# taz.de -- Konferenz zu Streubomben: Das gemeine Erbe des Krieges
       
       > Die eine hat bei der Feldarbeit ein Bein verloren, die andere sucht dort
       > nach Minen. So sieht der Dorfalltag in Laos aus. Dieser Tage befasst sich
       > eine Konferenz mit Streumunition.
       
 (IMG) Bild: Entschärfte Streubombe CBU-26.
       
       Den 14. August 1993 wird Chanthava Podbouly niemals vergessen. Die damals
       33-jährige Mutter von sieben Kindern arbeitete mit einigen NachbarInnen im
       Reisfeld ihres Dorfes in Ostlaos, als eine laute Explosion die friedliche
       Stille durchbrach. Die Druckwelle direkt unter ihr erzeugte eine riesige
       Schlammfontäne und riss sie von den Füßen. Aus den klaffenden Wunden ihres
       zerfetzten rechten Beines färbte sich das Wasser um sie herum blutrot.
       Chanthava konnte sich nicht mehr aus eigener Kraft aufrichten. Ihre
       Nachbarinnen trugen sie ins Dorf zurück.
       
       Auf der zweistündigen Fahrt über unwegsame Dschungelstraßen ins 60
       Kilometer entfernte Provinzhospital wäre sie wegen des hohen Blutverlusts
       fast gestorben. Den Ärzten blieb nur noch, das gesamte Bein zu amputieren.
       Um das Krankenhaus zu bezahlen, musste Chanthavas Mann Ackerland und die
       einzige Kuh der neunköpfigen Familie verkaufen. Seit 17 Jahren kann sich
       Chanthava nur noch auf Krücken fortbewegen und lediglich leichte
       Hausarbeiten verrichten.
       
       An der Unfallstelle im Reisfeld des Dorfes wurden später halb verrostete
       Metallfragmente gefunden. Sie stammten von der tennisballgroßen Munition
       einer Streubombe des Typs CBU-26. Über dem Reisfeld abgeworfen wurde diese
       von US-Kampflugzeugen - laut Unterlagen des Pentagon - vermutlich im Juni
       1969.
       
       Denn Chanthavas Heimatdorf Muang Xerong in der ostlaotischen Provinz
       Savannakhet liegt nur 30 Kilometer westlich der Grenze zu Vietnam und nur
       wenige Meter neben dem "Ho-Chi-Minh-Pfad". Diesen Dschungelpfad, der von
       Nordvietnam über Laos und Kambodscha nach Südvietnam führte, nutzten die
       damaligen Feinde der USA, die nordvietnamesischen Vietkong, für ihren
       Nachschub.
       
       Gefahrenreicher Alltag 
       
       Doch von Chanthava Podbouly ist kein böses Wort zu hören über diejenigen,
       denen sie ihr trauriges Schicksal verdankt. Allerdings, so sagt sie
       nachdrücklich, sollten die Amerikaner "endlich ihre Verantwortung
       wahrnehmen und viel mehr Geld bereitstellen" für die schnellere Räumung der
       immer noch rund 90 Millionen nichtexplodierten Stück Streumunition auf
       laotischem Boden und in Gewässern. Wegen dieser Altlast des Vietnamkrieges
       sind Landwirtschaft und Fischfang oder das Sammeln von Pflanzen in den
       Wäldern auch 35 Jahre nach Ende des massiven amerikanischen
       Streubombenbombardements noch immer mit dem Risiko des Todes und der
       Verstümmelung verbunden.
       
       Die meisten der landesweit rund 300 Opfer pro Jahr sind Frauen und Kinder.
       Am größten ist die Gefahr in den an Vietnam und Kambodscha angrenzenden
       Regionen im Osten und Süden des Landes. Das gilt auch für die Umgebung von
       Muang Xerong. Ängstlich lauscht Chanthava immer noch jeden Tag auf
       Explosionen in der Nähe des Dorfes - insbesondere wenn ihr Mann und einige
       der Kinder auf den Reisfeldern arbeiten.
       
       Aber die 50-Jährige will nicht nur passives Opfer sein. Sie engagiert sich
       aktiv bei der Aufklärung der BewohnerInnen im eigenen Dorf und in der
       Umgebung vor den Gefahren der Streumunition. Ihre wichtigste Zielgruppe
       sind Kinder und Jugendliche, die gerne mit den vermeintlich harmlosen
       Munitionsfunden spielen oder gar Metallteile suchen und aufsammeln, um sie
       für gutes Geld an Schrotthändler zu verkaufen. Wegen der großen Armut in
       den ländlichen Provinzen von Laos ist für manche Eltern diese zusätzliche
       Einkommensquelle unverzichtbar, so dass sie ihre Kinder von dieser
       hochgefährlichen Tätigkeit nicht abhalten.
       
       Aktiv unterstützt bei ihrer Aufklärungsarbeit wird Frau Podbouly von
       Handicap International (HI). Die NGO setzt sich weltweit für die Rechte von
       Behinderten ein. Seit 1996 unterstützt HI neben der Aufklärungsarbeit die
       Räumung und Sprengung von Munition, die Ausbildung und Wiedereingliederung
       von Opfern sowie ihre medizinische Versorgung.
       
       Im letzten Jahr initiierte HI in 30 Dörfern der Provinz Savannaketh ein
       Haushaltsgarten-Projekt, das inzwischen über 300 Familien gesunde Ernährung
       mit bislang in Laos nicht bekannten Obst-und Gemüsesorten ermöglicht und
       ihnen eine zusätzliche Einkommensquelle verschafft. "Das ist sehr wichtig",
       erklärt Chantava Podbouly. "Auch ich wusste damals von den Gefahren im
       Reisfeld, aber ich musste dort arbeiten, um meine Kinder zu ernähren."
       
       Oberstes Prinzip von HI ist die Hilfe zur Selbsthilfe durch das Training
       der Einheimischen. Eine von ihnen ist Khanthang Phasavuth. Nach der
       Ausbildung durch HI hat die 22-Jährige die Überwindung der Angst vor der
       heimtückischen Streumunition zu ihrem Brotberuf gemacht.
       
       Unter Leitung des erfahrenen Sprengmeisters Keng Keo Bovaliphavang säubert
       Khanthang derzeit zusammen mit neun KollegInnen am Rande des sehr ärmlichen
       Dorfes Keng Lin eine rund drei Fußballfelder große, erheblich mit
       Streumunition verseuchte Fläche, die künftig als Ackerland dienen soll.
       "Das mache ich für mein Land und meine künftigen Kinder", sagt Khanthang.
       Mit dem Monatslohn von umgerechnet 200 US-Dollar ist sie "sehr zufrieden".
       Obwohl die Arbeit im schweren Schutzanzug und bei oft sengender Sonne
       äußerst anstrengend ist und größte Konzentration erfordert.
       
       Beruf: Minensucherin 
       
       Zentimeter für Zentimeter tastet Khanthang den Boden mit einer großen
       Metallsonde ab. Bei den bis Ende Oktober sehr häufigen und meist plötzlich
       einsetzenden Regenfällen muss die Arbeit unterbrochen werden. Seit Beginn
       der Räumungsarbeiten in Keng Li Mitte Oktober haben Khanthang und ihre neun
       KollegInnen täglich im Durchschnitt 120 Quadratmeter Boden gesäubert.
       Verzögert wird die systematische Räumungsarbeit auch, weil Khanthang und
       ihr Team häufig Notrufe aus umliegenden Dörfern erhalten. Dann sind deren
       BewohnerInnen irgendwo im Wald oder auf ihren Feldern auf nichtexplodierte
       Munition gestoßen.
       
       Am Besuchstag muss das Team in einem Waldstück neben einem Dorf unmittelbar
       am ehemaligen Ho-Chi-Minh-Pfad mit Hilfe von jeweils 200 Gramm TNT zwei
       noch scharfe Streumunitionen zerstören. Über den ehemaligen Fußpfad durch
       dicht überwachsenen Dschungel verläuft heute eine fünf Meter breite
       Lehmstraße, die wichtigste Verbindung des Dorfes zur Außenwelt.
       
       Alle paar Minuten knattern ein paar junge Männer auf ihren Mopeds vorbei,
       vollbeladen mit illegal geschlagenem, wertvollem Rotholz, das sie nach
       Vietnam schmuggeln und dort verkaufen. Außer einem Denkmal ein paar
       Kilometer nördlich erinnert hier nichts mehr an den Vietnamkrieg und die
       damalige Funktion dieses Transportweges.
       
       Doch im Wald oberhalb der Straße, keine 700 Meter vom Dorfzentrum entfernt,
       führt Sprengmeister Bovaliphavang den Besucher zu einer 500 Pfund schweren
       Flugzeugbombe der Amerikaner. Sie ist zu 90 Prozent im Boden eingegraben
       und mit weißem Phosphor gefüllt. "Wir wissen noch nicht, wie wir diese
       Bombe gefahrlos beseitigen können", sagt Bovaliphavang voller Sorge. "Ein
       Abtransport kommt wegen des Phosphors nicht in Frage, und für eine
       Sprengung würden wir 20 Kilogramm TNT benötigen und möglicherweise das
       halbe Dorf zerstören."
       
       10 Nov 2010
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Andreas Zumach
       
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