# taz.de -- SPD-Politiker Schneider über Integration: "Deutschland ist ein Einwanderungsland"
       
       > Nordrhein-Westfalens Integrationsminister Guntram Schneider (SPD) wirft
       > der Union Stammtischparolen vor. Auf Kosten von Minderheiten. Ein
       > Punktesystem will er aber auch nicht haben.
       
 (IMG) Bild: Multi-Kulti ist nicht gescheitert, sondern Realität.
       
       taz: Herr Schneider, warum wird zurzeit so erregt über Integration
       diskutiert? 
       
       Guntram Schneider: Zum einen geht es um reale Probleme: Die konkrete
       Integrationspolitik hat viel zu spät eingesetzt, weil die Politik zu lange
       dem Irrglauben anhing, Deutschland sei kein Einwanderungsland. Viele in der
       Union wollen das ja bis heute nicht wahrhaben. Zum anderen wird hier
       perfide versucht, aus der Diskreditierung gesellschaftlicher Minderheiten
       politisch Kapital zu schlagen.
       
       Wen meinen Sie? 
       
       Bei Herrn Seehofer und seiner Partei sieht man das beispielsweise sehr
       deutlich. Die meinen, sie müssten den deutschen Stammtisch bedienen, um aus
       einem politischen Loch herauszukommen. Ich halte es für unverantwortlich,
       wenn bisherige Integrationserfolge kurzfristigen politischen
       Profilierungsinteressen geopfert werden.
       
       In Teilen der Bevölkerung kam auch Merkels Aussage, Multikulti sei
       gescheitert, gut an. 
       
       Ich kann mit einem solchen Testat nichts anfangen. Wer sagt, Multikulti ist
       gescheitert, kann auch behaupten, zwei mal zwei ist nicht vier. Wir leben
       doch in einer multikulturellen Gesellschaft. Schauen Sie mal nach
       Düsseldorf: Hier sind weit über 130 Nationalitäten zu Hause, entsprechend
       bunt ist auch das Leben. Wie organisieren wir ein möglichst spannungsarmes
       Zusammenleben sehr unterschiedlicher Menschen? Das ist die Frage. Die
       Geschäftsgrundlage dafür sind unsere Rechtsordnung und die Verfassung.
       
       Was bedeutet das konkret? 
       
       Die Integrationspolitik der rot-grünen Landesregierung hat drei zentrale
       Elemente: Erstens geht es um Bildung. Ausgehend von den Kindergärten muss
       sichergestellt sein, dass kein Kind eingeschult wird, das nicht die
       deutsche Sprache kann. Zweitens geht es um Arbeit. Wir müssen mehr für
       berufliche Qualifizierung tun, damit Menschen mit Migrationshintergrund
       besser auf dem ersten Arbeitsmarkt Platz finden. Drittens wollen wir die
       Möglichkeiten an gesellschaftlicher Teilhabe und Beteiligung erhöhen, zum
       Beispiel über das kommunale Wahlrecht für Nicht-EU-Ausländer. Außerdem
       wollen wir die Übernahme von Doppelstaatsangehörigkeiten erleichtern.
       
       Sie sind Nachfolger des Christdemokraten Armin Laschet, dessen
       Integrationspolitik gelobt wurde. Sind seine Schuhe nicht etwas zu groß für
       Sie? 
       
       Nein, überhaupt nicht. Laschet hat Marken gesetzt, an die man anknüpfen
       kann, das ist keine Frage. Allerdings liegen bei mir die Akzente etwas
       anders. Mir geht es um eine Integrationspolitik von unten - ausgehend von
       dem, was die Menschen erleben. Im nächsten Jahr werden wir ein
       Integrationsgesetz in den Landtag einbringen, um Integration auf
       verbindliche Beine zu stellen. Hierüber werde ich einen breiten Diskurs mit
       allen gesellschaftlichen Kräften und besonders mit den selbst organisierten
       Menschen mit Migrationshintergrund initiieren.
       
       Wirtschaftsminister Brüderle fordert ein Punktesystem, um Hochqualifizierte
       ins Land zu holen. Was halten Sie davon? 
       
       Wir brauchen ein solches Punktesystem im Moment nicht. Der drohende
       Fachkräftemangel muss primär dadurch bekämpft werden, dass man die
       Menschen, die hier sind, qualifiziert. Das gilt gerade auch für Menschen
       mit Migrationshintergrund: Ihre Arbeitslosenquote ist fast dreimal so hoch
       wie der Durchschnitt. Das ist einfach nicht akzeptabel.
       
       Darüber hinaus wären wir schon ein Stück weiter, wenn wir uns endlich
       ernsthaft der Anerkennung ausländischer Abschlüsse und Diplome widmen
       würden. Wir haben allein in NRW 130.000 Menschen mit ausländischen
       Abschlüssen, die darauf warten, dass diese Qualifikationen anerkannt
       werden. Hier gibt es ein großes Reservoire an Fachkräften, das wir im
       Interesse unserer Wirtschaft auch heben müssen.
       
       24 Oct 2010
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Pascal Beucker
       
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