# taz.de -- Der neue NRW-CDU-Chef Röttgen: Der Solitär aus Berlin
       
       > Im Atomstreit unterlegen, in der Partei isoliert: Norbert Röttgen stand
       > einsam da. Jetzt hat ihn die Mitgliederbefragung in NRW gerettet, obwohl
       > er keine Wirtshausreden hält.
       
 (IMG) Bild: Kaum ein Politiker hat so schnell so viele politische Freunde verloren wie Röttgen seit der letzten Bundestagswahl.
       
       Wer häufig zwischen Berlin und Bonn pendelt, wie es Norbert Röttgen tut,
       der sieht in diesen Tagen sehr viel Feldgrau. Männer in grauen
       Uniformjacken entsteigen Limousinen mit einem "Y" am Nummernschild, sie
       füllen die Sitzreihen von Air Berlin, sie unterhalten die benachbarten
       Passagiere mit Diskussionen über Einsatzmedaillen und Tapferkeitsabzeichen.
       Kurzum: Der Pendler sieht sehr viel Betriebsamkeit, verursacht durch die
       Bundeswehrreformen eines Verteidigungsministers, den manche schon als
       Kanzler sehen.
       
       Seit Sonntagabend steht auf den Listen der Spekulanten wieder ein Name, der
       schon fast verschwunden schien. Der Name des Mannes, der die Politik vor
       Jahren fast verlassen hätte, der dann die Bankenkrise zu erklären wusste
       wie kein anderer, gegen den sich zuletzt aber die halbe CDU zu verbünden
       schien: Norbert Röttgen.
       
       Ist der Bundesumweltminister, der kommendes Wochenende in Bonn zum
       CDU-Landesvorsitzenden von NRW gewählt wird und zwei Wochen später in
       Karlsruhe wohl auch zum stellvertretenden Bundesvorsitzenden der Partei -
       ist er überhaupt ein Politiker? Kann er Wahlkampf, beispielsweise?
       
       Es gibt Leute, die Zweifel hegen. Im letzten Landtagswahlkampf, den Jürgen
       Rüttgers mit wachsender Verzweiflung führte, absolvierte er nur einen
       Auftritt, in Eitorf an der Sieg, Wirtshaus, Hinterzimmer. Doch er hielt
       keine Wirtshausrede. Er wiederholte einfach, was er zuvor schon vor dem
       Publikum der Berliner Humboldt-Universität gesagt hatte. Er referierte über
       Klimawandel, Menschheitsfragen und sein Verständnis von Fortschritt.
       
       Es ist eine Rede, auf die er ziemlich stolz ist. Das sagt er, als er
       anschließend neben seinem alten Freund und neuem Feind Andreas Krautscheid
       sitzt. Bei einem Kölsch, das auch Röttgen schon mal trinkt. Er hat die Rede
       selbst geschrieben. "Fortschritt ist heute als Thema nur für Eliten nicht
       mehr denkbar", sagt er. "Demokratische Gesellschaften brauchen Akzeptanz."
       Es ist Februar, als er in der Universität spricht. Lange bevor der Aufstand
       gegen den Stuttgarter Hauptbahnhof losbricht.
       
       Röttgen liebt das Grundsätzliche und Richtungsweisende. Als Rüttgers vor
       Jahren ein Detail der Rentenformel ändern wollte, führte er gegen den
       Ministerpräsidenten gleich die "Prinzipien der christlichen Soziallehre"
       ins Feld. Die Bankenrettung verteidigte er mit dem Argument,
       funktionierende Finanzmärkte seien "ein öffentliches Gut". In einem
       Grundsatzbuch beschwor er den Dritten Weg zwischen Turbokapitalismus und
       Versorgungsstaat. Den CDU-internen Streit über die Atomkraft eröffnete er
       mit dem Satz, die Partei müsse sich "gut überlegen, ob sie gerade die
       Kernenergie zu einem Alleinstellungsmerkmal machen will".
       
       Solche Sätze, geben in Berlin viele zu bedenken, qualifizierten nicht für
       politische Spitzenämter. Zu intellektuell, zu wenig populistisch, zu weit
       entfernt von den Winkelzügen der Tagespolitik. An Heiner Geißler wird
       erinnert oder an Klaus Töpfer, an Erhard Eppler oder Peter Glotz. Die
       Parteien bräuchten solche Ideengeber, heißt es dann, aber sie trügen sie
       nicht an die Spitze.
       
       Viele in der Union sehen das Gesetz zur Verlängerung der AKW-Laufzeiten,
       das der Bundestag vorige Woche erregt debattierte, als Lex Röttgen. Als ein
       Gesetz, das dem Umweltminister seine Grenzen aufzeigen sollte. Dass die
       Meiler jetzt zwölf Jahre länger laufen dürfen, sagen Teilnehmer der
       entscheidenden Koalitionsrunde Anfang September, sei vor allem seinem
       Vorpreschen zuzuschreiben. Nachdem sich Röttgen zuvor schon auf acht bis
       zehn Jahre festgelegt hatte, sei die Kompromisslinie verbrannt gewesen.
       
       Die Parteimitglieder in Nordrhein-Westfalen haben sich daran nicht gestört.
       Sie haben sich für den Solitär entschieden. Dass Röttgen mit seiner Familie
       in Kärnten Urlaub machte, während sich im August die Spitzen der
       Landespartei in Düsseldorf gegen ihn verbündeten: Das hat ihm letztlich
       sogar genutzt. Weil es den Eindruck verstärkte, die Verantwortlichen der
       letzten Jahre wollten im Land nahtlos fortsetzen, was Kritiker das "System
       Rüttgers" nennen. Dass sich auch Röttgen im vorigen Jahr der Unterstützung
       des Ministerpräsidenten versichert hatte, um nach dem Berliner
       Fraktionsvorsitz zu greifen, trat durch die Episode in den Hintergrund.
       
       Kaum ein Politiker hat so schnell so viele politische Freunde verloren wie
       Röttgen seit der letzten Bundestagswahl. Fast alle der jungen
       Bundestagsabgeordneten, mit denen der Bonner Jurist 1994 in den Bundestag
       einzog, standen zuletzt gegen ihn - entweder im Atomstreit oder im Kampf um
       den Landesvorsitz. Ob es nun Ronald Pofalla war, der heutige
       Kanzleramtsminister, oder Armin Laschet, der Verlierer des Düsseldorfer
       Duells.
       
       Keiner der Christdemokraten, die im Windschatten Angela Merkels Karriere
       machten, hat auch den Aufstieg der Chefin mit so viel Distanz analysiert
       wie er. Wie Merkel sah er die Möglichkeiten, die das Umweltministerium
       bietet. Und wie sie ist er imstande, Loyalitäten notfalls kalt
       aufzukündigen. Dass er den FDP-Chef Guido Westerwelle zuletzt "irreparabel
       beschädigt" nannte, hat ihm bei den von Schwarz-Gelb enttäuschten
       Parteimitgliedern nicht geschadet.
       
       Während des US-Präsidentschaftswahlkampfs lobte er die Fähigkeit Barack
       Obamas, "Begeisterung zu erzeugen". Es war klar, gegen wen sich das
       richtete. Merkel mag sich heute durch den Verfall von Obamas Autorität
       bestätigt sehen, Röttgen durch die Talfahrt von Schwarz-Gelb. "Natürlich",
       fügte er hinzu, "will auch Obama Macht." Die haben ihm die CDU-Mitglieder
       jetzt gerettet, ein Stückchen jedenfalls.
       
       2 Nov 2010
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Ralf Bollmann
       
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