# taz.de -- Wirtschaftskrise in Frankreich: Camping statt Costa Brava
       
       > In Frankreich wird infolge der Finanzkrise vor allem die Unter - und
       > Mittelschicht zur Kasse gebeten. Gespart wird vor allem an
       > Freizeitausgaben wie Urlaub.
       
 (IMG) Bild: Französische Atlantik-Küste: Statt Luxusreisen ins Ausland machen viele Franzosen nun Urlaub im eigenen Land.
       
       PARIS taz | Frankreichs neuer Antiheld heißt Chirac. Nein, nicht Jacques
       wie der Expräsident, sondern Patrick Chirac. Meist ist er nur mit einem
       knappen Badeslip und einem rosa Leibchen bekleidet, blond, blauäugig und
       stets braun gebrannt, und vor allem nie um einen blöden Spruch verlegen.
       
       Die Rolle des Prototyps eines geschmacklosen Machospießers (in Frankreich:
       beauf) ist dem Komiker Franck Dubosc buchstäblich auf den Leib geschrieben.
       Er bringt auch sonst mit seinen One-Man-Shows einen meist unter die
       Gürtellinie zielenden Humor für Zuschauer von der grölenden Sorte auf die
       Bühne. Als Patrick Chirac im Film "Camping" hat er den altmodischen
       Zeltplatz mit den Hauptbeschäftigungen Barbecue, Aperitif und Seitensprung
       für 5,5 Millionen Zuschauer in Frankreich zum Trendphänomen gemacht.
       
       2009 verzeichneten die Campingplätze dank neuer einheimischer Gäste eine
       Zunahme der Reservierungen um 7,1 Prozent. In diesem Jahr erwartet man eine
       weitere Steigerung des Anteils französischer Besucher. Nicht nur wegen der
       Reklame durch den Film mit Dubosc alias Chirac. Denn da nun mal gespart
       werden soll, kommen bei den Franzosen zuerst die Freizeitausgaben dran. Im
       Durchschnitt haben sie im Jahr 2010 ihr Reisebudget um 10 Prozent gekürzt,
       6 Prozent sagen, dass sie nicht, wie noch im Vorjahr, ins Ausland reisen
       werden. Nur Zuhausebleiben kostet weniger als der Campingurlaub, den in der
       Krise viele Franzosen den Hotels, Pensionen oder Ferienhäusern vorziehen.
       "Frankreich ist das Campingland par excellence mit durchschnittlich drei
       Zeltplätzen pro Stadt und Dorf", erklären die Autorinnen France und
       Elisabeth Poulain.
       
       "Beauf" gegen "Blingbling" 
       
       Patrick Chiracs "Beauf"-Attitüde ist auch in der Mittelschicht nicht mehr
       tabu, die sich Urlaub an der Costa Brava oder auf Kreta nicht mehr leisten
       kann. Noch bis vor Kurzem hatte nicht die einfache Geselligkeit der
       Zeltplätze, sondern der exklusive Luxus der Oberschicht dieselben Leute
       angezogen. So lange ist es ja nicht her, dass sie ihren
       "Blingbling-Präsidenten" Nicolas Sarkozy gewählt und danach halb
       bewundernd, halb neidisch in Hochglanzmagazinen sein Jetset-Diner mit Stars
       im "Fouquet's" oder seine Kreuzfahrt auf einer geliehenen Luxusjacht
       bewundert haben.
       
       Das war vor der Krise. Heute missfällt den Franzosen dieses protzige Getue.
       Sarkozy büßt für sein Image als Freund der Reichsten mit einem Rekordtief
       in den Popularitätsumfragen. Nun geht er mit gutem Beispiel voran und
       verbringt mit "Carlita" drei Wochen unspektakulären Urlaub in der
       südfranzösischen Villa seiner Schwiegermutter!
       
       Seit man ihnen erklärt hat, dass angesichts der aus den Fugen geratenen
       Staatsverschuldung und der explodierender Defizite Einschnitte und
       Sozialabbau angesagt seien, sehen Franzosen und Französinnen rot, wenn "die
       da oben" weiter prassen. Dem Volkszorn geopfert wurden deswegen schon mal
       zwei Staatsminister: Der für die Planung des Großraums Paris zuständige
       Christian Blanc hatte auf Kosten der Steuerzahler für 12.000 Euro Zigarren
       geraucht, sein Kollege in der Entwicklungszusammenarbeit, Alain Joyandet,
       hatte sich einen Sonderflug im Privatjet zu einem Kolloquium über Haiti für
       116.000 Euro geleistet. Beide mussten zurücktreten.
       
       Dasselbe Schicksal hätte beinahe die sonst so populäre
       Sportstaatssekretärin Rama Yade ereilt. Sie hatte die französische
       Fußballnationalmannschaft öffentlich getadelt. Nicht wegen deren
       beschämender Ergebnisse bei der WM, sondern wegen deren Luxusherberge in
       Südafrika. Dabei war Yade selber in einer noch viel teureren Hotelsuite
       abgestiegen.
       
       Ein neues Dienstflugzeug 
       
       Als Einziger fühlt sich Staatschef Sarkozy von den Kürzungsvorgaben nicht
       wirklich betroffen, sieht man mal von seinen Urlaubsplänen ab. Er hat
       allein seine Ausgaben für Kommunikation (Propaganda) verdreifacht. Dass er
       sich nach dem Vorbild der "Air Force One" einen Airbus als persönliches
       Dienstflugzeug anschaffte, verursachte einen kleinen Skandal.
       
       Die Einschränkungen, die sich die Regierung selber auferlegt, sind
       insgesamt eher symbolischer Natur: Funktionäre sollen, statt zu fliegen,
       häufiger mit der Bahn reisen, außerdem werden 10.000 Dienstwagen und 7.000
       Dienstwohnungen gestrichen. Bestürzung herrscht nur unter den Beratern der
       Minister. Da jedes Regierungsmitglied nur noch maximal 20 Mitarbeiter haben
       darf, sollen 108 "Überzählige" ihren Job verlieren.
       
       Die Franzosen wären ja nicht aus Prinzip gegen das Sparen, man hat ihnen
       die roten Zahlen oft genug wiederholt und dramatisch an die Wand gemalt.
       Doch den Anfang sollen, bitte schön, die anderen machen. Die meisten
       BürgerInnen beklagen sich über ein Schwinden der Kaufkraft, auch wenn die
       offizielle Statistik das nicht belegt. Die Krisenpsychologie fördert eine
       spürbare Vorsicht beim Ausgeben. Im ersten Quartal ging der Privatverbrauch
       um 1,9 Prozent im Vergleich zum Vorjahr zurück. Nach einer kleinen
       Steigerung um 0,6 Prozent, die der Fußball-WM zu verdanken war, sank der
       Konsum im Juni erneut um 1,4 Prozent.
       
       Während viele schon vorher jeden Cent umdrehen mussten, fangen jetzt auch
       andere an zu sparen. Bezeichnend dafür ist, dass jetzt Harddiscounter
       großen Anklang in Frankreich finden. Diese Billigläden mit
       No-Name-Produkten galten in Frankreich bis vor Kurzem als ein aus
       Deutschland importiertes Kuriosum. Wer auf sich hielt, kaufte französische
       Qualitätslebensmittel ein. Jetzt holen sich immer mehr Konsumenten sogar
       ihr Baguettebrot ungeniert im Supermarkt statt beim Bäcker. Die Gastwirte
       sagen, dass ihre Kunden aus der Mittelschicht häufiger aufs Dessert oder
       den Käsegang verzichten. Allzu wörtlich nimmt es der Franzose mit der
       Aufforderung, den Gürtel enger zu schnallen, jedoch nicht.
       
       Rigueur und austerité, die französischen Begriffe für Sparpolitik, waren
       bis vor Kurzem Tabuwörter, die jeder Regierungsverantwortliche mied. So
       meinte Sarkozys Berater Henri Guaino mit einer an Zynismus grenzenden
       sprachlichen Akrobatik, rigueur müsse nicht als "einschneidende öffentliche
       Finanzpolitik" verstanden werden, sondern nur als "ökonomische Anpassung
       durch Kaufkraftverminderung"! Jacques Attali, Exberater des früheren
       Präsidenten François Mitterrand, warnt vor wachsender Ungleichheit und
       setzt auf Frankreichs Sinn für die soziale Ausgewogenheit der notwendigen
       Opfer: "In unserem Land, mit dem es bergab geht, ohne dass wir dies zugeben
       wollen, funktioniert die Allianz zwischen dem ererbten Reichtum und den
       kleinen Privilegien wie geschmiert. Alle diese Nutznießer halten zusammen,
       um zu verhindern, dass die Sparpolitik ihre (großen und kleinen)
       Privilegien infrage stellt.
       
       Über kurz oder lang aber muss sich eine sozial gerechte rigueur
       durchsetzen." Der Sprecher der Sozialisten in der Nationalversammlung,
       Jean-Marc Ayrault, ist nicht sehr optimistisch: "Es sind die unteren und
       mittleren Schichten, die bei diesem Sparplan zur Kasse gebeten werden. Das
       wird sich auch auf den Privatverbrauch und die Investitionen auswirken. Wir
       gehen auf eine sozial harte Zeit zu, die auch für die Wirtschaft gefährlich
       ist."
       
       Ein politisches Signal 
       
       Wegen der Griechenland-Krise ist auch Frankreich stark unter Druck geraten.
       Um das Defizit von mehr als 8 Prozent und die Verschuldung von über 80
       Prozent BIP-Anteil in diesem Jahr bis 2013 wieder in die Nähe der
       Maastricht-Kriterien zu senken, hat die Regierung einen angeblich
       drakonischen "Sparplan" angekündigt. Was sie dann schließlich an
       Sparmaßnahmen dekretierte, war jedoch mehr als politisches Signal an die
       EU-Kommission und die deutsche Bundeskanzlerin bestimmt. Zu lesen auch als
       Botschaft an die Finanzmärkte im Allgemeinen und die Ratingagenturen im
       Besonderen, die drohen, Frankreich als Kreditnehmer wie zuvor die Griechen,
       Spanier oder Portugiesen wegen der Staatsverschuldung schlechter zu
       bewerten.
       
       Premierminister Fillon, der schon 2007 beklagt hat, er stehe an der Spitze
       eines Staates, der seit 25 Jahren keine ausgeglichene Jahresrechnung
       präsentieren kann, will nun die öffentlichen Ausgaben reduzieren: Einer von
       zwei Beamten, die in Rente gehen, soll effektiv nicht ersetzt werden. Die
       Ausgaben der Ministerien werden ohne Teuerungsanpassung auf dem jetzigen
       Stand eingefroren. Bis 2013 soll die Nation durch diese Ausgabenkürzungen
       und zusätzliche Steuereinnahmen laut Fillon 100 Milliarden Euro "sparen".
       Dazu sollen bestimmte Steuerabzüge (beispielsweise für Eigenheimkredite
       oder für die Anstellung von Hauspersonal) gestrichen werden.
       
       Insgeheim aber hoffen alle, dass ein Wirtschaftswachstumswunder geschieht
       und ihnen schmerzlichere Einschnitte in private und öffentliche Ausgaben
       erspart.
       
       26 Aug 2010
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Rudolf Balmer
       
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