# taz.de -- Castor anders herum: Die Endlagerfreunde von Gorleben
       
       > Mehr als 50.000 wollen gegen den Castor-Transport demonstrieren. Doch im
       > Wendland sind längst nicht alle gegen das geplante Endlager für Atommüll.
       
 (IMG) Bild: Das X nur vorm Haus, um keinen Ärger zu kriegen? Protestsymbol im Wendland.
       
       Gestritten wird im Wendland schon lange nicht mehr. "Im Gegenteil", sagt
       Uwe Leitner. "Man sagt sich freundlich Guten Tag." Zu Beginn, Ende der
       1970er Jahre, war das noch anders. Als Niedersachsens Ministerpräsident
       Ernst Albrecht Gorleben als Standort eines nuklearen Entsorgungszentrums
       bestimmte, kam es zwischen Gegnern und Befürwortern auch zu
       Handgreiflichkeiten. Der Streit über die Atomkraft spaltete Familien, und
       Ehen gingen darüber zu Bruch. Uwe Leitner gehörte schon damals zu den
       Befürwortern.
       
       "Wir haben Flugblätter am Marktplatz verteilt", erinnert er sich. "Genau
       wie die Gegner." Heute hat sich dieser Streit gelegt. Dass er nichts gegen
       Atomkraft einzuwenden habe, das wisse im Landkreis jeder, sagt der
       55-Jährige mit dem Schnauzbart und schaut mit schräg gelegtem Kopf über den
       Brillenrand. "Alles ganz harmlos", soll dieser Blick bedeuten.
       
       Die Fronten seien seit Jahren klar. "Jeder weiß hier im Wendland, wo der
       andere steht." Zu überzeugen versuche man sich schon lange nicht mehr. Dass
       die Atomkraftgegner seit drei Jahrzehnten unermüdlich den Aufstand proben,
       hat für Leitner einen ganz einfachen Grund: "Die meisten sind
       uninformiert." Ihre Angst sei unbegründet, sagt er. Er müsse es wissen.
       Schließlich sei er als Bergmann in Gorleben eingefahren.
       
       "Am 14. März 1979 um 4.30 Uhr haben wir damals begonnen", erinnert er sich.
       Leitner, der zuvor als Personenschützer für das Bundeskriminalamt (BKA)
       gearbeitet hatte, sollte zunächst im Zwischenlager für Sicherheit sorgen.
       "Ich hatte mich dafür interessiert, weil ich so wieder nach Hause kommen
       konnte", erklärt er. Zuvor war er ständig mit Politikern in Deutschland
       unterwegs, jetzt war seine neue Arbeitsstelle nur knapp 20 Kilometer von
       seinem Heimatort Lüchow entfernt. 1982 wechselte er vom Zwischenlager in
       das nur 500 Meter entfernte Erkundungsbergwerk.
       
       Im Auftrag des Bundesamts für Strahlenschutz wird dort seit Ende der 1970er
       Jahre erforscht, ob der Gorlebener Salzstock als Endlager für
       hochradioaktiven Atommüll geeignet ist. Ein von der rot-grünen
       Bundesregierung verabschiedetes Moratorium setzte die Erkundung im Jahr
       2000 aus und damit auch Uwe Leitners Job. Drei Jahre war er danach noch als
       Bergmann im Endlager Morsleben in Sachsen-Anhalt beschäftigt, dann bekam er
       einen Herzinfarkt und ging in Frührente.
       
       Natürlich, gibt er zu, gebe es Gefahren und Risiken im Umgang mit
       radioaktiven Stoffen. Doch mit denen könne man kontrolliert und sicher
       umgehen. Statt der Gefahren sieht Leitner die Vorteile, die ein solches
       Endlager mit sich bringen könnte. Ihm geht es um den Standort Wendland und
       darum, dass seine Gemeinde gut dasteht.
       
       Leitner ist der Inbegriff des engagierten Bürgers: Mitglied der
       Freiwilligen Feuerwehr, im Vorstand der CDU von Lüchow-Dannenberg. Morgens
       fährt er ab und zu mit dem Fahrrad durch die Stadt und übermalt im Namen
       eines Vereins graffitibeschmierte Stromkästen am Straßenrand mit grauer
       Farbe. "Wir brauchen Arbeitsplätze und Infrastruktur", sagt Leitner. Doch
       die ewige Neinsagermentalität der Umweltschützer lasse das nicht zu.
       
       24 Kilometer nordöstlich von Lüchow bemüht Hans-Udo Maury ganz ähnliche
       Argumente. Maury ist ehrenamtlicher Bürgermeister von Gartow und hat mit
       seinem Bestattungsunternehmen und der Tischlerei den größten Betrieb in dem
       knapp 1.400 Einwohner zählenden Ort. Die gelben Kreuze vor den roten
       Klinkerhäusern, das Symbol der Anti-Atom-Bewegung im Wendland, sind auf dem
       Weg nach Gartow immer spärlicher geworden.
       
       Das Zwischenlager, in das am kommenden Wochenende die Castorbehälter
       gebracht werden sollen, und das Erkundungsbergwerk liegen nur wenige
       Kilometer von den Gemeinden Gartow und Gorleben entfernt. Trotzdem stellen
       hier seit Jahrzehnten die konservativen Parteien, die sich für das Endlager
       aussprechen, die Mehrheit. Mit den sogenannten Gorlebengeldern in
       Millionenhöhe, die der Bund seit der Standortfestlegung an die Gemeinden
       zahlt, seien diese Stimmen erkauft, sagen die Kritiker.
       
       Und auch Einzelinvestitionen, wie in die Wendland-Therme Gartow, die von
       der Betreiberfirma des Zwischenlagers finanziert wurde, sicherten die
       Zustimmung. Maury macht keinen Hehl daraus, dass seine Gemeinde finanziell
       von den nahen Atomanlagen profitiert. Lediglich ein paar weniger Gartower
       und Gorlebener gingen deshalb am Wochenende zum Protest, sagt er. Auch er
       klagt über die schwache Infrastruktur der landwirtschaftlich geprägten
       Region.
       
       "Von der Verkehrsanbindung her sind wir hier immer noch am Ende der Welt",
       sagt Maury. Schuld sei die Nähe zur ehemaligen DDR. Das Wendland ist der
       östlichste Landstrich Niedersachsens. Bis zur Wende bildete die Elbe ein
       überwindbares Hindernis, denn auf der anderen Seite liegen
       Mecklenburg-Vorpommern, Brandenburg und Sachsen-Anhalt. Hier Autobahnen zu
       bauen lohnte nicht, denn wer hätte bis 1998 schon von Hamburg oder Hannover
       aus weiter ostwärts fahren wollen?
       
       Darüber hinaus ist Lüchow-Dannenberg der mit knapp 50.000 Einwohnern am
       dünnsten besiedelte Landkreis Deutschlands. Die Arbeitslosenquote liegt
       hier zwischen 11 und 12 Prozent. Landflucht und Überalterung sind die
       Folge. Arbeitgeber wie die Brennelemente Gorleben GmbH, die das
       Zwischenlager für die Castorbehälter betreibt, und die Deutsche
       Gesellschaft zum Bau und Betrieb von Endlagern für Abfallstoffe, die das
       Erkundungsbergwerk (DBE) auch während des Moratoriums aufrechterhält, sieht
       Maury in erster Linie als willkommene Arbeitgeber.
       
       Rund 600 Arbeitsplätze brachten die Atomanlagen bei Gorleben zu
       Spitzenzeiten. "Und wenn die Menschen Arbeit haben, sind sie zufrieden und
       fragen auch nicht nach", sagt Maury. Noch heute sind rund 90 Arbeiter im
       Erkundungsbergwerk angestellt.
       
       Einer von ihnen ist im Hinterzimmer eines kleinen Geschäfts an der
       beschaulichen Hauptstraße von Gartow zu einem Gespräch bereit. Seinen Namen
       möchte er lieber nicht nennen: "Ich will nicht, dass die Leute nachher mit
       dem Finger auf mich zeigen." Seit 1986 arbeite er im Erkundungsbergwerk.
       Auch sein Sohn mache dort gerade eine Ausbildung zum Mechatroniker.
       Beworben habe er sich damals, ebenso wie Uwe Leitner, weil die Stelle so
       nah war. "Bei einem anderen Job hätte ich in ganz Deutschland auf Montage
       gehen müssen." Außerdem ist die Arbeit im Bergwerk für den Landkreis
       verhältnismäßig gut bezahlt.
       
       Während er spricht, bleibt ein Mann im Verkaufsraum stehen, blättert
       scheints vertieft in einer Broschüre. "Denken Sie daran, dass auch ein
       Spitzel zuhören könnte", ruft er beim Gehen und meint dabei sich selbst.
       "Ach das ist mir egal", sagt der Bergmann mit trotzig vor der Brust
       verschränkten Armen. Trotzdem hält er danach im Sprechen inne, wenn ein
       Kunde den Laden betritt. Was er befürchtet? "Ach, ich weiß nicht", sagt er
       achselzuckend. "Dass ich vielleicht blöde angemacht werde."
       
       Manche seiner Kollegen stellten sich sogar ein gelbes X in den Garten, um
       während der Castorproteste keine Probleme zu kriegen, behauptet er. Für ihn
       dagegen komme das nicht infrage. "Zu dem Haufen möchte ich nicht gehören."
       Der Haufen, das sind die Demonstranten, die nur wegen des Protests ins
       Wendland kämen, aber auch die Atomkraftgegner aus dem Landkreis.
       
       Vor allem Zugezogene seien das, wie der Bergmann sagt, Künstler, Lehrer und
       Intellektuelle aus Berlin und Hamburg, die hier in Ruhe das Wochenende
       genießen wollten und sich ihren Lebensunterhalt nicht so wie er vor Ort
       verdienen müssten. Früher einmal, da habe er sogar einen Sticker mit der
       Aufschrift "Gorleben - Entsorgung ist Umweltschutz" auf seinem Auto kleben
       gehabt. Weil ihm aber immer wieder die Antenne abgebrochen worden sei, habe
       er den Aufkleber schließlich wieder entfernt.
       
       Bei Uwe Leitner in Lüchow klebt der Sticker bis heute an der Schuppentür.
       Ginge es nach ihm, dann würde der Erkundungsbetrieb im Salzstock so schnell
       wie möglich wiederaufgenommen. Dann wird er schwärmerisch: "Wenn das
       Endlager kommt, dann soll daraus ein weltweites Forschungszentrum mit einem
       wissenschaftlichen Lehrstuhl entstehen."
       
       Das Wendland als Vorreiter in Sachen Atommüllendlagerung.
       Entwicklungsstandort Gorleben. Plötzlich wäre die industriell
       vernachlässigte Region ganz vorn dabei in Deutschland. Für Uwe Leitner
       würde ein Traum in Erfüllung gehen.
       
       4 Nov 2010
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Marlene Halser
       
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