# taz.de -- Interview über Sicherungsverwahrte: "Fast jeder ist psychisch gestört"
       
       > Die Kriminologin Monika Frommel glaubt, das Gesetz zur Unterbringung von
       > Gewalttätern soll viele treffen. Zur Anwendung kommen wird es aber kaum.
       
 (IMG) Bild: Weggesperrt: Einzelzelle im Knast.
       
       taz: Frau Frommel, an diesem Freitag berät der Bundestag über das geplante
       Therapie-Unterbringungsgesetz. Werden Straftäter jetzt psychiatrisiert,
       weil man sie partout nicht aus der Sicherungsverwahrung entlassen will? 
       
       Monika Frommel: Das Gesetz ist eine Reaktion auf die Kampagne einiger
       Boulevardmedien. Das erklärt die Skepsis vieler Fachleute. Ich glaube aber,
       der Plan ist unter dem Strich gar nicht so schlecht.
       
       Wen betrifft das Gesetz? 
       
       Es betrifft mehr als hundert Gewalt- und Sexualtäter, die aus der
       Sicherungsverwahrung entlassen werden müssen. Der Europäische Gerichtshof
       für Menschenrechte hatte im Dezember entschieden, dass ihre Verwahrung
       nicht rückwirkend verlängert werden durfte. Sie sollen nun neu begutachtet
       werden. Wenn sie psychisch gestört und gefährlich sind, sollen sie
       zwangsweise untergebracht bleiben.
       
       Verstößt das nicht gegen die Europäische Menschenrechtskonvention, wenn das
       Straßburger Urteil damit einfach ausgehebelt wird? 
       
       Nein, denn die Konvention lässt eine Freiheitsentziehung bei "psychisch
       Kranken" ausdrücklich zu.
       
       Die Sicherungsverwahrten sind aber nicht "psychisch krank"… 
       
       Aus Sicht der Konvention genügt eine psychische Störung, etwa eine
       dissoziale Persönlichkeitsstörung, mit abnormer Aggressivität und fehlender
       Empathie für die Opfer. Auch der Straßburger Gerichtshof hat das schon
       bestätigt.
       
       Wie viele Sicherungsverwahrte haben wohl eine psychische Störung? 
       
       Fast jeder.
       
       Diese Personen waren aber bisher nicht in der Psychiatrie, sondern im
       Gefängnis. Lauter Justizirrtümer? 
       
       Das ist kein Widerspruch. Ein Straftäter landet nur dann als Maßregel in
       der Psychiatrie, wenn die Tat kausal auf der psychischen Störung beruhte
       und er seine Handlungen nicht mehr steuern konnte. Das wird bei dissozialen
       Tätern fast nie angenommen. Sie werden gerade wegen ihrer Störung zu hohen
       Freiheitsstrafen und eventuell zu Sicherungsverwahrung verurteilt.
       
       Und nun? Kann keiner aus der Sicherungsverwahrung entlassen werden, weil
       alle eine psychische Störung haben? 
       
       Nein. Denn es kommt ja auch darauf an, dass diese Personen noch gefährlich
       sind.
       
       Das kann ja wohl angenommen werden, schließlich sitzen alle aufgrund von
       Gutachten in der Sicherungsverwahrung. 
       
       So einfach ist das nicht. Die Männer, um deren Entlassung es geht, sind
       inzwischen meist alt. Sie haben lange Haftstrafen und mindestens zehn Jahre
       Sicherungsverwahrung abgesessen. Ich gehe davon aus, dass neue Gutachter
       feststellen werden, dass diese Personen überwiegend nicht mehr gefährlich
       sind.
       
       Warum kommen jetzt neue Gutachter ins Spiel? 
       
       Weil für die Anwendung des Therapie-Unterbringungsgesetzes die
       Zivilgerichte zuständig sind. Die arbeiten mit anderen Gutachtern zusammen
       als die Strafgerichte. Da werden alte Netzwerke durchbrochen und es
       entsteht Raum für neue Erkenntnisse. Das neue Gesetz wird wahrscheinlich
       nur sehr wenige Anwendungsfälle haben.
       
       In welcher Einrichtung sollen dann diejenigen untergebracht werden, die
       noch gefährlich sind? In der Psychiatrie? 
       
       Auf keinen Fall. Man kann einen gefährlichen Vergewaltiger nicht in die
       Psychiatrie stecken, wo ja auch Frauen leben.
       
       Also wieder ins Gefängnis? 
       
       Nein, das geht auch nicht. Das würde der Straßburger Gerichtshof als neue
       Strafe werten, die aber gegen das Rückwirkungsverbot verstößt. Infrage
       kommen vor allem kleine private Spezialkliniken. Dort kann man die Täter
       immer noch billiger sichern, als wenn sie draußen von 25 Polizisten rund um
       die Uhr überwacht werden.
       
       Welche Therapie kommt für dissozial gestörte Täter in Betracht? 
       
       In der Regel Verhaltenstherapie. Die Täter müssen trainieren, ihre
       Aggressionen zu kontrollieren. Solche Programme sollten in den
       Haftanstalten aber so früh wie möglich eingesetzt werden, nicht erst in der
       Sicherungsverwahrung oder der Therapieunterbringung.
       
       29 Oct 2010
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Christian Rath
       
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