# taz.de -- Studie über Doping in Deutschland: Pervitin zum Frühstück
       
       > Erste Ergebnisse einer Studie beweisen: Schon kurz nach dem Krieg wurde
       > in Deutschland kräftig gedopt. Auch die "Helden von Bern" geraten unter
       > Verdacht.
       
 (IMG) Bild: Unter Dopern oft gesehen, aber nicht jedes Dopingmittel wird gespritzt.
       
       LEIPZIG taz | Die Trümmer des Zweiten Weltkriegs rauchten noch, da wurde
       schon gedopt. Das ergab der erste Zwischenbericht des Forschungsprojekts
       zur Aufarbeitung von "Doping in Deutschland von 1950 bis heute aus
       historisch-soziologischer Sicht im Kontext ethischer Legitimation". Die am
       Montag in Leipzig vorgestellten ersten Ergebnisse behandeln die bislang
       wenig beleuchtete Phase vor dem Aufkommen der Anabolika. Festgestellt wird
       vor allem eine in Dimension und Dichte erstaunliche Übernahme von Mitteln,
       die die Kampffähigkeit von Soldaten erhöhten, in den Leistungssport. Die
       Rolle, die im heutigen Spitzensport EPO spielt, übernahm damals das
       Aufputschmittel Pervitin.
       
       "Ich selbst habe einen Fall erlebt, wo ein Langstreckenläufer unter der
       Wirkung des Pervitins spielend einfach die Gegner abschüttelte", zitiert
       die Studie eine Dissertation aus dem Jahr 1947. Ebenfalls 1947 schrieb der
       Frankfurter Pharmakologe Otto Riesser, dass Trainer, Sportler und
       Sportärzte häufig an Apotheker heranträten, um Dopingmittel zu bekommen.
       Riesser forderte alle Apotheker auf, solche Anfragen zu melden und "jeder
       Art von Missbrauch der Arzneimittel mit aller Entschiedenheit
       entgegenzuwirken". Mit dieser Forderung wäre er auch heute noch ein
       Antidoping-Avantgardist.
       
       Eine entscheidende Rolle in der Dopingforschung spielten die beiden
       bundesdeutschen Hochburgen der Sportmedizin in Freiburg und Köln (das
       Staatsdoping der DDR ist nicht Gegenstand dieser Untersuchung). Eine an
       Sportstudenten zwischen 1952 und 1954 unternommene Studie zur "Wirkung von
       Dopingmitteln auf den Kreislauf und die körperliche Leistung" ergab eine
       Leistungssteigerung mit Pervitin von 23,5 Prozent. Der Freiburger
       Institutsleiter Herbert Reindell hielt diese Studie fünf Jahre lang unter
       Verschluss und empfahl dann - verbunden mit einer Verharmlosung der
       Nebenwirkungen - den Einsatz des Mittels.
       
       In Köln wurde Pervitin getestet und schon über Testosteron geforscht. Nach
       dem ersten Jahr des bis 2012 mit 450.000 Euro geförderten
       Forschungsvorhabens zeichnet sich Amphetamin-Doping in systematischer Form
       in Radsport, Leichtathletik, Rudern, Reiten, Bergsteigen und Fußball ab,
       konstatiert der an der Studie beteiligte Sportwissenschaftler Erik Eggers.
       Selbst einige "Helden von Bern" sollen mit Pervitin zum WM-Titel gekommen
       sein. "Einige Indizien legen nahe, dass ihnen anstelle von Vitamin C
       Pervitin gespritzt wurde", erläuterte Eggers in Leipzig.
       
       Eine ganz traurige Figur gaben die Sportfunktionäre ab. Der Bund Deutscher
       Radfahrer zeigte sich bereits 1959 "gut informiert" über den
       Amphetamin-Einsatz der Eliteradler. Er hielt es aber für unmöglich, dagegen
       vorzugehen, weil Trainer und Fahrer aus Angst vor einer Disqualifikation
       schwiegen. 1968 verniedlichte der Präsident eines Sportverbands
       Anabolika-Doping als eine Art Frühstück. Der Dopingkritiker Gerhard
       Treutlein, der vor allem die Anabolika-Phase ab den 70er Jahren
       untersuchte, aber nicht in das aktuelle Forschungsvorhaben eingebunden ist,
       kritisierte, dass die Namen der Funktionäre nicht genannt wurden: "Das sind
       Personen der Zeitgeschichte. Die müssen nicht anonymisiert werden."
       
       Treutlein hofft, dass seine Kollegen über die 70er und 80er Jahre ebenfalls
       neue Erkenntnisse zutage fördern, schränkt aber ein: "Ins Bundesarchiv
       gelangen nur 10 Prozent der Archivbestände." Im Bundesinstitut für
       Sportwissenschaft, das das Forschungsvorhaben finanziert, selbst aber 1985
       eine Untersuchung über die regenerative Wirkung von Testosteron
       durchführte, könnten die Forscher "alle Akten einsehen, die wir noch
       haben", sagte Institutsdirektor Jürgen Fischer. Der Nebensatz ließ
       aufhorchen. TOM MUSTROPH
       
       26 Oct 2010
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Tom Mustroph
       
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