# taz.de -- Tadschikistan: Alleine auf dem Dach der Welt
       
       > Verschneite Gipfel, einsame Seen und Marco-Polo-Pferde: eine Reise durch
       > das Pamir-Gebirge gilt als Geheimtipp für Abenteurer.
       
 (IMG) Bild: Das Hochgebirge von Tadschikistan.
       
       Eine schmale Schotterpiste führt zum Haus von Massain Massainow. Es geht
       hinauf nach Dasht, einem kleinen Dorf am südlichsten Zipfel von
       Tadschikistan. Gegenüber ragen die majestätischen Gipfel Afghanistans in
       den Himmel, im Tal bahnt sich der Pandsch-Fluss seinen Weg. Bei Massain,
       70, wird heute gefeiert, sein Sohn Aman ist aus Moskau nach
       Berg-Badachschan zurückgekehrt. Aman wird in die Fußstapfen seines Vaters
       treten. Der baut Zupfinstrumente und gilt als Meister seines Fachs.
       
       Am Eingang steht Massains Schwiegertochter und reicht Brot und Salz als
       Zeichen tadschikischer Gastfreundschaft. Wir befinden uns im Pamir, dem
       zweithöchsten Gebirge der Welt hinter dem Himalaja. Die Tadschiken
       bezeichnen ihre Bergkette als „Bam-I-Danja“, das bedeutet „Dach der Welt“.
       
       Drinnen, im geräumigen typischen Pamiri-Haus, ist die ganze Familie
       versammelt, die Stimmung ist euphorisch. Massain hat seine gesamte
       Saiteninstrumentenkollektion aufgebaut, alle wurden aus dem Holz von
       Maulbeerbäumen geschnitzt. Seine Sammlung ist so kurios, dass Massain sie
       vor ein paar Jahren einmal bei einem Festival in Burkina Faso präsentierte.
       Niemand in der Gegend ist so weit herumgekommen wie er.
       
       Der Hausherr ergreift seine „Rubab“, eine doppelbauchige, siebensaitige
       „Gitarre“, und fängt an zu spielen. Als die ersten Klänge ertönen, fangen
       die Frauen an zu tanzen, die Stimmung steigt.
       
       „Mein Sohn wird die Tradition fortführen. Er wird genügend Instrumente
       verkaufen und seine Familie ernähren können, er braucht nicht länger in der
       Fremde zu weilen“, sagt Massain.
       
       Dass die Menschen in der bitterarmen Pamir-Region wieder Hoffnung schöpfen,
       hat vor allem mit dem Aga Khan zu tun. Tadschikistan ist ein muslimisches
       Land, doch fast alle der 200.000 Bewohner von Berg-Badachschan sind
       Ismailiten und gehören damit einer liberalen Minderheit des Islam an. Ihr
       spiritueller Führer ist der Aga Khan.
       
       Wie in jedem Haus im Pamir hängt auch bei Massain das Porträt des Aga Khan.
       In den letzten Jahren hat das sogenannte Aga-Khan-Entwicklungsnetzwerk
       (AKDN) beträchtliche Summen für die Entwicklung von Tadschikistan locker
       gemacht, denn das Land gilt als das ärmste der ehemaligen Sowjetrepubliken.
       
       Zuerst wurden im Hochgebirgsland die Stromnetze modernisiert, danach wurde
       in Chorugh ein Ableger der zentralasiatischen Universität gegründet, nun
       soll der Tourismus entwickelt werden.
       
       „Verglichen mit dem nahegelegenen Himalaja verirren sich nur wenige
       Touristen hierher“ - weiß Scharaf Saidrachmonow, der als Reiseführer gerade
       so über die Runden kommt. „Wer hierher kommt, ist fast alleine auf dem Dach
       der Welt, das ist ein echter Luxus“, sagt Scharaf und lacht.
       
       Auch viele Frauen profitieren von der Aga-Khan-Initiative. Eine davon ist
       Gulandon Imomnasarowa (37), die in Chorugh eine kleine Herberge eröffnet
       hat und vier Zimmer in ihrem Haus vermietet. Da die Gäste mit den
       Einheimischen unter einem Dach leben, heißen diese Unterkünfte „Homestays“.
       Für 6,50 Euro pro Nacht bekommt man ein Bett.
       
       Um ihre Häuser für Touristen auszurüsten, können die Tadschiken auf
       Mikrokredite der sogenannten First Microfinance Bank zurückgreifen.
       Dahinter steht ebenfalls die Aga-Khan-Stiftung. Frauen stellen derzeit
       schon mehr als ein Drittel der Kreditnehmer.
       
       Viele Ismailiten, die heute im abgeschiedenen Berg-Badachschan leben, sind
       erst während des Bürgerkriegs (1992 bis 1997), der dem Zusammenbruch der
       Sowjetunion folgte, gekommen. Die meisten der ehemaligen Flüchtlinge
       stammen aus der 600 Kilometer entfernten Hauptstadt Duschanbe.
       
       „Wir verdanken alles dem Aga Khan, er war es auch, der uns Ismailiten
       während des Bürgerkriegs half und Lebensmittel und Saatgut hier einfliegen
       ließ“, erläutert Gulandon. Jetzt müssen nur noch Gäste den Weg hierher
       finden. Allerdings ist es nicht eben leicht, nach Chorugh zu gelangen. Die
       Anreise ist nur mit dem Geländewagen möglich. 15 Stunden braucht man von
       Duschanbe aus, dabei geht es unentwegt über Gebirgspässe, tiefe Schluchten
       und reißende Flüsse. Ein Hubschrauber verkürzt die Reisezeit auf 75
       Minuten, doch er fliegt nur bei guter Sicht über die hohen Berge, und
       außerhalb der Sommermonate bleiben in der Regel Wolken an den Gipfeln
       hängen.
       
       Chorugh ist ein ruhiges Städtchen mit gepflegten Parkanlage. Überall gibt
       es Hinweise auf die jahrzehntelange Präsenz der Sowjets, auf den lokalen
       Bauernmärkten werden hauptsächlich Waren aus Russland verkauft, noch heute
       heißt die Hauptstraße von Chorugh Leninstraße.
       
       Wir verabschieden uns von Massains Familie und den Bewohnern von Dasht und
       rumpeln immer am Pandsch-Fluss entlang, der natürlichen Grenze zwischen
       Tadschikistan und Afghanistan. Während der Sowjet-Zeit war die eintausend
       Kilometer lange Grenze geschlossen, jetzt gibt es mehrere Brücken ins
       Nachbarland, wo die Tadschiken immerhin ein Viertel der Bevölkerung
       stellen.
       
       Wir bleiben auf der tadschikischen Seite und fahren an grasenden Yakherden
       vorbei. Die friedlichen Zotteltiere geben eine überaus gehaltvolle Milch,
       sie bildet eine wichtige Nahrungsgrundlage für die Menschen hier. Zwei
       Bäuerinnen kommen vorbei und laden uns ein, ihr Mahl mit ihnen zu teilen,
       frisches Fladenbrot und Yakmilch.
       
       „Wir freuen uns hier noch über jeden Besucher“, sagt Sumrat Schambiewa. In
       dem Dörfchen Langar betreibt sie ebenfalls einen Homestay. Sumrat war
       früher Deutschlehrerin, jetzt versucht sie sich als Herbergsmutter. Nur
       rund 40 Gäste hat sie im Jahr, doch Sumrat ist zuversichtlich, dass es bald
       mehr werden, schließlich gilt ihr raues Land als Geheimtipp für
       Abenteuertouristen und Bergsteiger. „Meine deutschen Gäste empfehlen mich
       weiter“, sagt sie mit einem Augenzwinkern.
       
       Tadschikistan ist auch bei Jägern beliebt. In den schwer zugänglichen
       Hochgebirgsregionen zwischen Tadschikistan und Afghanistan soll es noch
       einzelne Bestände der legendären Marco-Polo-Schafe geben, benannt nach dem
       berühmten Weltreisenden, der im 13. Jahrhundert durch das Pamir kam.
       Inzwischen sind die kuriosen Schafe vom Aussterben bedroht und stehen unter
       Schutz, doch gegen die Zahlung von rund 12.000 Euro erhält man einen
       Jagdschein - wie in vielen ehemaligen GUS-Staaten gibt es auch hier diese
       Art der Devisenbeschaffung.
       
       Am nächsten Tag verlassen wir Langar und fahren über den Kargush-Pass
       (4.344 Meter), immer entlang an Felswänden, die von Gletscherkuppen gekrönt
       sind. Dann nimmt die Vegetation allmählich ab, an die Stelle enger
       Schluchten treten weite Hochebenen, die Piste wird sandig. Nach einer Weile
       kreuzen wir den Pamir-Highway, die Hauptverkehrsstraße des Pamir, die
       Chorugh mit Osch in Kirgistan verbindet. Kurz danach taucht der riesige
       Yashilkul-See auf.
       
       Er ist einer der schönsten der zwölfhundert Seen des Landes. 3.700 Meter
       liegt er hoch, das Atmen fällt schwer, als wir zum Ufer herabsteigen.
       Weiter geht es zum einsamen Bulunkul-See, das gleichnamige Dorf liegt auf
       einer vegetationsfreien Hochebene ein paar Kilometer weiter.
       
       Dort lebt seit vielen Jahren die Familie von Otomboi, ein in die Jahre
       gekommener Tadschike. Etwas abseits vom Ortskern hat Otomboi eine Jurte
       aufgebaut, seine Familie lebt von Mai bis September hier, vor der Türe
       grasen seine Yaks. Manchmal vermietet die Familie die Jurte auch an
       Touristen, für 100 Somoni (rund 13 Euro) am Tag.
       
       „Früher mussten wir uns um nichts kümmern, die Sowjets ließen es an nichts
       fehlen. Doch jetzt müssen wir selbst schauen, wie wir über die Runden
       kommen“, erläutert Otomboi. Auch in Bulunkul ist die Neuzeit angebrochen,
       die Menschen verdienen ihren Unterhalt mit ihren Yakherden und fortan auch
       mit einer neuen Spezies, die sich hierher verirrt: Touristen.
       
       12 Oct 2010
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Ute Müller
       
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