# taz.de -- Wahlen in Birma: Show oder Chance?
> Weder frei noch fair: Erstmals seit 20 Jahren lassen die Militärs in
> Birma am Sonntag wählen. Dennoch gibt es Menschen, die an die Chance der
> Abstimmung glauben.
(IMG) Bild: Wahlplakate sind bei der umstrittenen Wahl in Birma erlaubt - und werden an Passanten verkauft.
RANGUN taz | "Diese Wahlen sind ein Monster", antwortet U Min Swe, ein
älterer birmanischer Schriftsteller auf die Frage, was es mit den Wahlen
vom 7. November auf sich habe, den ersten seit zwanzig Jahren. "Damals, im
Mai 1990, herrschte hier Wahlfieber. Auf den Straßen sah man Menschen in
orangefarbenen T-Shirts, sie trugen Hüte wie die Reisbauern", erinnert sich
der Schriftsteller. Der Hut war das Symbol der Nationalen Freiheitsliga
(NLD), der Partei Aung San Suu Kyis, die als Oppositionsführerin damals wie
heute unter Hausarrest steht.
Der Hut war 1990 auch das NLD-Symbol auf den Stimmzetteln. Die Partei
gewann über 80 Prozent, doch die Militärs ließen das Parlament nie
zusammentreten. "Sie versuchten, die Partei zu zerschlagen und ihre
Führerin, die Tochter unseres Nationalhelden, zu zermürben. Und nun nehmen
sie wieder Anlauf, um ihre Herrschaft zu legitimieren. Und diesmal soll
nichts schiefgehen", sagt U Min Swe.
Das Monster, das U Min Swe eigentlich meint, ist das Militär, das diese wie
die vorige Wahl in Szene setzte. Es wird heute repräsentiert durch Than
Shwe, den Obersten General, der für viele Birmanen die Verkörperung eines
Ogres ist, eines Menschen verschlingenden Ungeheuers aus der Sagenwelt des
Landes.
Monströses Verfahren
Aber auch das Wahlverfahren selbst ist monströs. Auf einen Schlag sind mehr
als ein Dutzend Parlamente zu wählen: das "Volksparlament", das ein wenig
mit dem Bundestag vergleichbar ist und 440 Sitze hat, dann das
"Nationenparlament", gewissermaßen der Bundesrat, und schließlich noch 14
Parlamente für die einzelnen Staaten und Regionen, die etwas den deutschen
Bundesländern entsprechen. Und dazu gibt es noch ein Wahlrecht für
Angehörige bestimmter ethnischer Gruppen in bestimmten Regionen. Sie können
eine vierte Stimme abgeben.
"Ich verstehe selbst nicht alles, was diese Wahlen betrifft. Wie sollen es
dann die einfachen Leute begreifen?", sagt ein Medizinprofessor, der
zugibt, dass er die Wahlbestimmungen auch nicht genau studiert habe. Klar
ist, dass bereits ein Viertel aller Sitze an Angehörige des Militärs
vergeben ist. So gebietet es die Verfassung, die im Mai 2008, kurz nach dem
verheerenden Zyklon "Nargis", durch ein Referendum angenommen wurde -
offiziell mit fast 100 Prozent. Bei ihren Gegnern heißt sie seitdem
"Nargis-Verfassung". Sie ist ein weiteres Monster, das das Militär
hervorgebracht hat, eine Katastrophe wie der große Sturm.
Vor Ungeheuern nimmt man sich in Acht. So erklärt sich das verlegene und
ängstliche Achselzucken der meisten Menschen, die man auf die Wahlen
anspricht - wenn es überhaupt eine Reaktion gibt. Etwa 80 Prozent der
Bevölkerung, sagen übereinstimmend U Min Swe und der Medizinprofessor, sind
nicht daran interessiert. Es ist eine Mischung aus Unkenntnis, Furcht und
traditionellem Desinteresse an allem Politischen. Die verbleibenden 20
Prozent sind entweder überhaupt dagegen oder sie treten dafür ein, zur Wahl
zu gehen. Man kann das für zwei Strategien halten, dem Monster Militär den
Kampf anzusagen.
U Min Swe wird nicht wählen, da die Wahl von den Machthabern nicht nur zu
einem Viertel, sondern schon zu fast 100 Prozent vorherbestimmt sei. Was da
stattfinde, sei eine Show für die Weltöffentlichkeit. Er selbst ist alt,
hat nichts zu verlieren. Viele andere werden nur wählen, weil sie sonst
Nachteile befürchten. Es gibt zwar keine Pflicht, doch der Geheimdienst ist
allgegenwärtig, so die weit verbreitete Meinung. Die staatlich gelenkten
Medien propagieren die Wahl als eine Entscheidung für das Wohl einer "neuen
demokratischen Nation" und gegen die aus dem Ausland gesteuerten
"destruktiven Elemente".
Das richtet sich gegen Aung San Suu Kyi und die NLD. Die Partei hält die
Verfassung für undemokratisch und die Bestimmung, die die
Oppositionsführerin von einer Kandidatur ausschließen, für ehrenrührig.
Daher hat sie sich nicht für die Wahlen registrieren lassen. Somit
existiert sie offiziell nicht mehr. Aug San Suu Kyi hat durch einen
Sprecher aus dem Hausarrest erklären lassen, sie würde unter diesen
Umständen auch dann ihre Stimme nicht abgeben, wenn sie wählen dürfte.
Damit ist sie die Symbolfigur einer Kampagne, die in vielen Städten für
einen Boykott wirbt, etwa mit auf Wänden geschriebenen Slogans oder sogar
mit eigens gedruckten T-Shirts.
Yi Yi Khin ist ganz anderer Meinung. Sie arbeitet bei Myanmar Egress, einer
Organisation, die sich so etwas wie die Verbreitung von Grundlagen in
Staatsbürgerkunde auf die Fahnen geschrieben hat. In den staatlichen
Schulen wird das nicht gelehrt. Die hier angebotene Fortbildung ist schon
von tausenden, überwiegend jungen Universitätsabsolventen besucht worden.
Außerdem hat die Organisation geholfen, dass sich im Vorfeld der Wahlen
Parteien gegründet haben, und sie hat eine CD mit Erläuterungen zur
Stimmabgabe verteilt.
Hoffnung auf Freiräume
Das Hauptargument der jungen Frau, die in Singapur studiert hat, allerdings
darauf verzichtete, dort Karriere zu machen: "Auch wer nicht wählen geht,
trifft eine Wahl. Er vergrößert die Anzahl der Teilnahmslosen und spielt
den Machthabern in die Hände." Natürlich sei die Verfassung alles andere
als perfekt, und natürlich werde nach den Wahlen nicht sofort alles besser.
Aber die Freiräume für die Arbeit vieler Nichtregierungsorganisationen
würden sich vergrößern, wenn, ja wenn die Resignation überwunden wird. Man
merkt, dass sie diesen Vortrag schon häufig gehalten hat.
Doch wer oder was steht zur Wahl? Von Wahlkampf ist nichts zu spüren. Auch
Tage vor der Wahl säumen keine Plakate die Straßen der Metropole. Nur auf
den riesigen Flächen werben wie immer Frauen für Kosmetik, Küchengeräte und
Instantkaffee. Erst bei genauem Hinschauen fällt die Parteireklame auf, die
an fast allen großen Kreuzungen der Stadt und an vielen Laternenpfählen zu
sehen ist. Sie zeigt einen Löwen, den Chinde. Touristen sehen diese Tiere
auch an den Eingängen zahlreicher Pagoden. Stark, wie sie sind, wachen sie
dort, um böse Geister abzuwehren. Hier werben die Löwen für die Partei, die
das Militär gegründet hat: die Stärke- und Entwicklungspartei der Union
(USDP). Sie hat die meisten Mitglieder, das meiste Geld und stellt als
einzige in allen 330 Wahlbezirken Kandidaten auf. Für Leute wie dem
Schriftsteller Swe Min ist klar, dass sie auch die meisten der 330 nicht
direkt vom Militär besetzten Sitze im Parlament gewinnen wird.
Der Löwe ist verhasst
Andere wie Yi Yi Khin meinen, dass sich die Regierung wie schon vor zwanzig
Jahren verrechnen könnte. Die neue Partei mit dem Löwen hat den Namen einer
Massenorganisation übernommen, die vor Jahrzehnten von den Machthabern
gegründet wurde. "Diese Organisation ist verhasst, seit ihre Mitglieder vor
drei Jahren bei der Niederschlagung der Mönchsdemonstrationen mitgewirkt
haben." Das sagt nicht nur Yi Yi Khin.
Selbst wenn einzelne Kandidaten angesehen seien und sich durch den Bau von
Straßen und der Renovierung von Schulen beliebt machen wollten, die Partei
sei gänzlich unten durch. Dasselbe gilt für das Löwensymbol, das alle Büros
der staatlichen Verwaltung ziert. Diese Partei zu wählen dürfte den meisten
nicht in den Sinn kommen. Die etwa 30 registrierten kleineren
demokratischen Parteien könnten, so hoffen Optimisten, bis zu 40 Prozent
der Sitze bekommen und so eine starke Opposition bilden.
Damit wäre das Monster zwar noch nicht besiegt, doch es hätte an Macht
verloren. Es könnte sich langsam zurückziehen und einer vielfältigen,
zivileren Gesellschaft Platz machen. Ob das eintritt, wird sich nach dem 7.
November zeigen - etwa im Jahr 2015. Dann stehen die nächsten Wahlen an.
3 Nov 2010
## AUTOREN
(DIR) Felix Schreiber
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