# taz.de -- Kommentar zu afrikanischen Krisen: Demokratisch ins Desaster
       
       > Die Verteilungskämpfe in Afrika spitzen sich zu. Denn je reicher der
       > Kontinent wird, desto lohnender wird es, die Machtfrage zu stellen. 2011
       > wird zum Schicksalsjahr.
       
       In Guinea führt eine historische demokratische Wahl zu ethnisch gefärbten
       Auseinandersetzungen. In der Elfenbeinküste rüsten vor einer ähnlich
       wegweisenden Entscheidung an diesem Wochenende nationalistische
       Scharfmacher für einen Krieg im Falle ihrer Niederlage.
       
       In Uganda und Nigeria stehen 2011 schwierige Wahlkämpfe an, die diese
       beiden Vielvölkerstaaten zu zerreißen drohen. Und der Süden Sudans schickt
       sich an, am 9. Januar 2011 mittels einer Volksabstimmung seine
       Unabhängigkeit zu beschließen. Damit steht die Zerlegung des größten
       afrikanischen Flächenstaats ins Haus, mit der Gefahr der aus dem Zerfall
       Jugoslawiens bekannten desaströsen Konsequenzen.
       
       Mal wieder unruhige Zeiten für Afrika - aber selten sind afrikanische
       Krisen so deutlich im Voraus absehbar, ja sogar terminiert gewesen wie
       diese. Die Wahltermine, um die es geht, sind Monate vorher bekannt. Die
       damit verbundenen Probleme sind längst erschöpfend analysiert. Vor allem
       die Krise, die infolge von Südsudans Sezession droht und bis hin zu einem
       regionalen Krieg führen könnte, käme keineswegs überraschend.
       
       Jedem ist letztlich klar, was für Afrika die Gründung eines neuen Staates
       bedeutet, der nicht in der Nachfolge eines früheren Kolonialterritoriums
       steht, sondern einfach Ausdruck des Rechts auf Selbstbestimmung der Völker
       ist. Die Legitimität aller afrikanischer Staatswesen, die sämtlich
       Nachfolgeorganisationen kolonialer Gebiete sind und keine Emanationen des
       Volkswillens, steht auf dem Prüfstand wie nie zuvor.
       
       In Sudan selbst, einem der bürgerkriegserfahrensten Länder der Welt, wird
       die Machtfrage schärfer gestellt als früher. Wenn sich Südsudan abspalten
       darf, warum nicht Darfur? Wenn die schwarzafrikanischen Südsudanesen einen
       eigenen Staat bekommen, was wird aus den Südsudanesen im arabischen Norden,
       vor allem in der Hauptstadt Khartum?
       
       Was geschieht mit Sudans Öl, das fast komplett im Süden gefördert, aber
       über den Norden exportiert wird? Und kann sich die alte
       islamisch-militärische Elite in Khartum auf die Existenz in einem
       Rumpfsudan als Wurmfortsatz Ägyptens einstellen? Oder gibt es nach dem 9.
       Januar erst einmal gewaltsame Bevölkerungstransfers, neue Grenzziehungen
       und Kriegsrunden?
       
       Sechs Jahre Zeit hatten die Kontrahenten nach den Sudan-Friedensabkommen
       von Januar 2005, die das Unabhängigkeitsreferendum auf Januar 2011
       festlegten, um auf diese und viele andere Fragen Antworten zu finden. Nun
       sind nur noch sechs Wochen übrig. Dass bisher so wenig getan wurde, ist vor
       allem ein Problem der politischen Führung in Sudan selbst, aber es ist auch
       eines der internationalen Vermittler und Begleiter des
       Südsudan-Friedensprozesses. Sie alle schlafwandeln in Sudans nächsten Krieg
       hinein - und nicht nur in diesen.
       
       In Guinea und der Elfenbeinküste kommt es schon jetzt zu gewaltsamen
       Auseinandersetzungen, weil die bisher nie endgültig geklärte Machtfrage zum
       ersten Mal demokratisch an der Wahlurne entschieden wird. Die historischen
       freien Präsidentschaftswahlen werden dort seit Jahren herbeigesehnt, ihr
       reibungsloser Ablauf wird akribisch vorbereitet, aber um die eventuellen
       Folgen kümmert sich niemand.
       
       Auswärtige Vermittler oder internationale Eingreiftruppen können die
       Eskalation offenbar nicht verhindern. In Sudan, wo - einzigartig auf der
       Welt - zwei getrennte UN-Blauhelmmissionen stehen, dürfte das nach dem
       Referendum nicht anders sein. Aber dennoch scheint die internationale
       Gemeinschaft davon auszugehen, dass die bestehenden Instrumente ausreichen.
       
       Dass innere Konflikte in afrikanischen Staaten immer öfter im Umfeld von
       Wahlen und Volksabstimmungen aufbrechen, ist ein Warnsignal. Es zeigt, dass
       der Kontakt zwischen Staat und Volk gefährliche und unvorhersehbare Folgen
       haben kann. Afrikanische Staaten lassen historisch ihr Volk außen vor. Die
       ungebildete Masse der Bevölkerung ist Zuschauer, nicht Gestalter
       politischer Entscheidungen, die ausschließlich innerhalb einer kleinen,
       inzestuösen Schicht der Reichen und Gebildeten getroffen werden. Eine wahre
       Demokratisierung aber mobilisiert das Volk ganz anders. Aufgehetzt und
       verarmt, macht das Volk eben besonders heftig mobil.
       
       Es geht heute schließlich um viel mehr in Afrika als noch vor wenigen
       Jahren. Der vermeintliche Elendskontinent boomt, mit hohen Wachstumsraten,
       zunehmendem Investoreninteresse vor allem aus Asien und einer immer
       selbstbewussteren politischen und unternehmerischen Klasse. Es lohnt sich
       wieder, afrikanische Länder zu regieren. Kein Wunder, dass die Machtkämpfe
       härter werden - und die Verteilungskämpfe ebenfalls.
       
       Bei der Frage der gütlichen Spaltung Sudans spielen die Verfügungsgewalt
       über das Erdöl und die Einnahmen aus seinem Export die zentrale Rolle. In
       der Elfenbeinküste bietet das Regieren den Zugriff auf fette Einnahmen aus
       dem weltgrößten Kakaoexport. In Guinea schlummern Milliardenschätze in Form
       von Eisen- und Aluminiumerzen im Erdboden. Nigeria als Afrikas größter
       Ölförderer ist ohnehin das lukrativste Staatswesen des Kontinents, und
       Uganda schickt sich an, ebenfalls in die Riege der afrikanischen Ölförderer
       aufzusteigen. Was in all diesen Ländern als ethnischer Konflikt daherkommt,
       ist in Wahrheit meist ein politischer Verteilungskampf.
       
       Solange Afrika für die Industrienationen hauptsächlich Rohstofflieferant
       bleibt, dürfen sie sich nicht wundern, wenn die steigende Nachfrage nach
       afrikanischen Rohstoffen auch die Machtkämpfe in Afrika verschärft. Es wäre
       für Rohstoffkäufer wie Deutschland daher nicht nur legitim, sondern sogar
       ein zwingendes Gebot der politischen Verantwortung, parallel zur steigenden
       eigenen Nachfrage nach Afrikas Exporten auch etwas zur Befriedung der
       Rohstoffländer zu tun.
       
       Es geht darum, wieder den politischen Dialog mit Afrika zu suchen und die
       Zusammenhänge zwischen Exportorientierung und innerer Verfasstheit
       afrikanischer Staaten besser zu begreifen. In diesem Sinne ist 2011,
       angefangen mit dem 9. Januar und dem südsudanesischen
       Unabhängigkeitsreferendum, ein afrikanisches Schicksalsjahr.
       
       26 Nov 2010
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Dominic Johnson
       
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