ratinggutachten
       der Agenturen. Dazu gehören Solarworld, Otto und andere Unternehmen.
       
       Standard & Poors, Moodys und Fitch heißen die drei weltbeherrschenden,
       privaten Ratingfirmen. Die ersten beiden sitzen in den USA, Fitch residiert
       in London. Die Abwanderung ihrer Firmenkunden kommt für sie zu einem
       ungünstigen Zeitpunkt. Ihr Ruf ist ohnehin beschädigt, wenn nicht
       ramponiert.
       
       Legendär ist diese Episode: Als die Bank Lehman Brothers am 15. September
       2008 bankrottging, trug sie das Prädikat "A" von Standard & Poors. Das
       bedeutet: "Die Fähigkeit des Schuldners, seine finanziellen Verpflichtungen
       zu erfüllen, ist stark." Als die Investmentbank implodiert war, hatte die
       Ratingagentur einige Mühe zu erklären, warum dies trotz der guten Bewertung
       geschehen konnte.
       
       In einem Pilotverfahren hat ein deutscher Privatanleger Standard & Poors
       inzwischen auf Schadenersatz verklagt, weil er auf das gute Rating
       vertraute, Anleihen von Lehman kaufte und sein Geld verlor. Kommt er durch,
       würden zahlreiche ähnliche Verfahren folgen. Weil die Agenturen
       systematisch Bestnoten für spekulative Immobilienpapiere verliehen, die
       während der Finanzkrise reihenweise zu wertlosen Schrottanlagen verfielen,
       sehen ebenso die Regierungen in den Agenturen Hauptschuldige des Desasters.
       Deswegen schlägt der Internationale Währungsfonds (IWF) bei seiner
       Jahrestagung am kommenden Wochenende in Washington vor, die Urteile der
       Agenturen weniger wichtig zu nehmen.
       
       Und jetzt machen auch noch die Firmenkunden Probleme. Der
       baden-württembergische Anlagenbauer Dürr hat gerade mit einer neuen
       Firmenanleihe 150 Millionen Euro von Privatinvestoren eingeworben - ohne
       Rating. Auch der Sportartikelhersteller adidas kommt ohne Wertgutachten
       aus, ebenso wie der Softwarekonzern SAP.
       
       Zahlen der Agentur Standard & Poors zufolge haben in diesem Jahr bis Ende
       August europaweit bereits 21 Unternehmen Anleihen ohne Rating
       herausgegeben. Im ganzen Jahr 2009 waren es 26. Allerdings: 89 Prozent der
       Emissionen erfolgen mit Rating. Trotzdem sagt Martin Faust, Professor für
       Bankbetriebslehre in Frankfurt am Main: "Es ist ein Trend, dass mehr
       Unternehmen als früher auf ein Rating durch Agenturen verzichten." Welches
       sind die Gründe? Zuerst verweisen die Unternehmen regelmäßig auf die hohen
       Kosten der Ratings. So hätte Solarworld "deutlich über 150.000 Euro zahlen
       müssen", sagt Finanzvorstand Koecke, um ein Bewertungsgutachten für die
       gesamte Firma zu erhalten. Würde der Solarzellenhersteller auch noch
       einzelne Anleihen bewerten lassen, mit denen er beispielsweise im Januar
       400 Millionen Euro von Investoren einsammelte, kämen weitere Ausgaben
       hinzu.
       
       Dann spielt eine Rolle, dass die Firmen gegenwärtig keine Probleme haben,
       Geld am Kapitalmarkt zu bekommen. Private und institutionelle Anleger
       zeichnen gern Firmenanleihen. Denn nicht mal Staatspapiere gelten in Zeiten
       öffentlicher Verschuldung noch als sicher. Wenn die Firma einen guten Ruf
       hat, sind Ratings als Beweis der Solidität gar nicht mehr notwendig.
       
       Ein weiterer Beweggrund für die neue Abstinenz der Unternehmen liegt im
       schlechteren Ruf der Ratingagenturen. "Es gibt Zweifel an der Qualität der
       Bewertungen", so Günter Dielmann, Sprecher des Anlagenbauers Dürr. Und
       Kemal Bagci von der Royal Bank of Scotland in Frankfurt sieht das ähnlich:
       "Die Ratings haben in der Vergangenheit mitunter Verlässlichkeit vermissen
       lassen. Professionelle Investoren verlassen sich deshalb verstärkt auf ihre
       internen Ratingmodelle."
       
       Die Firma Dürr freilich hatte noch ein spezielles Motiv. Ihr gefiel das
       potenzielle Anleiherating auch deshalb nicht, weil es zu schlecht war.
       "CCC" hätte die Bewertung der Agenturen gelautet, "der Schuldner ist
       gefährdet". Für solch ein Urteil möchte man nicht auch noch Geld bezahlen.
       Dürr sagt, die schlechte Einstufung sei ein Reflex auf die vergangene
       Krise, der Firma gehe es schon viel besser.
       
       Und dann gibt es noch Fälle wie die Westdeutsche Landesbank. Die ließ sich
       früher von drei Agenturen betreuen. Mittlerweile hängt die WestLB aber am
       Tropf des staatlichen Bankenrettungsfonds und muss große Teile ihrer
       Geschäfte abwickeln. Es heißt sparen. Standard & Poors wurde gekündigt.
       
       Denn noch liefern diese Agenturen nach wie vor ein gefragtes Produkt.
       Investoren wollen wissen, wem sie ihr Geld leihen. Da sind Informationen
       über die Bonität der Schuldner sehr hilfreich. RBS-Mitarbeiter Bagci sagt:
       "Ratings sind wichtig für die Transparenz." Und auch Bankprofessor Faust
       meint: "Ratings haben nach wie vor eine Berechtigung, weil sie den
       Unternehmen erleichtern, Investoren zu gewinnen."
       
       Hinzu kommt: Selbst die staatliche Bankenaufsicht drängt darauf, dass
       Banken Ratings der Unternehmen verlangen, denen sie Geld leihen. Leisten
       die Institute dem nicht Folge, müssen sie zur Sicherheit mehr Kapital in
       Reserve halten - und das reduziert ihren Gewinn. Solange das so ist, haben
       die Agenturen einen garantierten Markt.
       
       7 Oct 2010
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Hannes Koch
       
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