# taz.de -- Kanzlerin bei jüdischer Gemeinde: Es bleibt in der Familie
       
       > Wie Angela Merkel die jüdische Gemeinde zu Berlin mit ihrer Anwesenheit
       > beehrte - und den Anlass nutzte, nebenbei noch Integrationspolitik zu
       > betreiben.
       
 (IMG) Bild: Bundeskanzlerin Angela Merkel unterhält sich mit Lala Süsskind, Vorsitzende der jüdischen Gemeinde.
       
       Nur etwa 12.000 Mitglieder hat die jüdische Gemeinde zu Berlin - und wenn
       sie zusammenkommt, um etwas zu feiern, dann entsteht schnell eine fast
       familiäre Atmosphäre. Mit all der Freude, dem Ärger und der Verdrängung,
       die mit Familienfesten halt so verbunden sind. So auch an diesem
       Dienstagabend, als sich ein besonderer Gast in der jüdischen Gemeinde der
       Hauptstadt, der größten der Bundesrepublik, angemeldet hatte:
       Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU).
       
       Die Kanzlerin, von der man zumindest in Bezug auf Antisemitismus schon viel
       Kluges gehört hat, hielt einen Festvortrag. Thema: "20 Jahre
       Wiedervereinigung. Auch eine Erfolgsgeschichte für jüdische Gemeinden." Und
       wie bei Familienfeiern üblich, war zunächst alles wie immer.
       
       Doch dann begann die große Verdrängung. Lala Süsskind schritt bei ihrer
       länglichen Begrüßung mit schlechtem Beispiel voran. In ihrer anfangs vor
       lauter Aufregung verhaspelten Rede erwähnte sie zwar die rund 220.000
       Menschen, die seit 1990 als jüdische "Kontingentflüchtlinge" vor allem aus
       den Ländern der GUS nach Deutschland einwanderten und so eine
       Vervierfachung, ja ein unerwartetes Aufblühen des organisierten Judentums
       im früheren Land der Nazis möglich machten.
       
       Unerwähnt aber ließ sie, dass nur etwa die Hälfte der Eingewanderten
       Aufnahme in die Gemeinden fand, nicht zuletzt weil diese zu hohe
       Anforderungen bezüglich der jüdischen Herkunft der Migranten stellten. Auch
       das pathetische Ende ihrer Ansprache: "Wir leben sehr gern in diesem Land",
       konnte einem aufstoßen angesichts der Tatsache, dass Lala Süsskind noch vor
       knapp drei Jahren trotzig in einem taz-Interview gesagt hatte, Deutschland
       sei nicht ihr Staat, und: "Ich habe damit überhaupt keine Probleme, wenn
       ich weiterhin sage: Ich bin keine Deutsche, ich bin Berlinerin."
       
       Ähnlich schönfärberisch ging es bei Angela Merkel weiter. "Wenn heute in
       Deutschland das Thema Integration auf der Tagesordnung steht, dann denkt
       kaum mehr jemand an jüdische Zuwanderer aus der ehemaligen Sowjetunion.
       Denn sie sind in der Regel gut integriert", sagte Merkel. Das aber ist
       bestenfalls die halbe Wahrheit.
       
       Unerwähnt ließ die Kanzlerin etwa, dass noch vor wenigen Jahren über 70
       Prozent der zugewanderten Juden erwerbslos waren - und über 80 Prozent
       abhängig von staatlichen Transferleistungen.
       
       Diese Zahlen dürften sich seitdem etwas gebessert haben. Aber dass gerade
       kleinere jüdische Gemeinden in der Provinz mit einem oftmals fast
       100-prozentigen Anteil an zugewanderten Mitgliedern eher russischen
       Kulturvereinen, ja man kann sagen: russischen Parallelwelten auf deutschem
       Boden, gleichen, das ließen beide Rednerinnen lieber unter den Tisch
       fallen. Denn gestört würde durch solch unangenehme Fakten das schöne Bild
       einer rundum geglückten Integration, das auch Thilo Sarrazin so gern
       zeichnet: Hier die böse muslimische Zuwanderung, dort die gute jüdische.
       
       Immerhin: Bei einer kurzen Fragerunde mit der Pressesprecherin der Gemeinde
       wurden dann doch noch ein paar heiße Eisen angesprochen - etwa die
       Tatsache, dass viele jüdische Zugewanderte deshalb arbeitslos sind, weil
       ihre Diploma nicht anerkannt werden. Hier versprach die Kanzlerin, mit
       Ansätzen von Selbstkritik, Abhilfe.
       
       Danach gab es noch einen kurzen Film des Gemeindemitglieds Levi Salomon mit
       dem programmatischen Titel "Angekommen" zu sehen - und fertig war die
       Feierei nach fast genau einer Stunde. Probleme anzusprechen, ist eben
       unangenehm. Gerade bei Familienfeiern.
       
       28 Oct 2010
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Philipp Gessler
       
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