# taz.de -- Bündnis will kostenlosen Nahverkehr: Abfahren auf die Utopie
       
       > Mit einem Aktionstag will ein Bündnis für kostenlosen Nahverkehr werben.
       > Politiker fast aller Parteien halten das für nicht finanzierbar. Nur die
       > FDP will es probieren.
       
 (IMG) Bild: Alle fahren kostenlos - das wünscht sich das Bündnis "Berlin fährt frei".
       
       Bahn- und Busfahren für lau, nie mehr Fahrkartenkontrolleure - nichts
       anderes wünscht sich das Bündnis "Berlin fährt frei", das mit einem
       Aktionstag am heutigen Dienstag für kostenlosen Nahverkehr in Berlin werben
       will. Das Berliner Sozialforum, die Ökologische Linke sowie die Initiativen
       "Für eine linke Strömung" (Fels) und Gegenstrom wollen Berlin zur ersten
       Großstadt ohne Fahrscheine machen. Weltfremd? Nicht unbedingt: Sogar die
       FDP plädiert für einen kostenlosen Testmonat.
       
       "Wenn wir die Klimafrage lösen wollen, gibt es keine Alternative als ein
       radikales Zurückdrängen des motorisierten Individualverkehrs", erläutert
       Sigrid Graumann von "Berlin fährt frei" die Idee. Auch würde so für
       Menschen mit wenig Geld Mobilität ermöglicht. "Die Finanzierung ist eine
       Frage des politischen Willens. Schon heute ist der Nahverkehr zur Hälfte
       öffentlich finanziert", so Graumann. Das zusätzliche Geld könnte man etwa
       beim Straßenbau einsparen oder durch Parkgebühren reinholen: "Rechnet man
       die Umweltschäden des Individualverkehrs mit ein, trägt das Konzept
       ohnehin." Am Dienstag, dem internationalen Aktionstag für
       Klimagerechtigkeit, wirbt das Bündnis auf dem Alexanderplatz für die Idee.
       Ab 17 Uhr soll dann "der kostenlose Nahverkehr schon mal ausprobiert
       werden".
       
       Auch die FDP fordert einen Freifahrtmonat für Bahn und Busse - um Kosten
       und Nutzen zu evaluieren. Der Antrag entsprang der Hochphase des
       S-Bahnchaos im Sommer 2009. "Wir halten weiter an der Forderung fest", so
       FDP-Sprecher Tobias Berten am Montag. Eine dauerhafte Kostenfreiheit sei
       stadtentwicklungs- und umweltpolitisch interessant, "wohl aber nicht
       finanzierbar".
       
       Der Senat hingegen winkt gleich ab. "Das Modell ist in Berlin nicht
       tragbar", sagte eine Sprecherin von Stadtentwicklungssenatorin Ingeborg
       Junge-Reyer (SPD). Weder könne der Senat den Verkehrsunternehmen die
       Ausfälle zahlen, noch gebe es Erkenntnisse, dass Freifahrten die Autofahrer
       massenhaft auf die Schiene locken würden. Jutta Mattuschek (Linke) hält die
       Idee für "populistisch". "Die eingefleischten Autofahrer kriegt man nur mit
       schnellen und verlässlichen Verbindungen." Und für Bedürftige gebe es das
       Sozialticket für 33,50 Euro pro Monat.
       
       Selbst die Grüne Claudia Hämmerling bezeichnet die Idee als "gut, aber
       unbezahlbar". Schon heute müsse Berlin 700 Millionen Euro für den
       Nahverkehr stemmen. "Mit der Schuldenbremse können wir froh sein, das
       Angebot zu halten." Praktikabel sei ein autofreier Tag, um zu zeigen, "dass
       es auch ohne geht".
       
       Weert Canzler, Mobilitätsforscher am Wissenschaftszentrum Berlin, verweist
       neben den "gigantischen Kosten" auch auf den dann fehlenden Wettbewerb. Der
       aber sei nötig, um den Nahverkehr attraktiver zu machen. Canzler plädiert
       für konsequente Parkgebühren und eine Citymaut - in Form eines
       Pflicht-Fahrscheins für Autofahrer. Denkbar sei auch eine "Schnupperwoche",
       bei der der Führerschein gegen ein Wochenticket eingetauscht würde. "So
       könnten Routinen gebrochen werden."
       
       Im Kleinen wird der kostenlose Nahverkehr dagegen längst erprobt. 1997
       wurde er im märkischen Templin eingeführt, 1998 in Lübben. In beiden
       Kleinstädten ist heute wieder ein geringer Fahrpreis fällig. "Das Konzept
       hat so gut funktioniert, das wir es uns nicht mehr leisten konnten", sagt
       Lübbens Stadtsprecherin Hannelore Tarnow. Eingeführt aufgrund massiver
       Stauprobleme, hatten sich nach zwei Jahren die Fahrgastzahlen von 48.000
       auf 85.000 Personen fast verdoppelt. Die Kostendeckelung auf 100.000 Mark
       war da bereits überschritten. Heute kostet ein Busticket in Lübben 60 Cent,
       ermäßigt 30 Cent.
       
       12 Oct 2010
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Konrad Litschko
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
 (DIR) S-Bahn entschädigt Kunden: Bahn zahlt 70 Millionen Euro
       
       Die Bahn will Fahrgäste in Berlin und Brandenburg mit Freimonaten und
       Preissenkungen für das anhaltende Chaos bei der S-Bahn entschädigen.
       
 (DIR) FDP-Vorschlag für Nulltarif bewegt die Stadt: Freie Fahrt für freie Bürger
       
       Linkspartei und CDU stützen FDP-Antrag: Die fordert für April freie Fahrt
       in Bus und Bahn und eine Begleituntersuchung. Zahlen soll die S-Bahn.
       Verkehrsclub winkt ab: Was nichts kostet, sei auch nicht wert.