# taz.de -- Dieter Graumann über seinen neuen Posten: "Gedenken reicht nicht als Kitt"
       
       > Attraktives Gemeindeleben und Jugendarbeit: Der neue Präsident des
       > Zentralrats, Dieter Graumann, will um die nächste Generation der Juden in
       > Deutschland werben.
       
 (IMG) Bild: Will um neue Mitglieder kämpfen: Dieter Graumann.
       
       taz: Herr Graumann, Sie wurden gerade zum Präsidenten des Zentralrats der
       Juden gewählt, es gab nur Sie als Kandidaten - gab es wenigstens eine
       Diskussion? 
       
       Dieter Graumann: Ironisch gesagt: Die Zahl der Bewerber hielt sich doch
       sehr in Grenzen. Aber natürlich gab es eine muntere Diskussion zuvor, denn
       die Ratsversammlung des Zentralrats trifft sich ja nur einmal im Jahr, wir
       mussten einen Haushalt verabschieden, und es gab auch verschiedene
       Wortmeldungen zu ernsten Fragen des Judentums.
       
       Was wollen Sie als Erstes tun? 
       
       Nun, ich habe ja als stellvertretender Zentralratspräsident schon länger
       die Politik des Zentralrats vertreten, insofern komme ich nicht quasi
       extraterrestrisch von außen. Und im Zentralrat hat sich vieles bewährt. Es
       soll natürlich auch Neujustierungen geben, aber auch nicht das hektische
       und nervöse Bemühen, nun alles zwanghaft anders zu machen.
       
       Nicht alle Juden, die als Kontingentflüchtlinge in den vergangenen 20
       Jahren nach Deutschland eingewandert sind, sind auch Mitglieder der
       Gemeinden geworden. Wie kann man sie für die Gemeinden gewinnen? 
       
       Es sind etwa 100.000 Menschen, die nicht Mitglieder der Gemeinden geworden
       sind. Früher konnte man arische Papiere in der Sowjetunion kaufen, später
       zeitweise sogar jüdische - manche wollten vielleicht auch nie in die
       Gemeinden eintreten. Andere können nicht, weil sie nach den religiösen
       Gesetzen nicht die Voraussetzungen mitbringen. Eine dritte Gruppe tritt aus
       persönlichen Gründen nicht ein, die wir oft gar nicht kennen.
       
       Aber wie kann man die gewinnen, die eintreten könnten? 
       
       Wir müssen um sie wirklich kämpfen, indem wir ein attraktives Gemeindeleben
       anbieten. Wir müssen vor allem die Jugendarbeit so gestalten, dass die
       junge Generation gern in die Gemeinde geht. Und wir müssen unbedingt
       verhindern, dass die, die in den Gemeinden sind, diese nicht auch noch
       verlassen.
       
       Die jüdische Gemeinde ist recht alt. Wie kann man verhindern, dass nicht in
       20 Jahren nur noch in den großen Städten jüdische Gemeinden existieren? 
       
       Ich bin da nicht so pessimistisch. Auch die kleinen Gemeinden haben ihren
       besonderen Sinn. Ihre Existenz ist ein Glück, für das ich sehr dankbar bin.
       Aber natürlich ist die Altersstruktur der Gemeinden nicht besonders
       günstig. Da haben wir ähnliche Probleme wie die Volkskirchen und die
       Gesellschaft insgesamt.
       
       Braucht das Judentum eine stärkere Besinnung auf die Religion, weil die
       Erinnerung an den Holocaust mit dem langsamen Verschwinden der
       Erlebnisgeneration wohl immer weniger als Kitt dienen kann? 
       
       Gerade im Judentum haben wir doch die Erfahrung gemacht: Die Erinnerung mag
       schwächer werden, aber das Gedenken wird oft sogar noch stärker.
       Schließlich gedenken wir im Judentum ja auch mancher Ereignisse, die oft
       schon 3.000 Jahre vergangen sind. Das Holocaustgedenken darf aber nicht der
       einzige Kitt sein, der das Judentum zusammenhält. Wir brauchen positive
       jüdische Werte, die auch religiöser Art sind. Auch bei den christlichen
       Kirchen nimmt die Bindungskraft ab, weil die religiöse Erziehung an
       Bedeutung verliert. Ich bin aber zuversichtlich, dass es uns gelingen wird,
       Wissen und Werte des Judentums zu vermitteln und so die Herzen unserer
       jungen Menschen zu gewinnen.
       
       29 Nov 2010
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Philipp Gessler
       
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