# taz.de -- Grüne schweigen zu Integrationsdebatte: Maul halten gilt nicht
       
       > Das Umfragehoch der Grünen mag viele Gründe haben. Einen gewiss nicht:
       > Ihre Positionierung zur aktuellen Integrationsdebatte. Was ist da
       > eigentlich los? Ein offener Brief.
       
 (IMG) Bild: Feiern reicht nicht: Grüne.
       
       Liebe Claudia, liebe Renate, lieber Cem, lieber Jürgen.
       
       Was ist eigentlich los mit Euch? Draußen im Lande tanzen sie wie wild den
       Sarrazin. Und Ihr hockt in Eurer Parteizentrale und kriegt den Mund nicht
       auf. Sicher, bei der Integrationsdebatte geht es laut zu. Und man versteht
       kaum sein eigenes Wort. Doch gerade Du, Claudia, gehst doch sonst
       eigentlich keinem Mikrofon aus dem Weg und sagst so kluge kämpferische
       Sachen wie vorletzte Woche, als Du der Bundesregierung wegen der Erhöhung
       des Arbeitslosengeldes II um 5 Euro einen heißen Herbst angedroht hast,
       weshalb sich Merkel, Westerwelle und Co. warm anzuziehen hätten!
       
       Ja. Es gab - die erwarteten - Statements von Euch. "Weg mit Sarrazin!"
       etwa. Das klang wie "Nazis raus!" Und tatsächlich, sagst Du, Claudia,
       bekomme man "bei Leuten wie Sarrazin ja auch das Gefühl, dass da jemand die
       Ideologie der NPD vertritt". Das war es dann aber auch schon. In die
       heftige Debatte, die nach der Vorstellung von Sarrazins Buch "Deutschland
       schafft sich ab!" engagiert überall in Deutschland geführt wurde und die
       der Sache (Integration) leider nicht immer gerecht wurde, habt ihr Euch
       dann nicht mehr eingemischt. Vom Beziehen klarer Positionen zum Thema ganz
       zu schweigen.
       
       Dabei war diese Debatte längst überfällig. Und sie ist ein Indiz dafür,
       dass Deutschland nicht "Holland" ist. Den erfreulichen aktuellen
       Zwischenstand der Diskussion markiert die Bemerkung von Bundespräsident
       Christian Wulff (CDU) am Tag der Deutschen Einheit: "Ich bin ein Moslem"
       (flapsig verkürzt). So weit, so gut. Ihr allerdings habt zu dieser
       Entwicklung keinen gescheiten Beitrag geleistet. Leider. Sarrazin
       abzuwatschen war zwar im Prinzip richtig - wegen seiner blödsinnigen
       Vererbungstheorien und seinen derben Tritten nach ganz unten -, aber auch
       arg billig. Denn das haben die Kanzlerin (CDU), Sarrazins "Parteifreunde"
       in der SPD und selbst der bekennende Konservative Roland Koch (CDU), auch
       getan. Koch wies in einem Interview zudem noch süffisant darauf hin, dass
       Ihr Grüne "den Schlüssel für die Integration", nämlich "das Erlernen der
       deutschen Sprache", noch vor zehn Jahren als "Zwangsgermanisierung"
       verunglimpft und abgelehnt hättet. Und wo Koch recht hat, hat er recht.
       
       Von Euch Grünen haben ja gleich nach der Wende nicht wenige auch für
       "offene Grenzen für alle" plädiert. Da hätten "wir" jetzt wohl nicht nur in
       einigen Stadtteilen von Berlin, Köln und Hamburg massive Integrations-
       respektive Akzeptanzprobleme (wechselseitig). Und es würde ganz sicher
       nicht so viele junge Menschen mit Einwanderungshintergrund geben, die hier
       in Deutschland eine (neue) Heimat und ihren Platz in der Gesellschaft
       gefunden haben. Und die aufgrund ihrer aktuellen Lebenswirklichkeit zu dem
       (Trug-) Schluss kommen, dass "Deutschland gar kein Integrationsproblem hat"
       (wie der deutsch-türkische Fußballer Nuri Sahin).
       
       Lieber Cem. Als "Gastarbeiterkind" (Özdemir) hast Du schon vor ziemlich
       genau einem Jahr geschrieben, dass eine bessere Bildungspolitik allein
       nicht mehr ausreiche, um die Integration weiter vorantreiben zu können.
       "Wir" bräuchten jetzt vor allem "anerkannte Brückenbauer in den
       Migrantencommunitys, die uns helfen, patriarchalische Denkmuster und
       Milieus aufzubrechen". Warum aber fängst Du dann nicht endlich damit an,
       diese "Migranten, die es geschafft haben" (Özdemir), für die Integration
       der noch abgeschottet hier lebenden Einwanderer meist muslimischen Glaubens
       in diese freie Gesellschaft zu mobilisieren ?
       
       Wegschauen und Maul halten gilt nämlich nicht (mehr). Kommunale Ghettos, in
       denen etwa aus Ostanatolien importierte Wertvorstellungen vorherrschen, und
       Hassprediger in Hinterhofmoscheen sind nämlich genau so inakzeptabel wie
       die von Euch zu Recht kritisierten islamophoben urdeutsche Kleingeister,
       die sich zu Bürgerwehren gegen Moschee- oder Minarettbauvorhaben, die der
       Integration dienen, zusammenrotten. Ihr wollt doch die auf das Grundgesetz
       eingeschworene Bürgerrechtspartei bleiben! Oder ruht Ihr Euch jetzt nur
       noch auf Euren Umfrageerfolgen aus? Das könnte böse enden.
       
       Mit freundlichen Grüßen
       
       Klaus-Peter Klingelschmitt
       
       (parteilos)
       
       7 Oct 2010
       
       ## TAGS
       
 (DIR) Deniz Yücel
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
 (DIR) Integrations-Debatte: Seehofer macht den Sarrazin
       
       Bayerns Ministerpräsident Horst Seehofer (CSU) hält Zuwanderer aus der
       Türkei und arabischen Ländern für Integrationsverweigerer. Das ist selbst
       in der Union umstritten.
       
 (DIR) CDU sucht Position zum Islam: Die Verunsicherten
       
       Bei der ersten Regionalkonferenz interessiert sich die CDU-Basis nur für
       ein Thema: Islam. Dabei zeigt sich, dass "wir und die" selbst innerhalb der
       Partei schwer auseinanderzuhalten sind.
       
 (DIR) Wulff-Rede beim Festakt zur Einheit: Islam ist ein Teil Deutschlands
       
       Bundespräsident Wulff lobt in Bremen den ostdeutschen Beitrag zur Einheit -
       und bekennt sich zur Einwanderungsgesellschaft. Helmut Kohl erwähnte er nur
       einmal.
       
 (DIR) Türkdeutsche und Ostdeutsche: "Diese verfluchte Einheit"
       
       Was Ostdeutsche und Türkdeutsche miteinander verbindet – und warum sie sich
       trotzdem nicht leiden können. Mit der Wiedervereinigung fing es an.