# taz.de -- Länderspiel Deutschland gegen Türkei: Ein Pass ist auch nur ein Stück Pappe
       
       > Die deutsche Nationalmannschaft gewinnt 3:0 gegen die türkische –
       > spannender aber ist die Rolle von Mesut Özil, an dessen Person sich eine
       > bisweilen absurde Debatte kristallisiert.
       
 (IMG) Bild: Türkei-Fans im Berliner Olympiastadion versuchen Mesut Özil zu überzeugen, die Seiten zu wechseln.
       
       Es ist einer der ältesten Allgemeinplätze, die der Fußball bereithält: Nach
       dem Spiel ist vor dem Spiel. Und so wird der Fan der türkischen
       Nationalmannschaft, der Freitagnacht durchs Brandenburger Tor schritt, wohl
       an den spielerischen Umgang mit Identitäten gedacht haben, als er den Autor
       dieser Zeilen mit dem Ausruf bedachte: "Ey, scheiß Deutscha, Alda."
       
       Dass der junge Mann mit, wie man so sagt, migrantischem Hintergrund,
       mutmaßlich in Neukölln, Wedding oder Kreuzberg zu Hause und im Besitz eines
       deutschen Passes ist, sich selbst beschimpfte, das mag ihm vielleicht nicht
       bewusst gewesen sein. Genauso wenig wie der Masse im Berliner
       Olympiastadion, die Mesut Özil, sobald dieser in Ballbesitz war, gellend
       auspfiff. Hatte es nicht vorm Spiel geheißen, die türkische Fußballgemeinde
       sei stolz darauf, dass es einer der "ihren" in die Startelf von Real Madrid
       geschafft hat? Das war den Türkei-Fans im Spiel gegen die DFB-Elf nicht
       mehr so wichtig. Offensichtlich überwog der Groll darüber, dass Özil sich
       das weiße Trikot des DFB übergestreift hatte - und nicht das rote der Milli
       Takim, der türkischen Nationalmannschaft.
       
       Özil wurde als Renegat betrachtet, als Abtrünniger, als einer, dem man
       diese Entscheidung nicht verzeihen mag. Die Pfiffe hatten etwas
       Unversöhnliches, Starrköpfiges, Anachronistisches. Das passte so gar nicht
       zum als "Freundschaftsspiel" annoncierten EM-Qualifikationsspiel, das mit
       einem 3:0 für die DFB-Mannschaft endete.
       
       Der Fußball taugt manchmal als soziologisches Experimentierfeld, weil auf
       den Rängen Einstellungen in Reinkultur zu besichtigen sind. Im Dickicht der
       Masse wird manches artikuliert, was man vor einem Mikrofon und dem Rotlicht
       der laufenden Kamera vielleicht nicht äußern würde. In diesem Fall kam
       hinzu, dass ein erklärter Freund von Özil, Hamit Altintop, Spieler von
       Bayern München und türkischer Nationalspieler, die Stimmung - sicherlich
       ungewollt - angeheizt hatte, indem er sein Unverständnis darüber äußerte,
       dass sich Deutschtürken, auch solche wie Özil, die in der dritten
       Generation in Deutschland leben, für den DFB entscheiden und nicht fürs
       Land der Urgroßväter und Urgroßmütter. Altintop sagte nichts anderes als:
       "Wir mögen hier leben und arbeiten, dennoch bleiben wir tief drinnen
       Türken, komme, was wolle."
       
       Für sich hat Altintop die Frage nach der Heimatverbundenheit klar
       beantwortet, denn wo zeigte sich solche Parteilichkeit deutlicher als auf
       dem Feld des Fußballs. Das gilt für die Fans gleichermaßen. Der deutsche
       Pass ist aus Papier - und was ist ein bisschen Pappe schon gegen den Stoff,
       aus dem die Leidenschaften sind: Herzblut und das Land der Ahnen.
       Möglicherweise fühlten sich die türkischen Fans ja sogar provoziert von
       Özils Satz, er sei stolz, ein Deutscher zu sein. Das war womöglich zu viel
       der Identifikation mit, ja, wie soll man sagen: mit der Heimat, dem
       Vaterland, der Wohnstätte? Es ist ein weites Feld.
       
       Andererseits: Spieler wurden schon wegen nichtigeren Dingen niedergepfiffen
       - weil sie sich linkisch bewegten oder als Schwalbe durch den Strafraum
       segelten. Der Fußballplatz ist halt keine Tennisarena, in der der Zuschauer
       an seinen inneren Regungen erstickt. Und es bleibt festzuhalten, dass es
       friedlich zuging im Olympiastadion und drum herum. Gerade deswegen passte
       es nicht, das Unmutsvotum der Türkei-Fans.
       
       Özil, dem die Geräuschkulisse nicht entgehen konnte, zeigte sich
       unbeeindruckt davon, er spielte fast schon so, als würden ihn die Pfiffe
       anstacheln. Seine Abgeklärtheit unterstrich seinen Status als
       Weltklassespieler. Er kann Drucksituationen standhalten, und was für
       welche. Selbst wenn ihn 45.000 Fußballfans im "Heimstadion" auspfeifen,
       macht er sein Tor und führt sein Team zum Sieg. Ja, er sann am Freitag
       nicht einmal auf Rache. Seinen Treffer zum 2:0 bejubelte er nur äußerst
       zurückhaltend. In einem Interview nach dem Spiel ließ er wissen: "Es war
       eine tolle Sache für mich, dass ich in diesem Spiel ein Tor geschossen
       habe. Aber es war eine spontane Entscheidung, nicht groß zu jubeln - aus
       Respekt vor der Heimat meiner Vorfahren." Die Pfiffe habe er ausgeblendet,
       gab er vor.
       
       Es wird Mesut Özil jetzt guttun, ein bisschen Distanz zwischen sich und
       Deutschland und der Türkei legen zu können. Denn in Astana, wo am Dienstag
       ein weiteres EM-Qualifikationsspiel, diesmal gegen Kasachstan (19 Uhr,
       ZDF), steigt und auch später in Madrid dürfte sich kaum einer für die
       deutsche Integrationsdebatte interessieren.
       
       10 Oct 2010
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Markus Völker
       
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