# taz.de -- Nach den Wikileaks-Depeschen: Das Ende der Diplomatie
       
       > Dass Einschätzungen von Diplomaten in Zeitungen nachzulesen ist, gehört
       > nicht zum Geschäft. Die Veröffentlichungen von Wikileaks schaden den
       > internationalen Beziehungen.
       
 (IMG) Bild: Die US-Botschaft in Berlin.
       
       Diplomaten sind dazu da, die zwischenstaatlichen Beziehungen zu pflegen und
       ihre Heimatregierung über Entwicklungen im Gastland auf dem Laufenden zu
       halten. Das Abgeben von Beurteilungen über Politikerinnen und Politiker
       dieses Landes gehört zum täglichen Geschäft. Dass diese Einschätzungen in
       der Zeitung nachzulesen sind, ist nicht vorgesehen. Früher wurden solche
       Informationen in verschlüsselten Telegrammen oder per Diplomatenkurier
       übermittelt. Heute bedient man sich gerne des bequemeren Mailverkehrs, der
       selbst von jugendlichen Compter-Nerds leicht gehackt werden kann. Die
       Öffentlichkeit interessiert sich für brisante Enthüllungen genauso, wie für
       peinlichen Tratsch. Nicht nur die Öffentlichkeit: Man darf sich keine
       falschen Vorstellungen über die Qualität des Smalltalks auf diplomatischen
       Empfängen machen.
       
       Nach außen pflegt man die oft nichtssagende Diplomatensprache, deren
       höfliche Floskeln inzwischen so eingespielt sind, dass zumindest die
       Politkommentatoren genau wissen, was man sich unter "konstruktiven
       Gesprächen" oder einer "freundschaftlichen Atmosphäre" vorzustellen hat. In
       der Diplomatie geht es darum, Lösungen zu finden, die es allen Beteiligten
       erlauben, das Gesicht zu wahren. Das unterscheidet Verhandlungslösungen von
       Friedensdiktaten nach einem militärischen Sieg. Und selbst wenn der Sieger
       die Bedingungen oktroyieren kann, tut er gut daran, dem Unterlegenen eine
       zu große Demütigung zu ersparen. Sonst ist der nächste Konflikt bereits
       angelegt. Respektvoller Umgang mit dem Gegner ist nicht nur eine Frage der
       guten Sitten, sondern auch der politischen Klugheit. Dafür werden
       Diplomaten ausgebildet.
       
       Auf dem Lehrplan der Diplomatischen Akademie in Wien war eine Einführung in
       die Diplomatensprache nicht vorgesehen. Neben hocheffizientem Unterricht in
       drei bis vier UNO-Sprachen, internationaler Politik, Geschichte und
       Wirtschaft wurde Diplomatiegeschichte geboten. Da lernt man aus den
       Geniestreichen oder Versagern der Staatsmänner der Vergangenheit.
       Dokumente, die damals hochvertraulich waren, erlauben heute einen Einblick
       in Motive und Überlegungen der Großen. Wären diese damals öffentlich
       gewesen – die Geschichte hätte vielleicht andere Wendungen genommen. Die
       Vorlesung über Etikette war vor 30 Jahren auf der Diplomatenschule eher ein
       Kuriosum. Da ging es um Tischregeln und korrekte Anreden für Würdenträger.
       Die Sprachregelungen und das Verklausulieren politischer Aussagen lernt man
       dann in der Tretmühle des Auswärtigen Amtes.
       
       Was Diplomaten von den Politikern wirklich halten, war schon bisher kein
       Geheimnis. Jede Journalistin und jeder Journalist weiß, dass in
       Hintergrundgesprächen weit mehr zu erfahren ist, als in offiziellen
       Interviews. Manche Botschafter genießen es, ihr Insiderwissen zur Schau zu
       stellen und sparen auch nicht mit offenen Worten über Staatschefs. Die
       eherne Spielregel besagt: keine Zitate, Informationen dürfen nicht
       zugeordnet werden. Die bekannte Floskel "aus diplomatischen Kreisen
       verlautet" bezieht sich auf derartige Gespräche, in denen durchaus der Satz
       fallen kann, der Regierungschef sei entscheidungsschwach oder
       konfliktscheu. Presseleute, die sich nicht daran halten, werden nicht mehr
       eingeladen. Das genügt in der Regel als Sanktion. Auch bei Politikern
       konnte man sich früher verlassen, dass sie vertrauliche Mitteilungen nicht
       ausplaudern – zumindest bei jenen der etablierten Parteien.
       
       In den 1990er Jahren war es ein Abgeordneter der noch jungen Grünen, der in
       seiner Empörung über verklemmt-rassistische Bemerkungen des deutschen
       Botschafters in Haiti den ungeschriebenen Codex brach und an die Presse
       ging. Bei einem launigen Hintergrundgespräch mit einer Bundestagsdelegation
       in Port-au-Prince hatte der Diplomat seine Deutung des raschen
       Bevölkerungswachstums im Karibikstaat dargelegt: "Die Frauen wollen immer
       und die Männer können immer". Ob er solches auch in seine Berichte ans
       Auswärtige Amt geschrieben hat, ist nicht bekannt. Jedenfalls musste er
       seinen Posten räumen.
       
       Es heißt, dass der Mensch täglich 200 mal lügt. Anders wäre das
       Zusammenleben kaum erträglich, meinen Psychologen. So verhält es sich auch
       mit den Nationen. Vor allem zwischen befreundeten oder alliierten Ländern
       vermeidet man es, sich Unfreundlichkeiten auszurichten. Einem Politiker,
       den man als Freund betrachtet, tut man nicht unbedingt einen Gefallen, wenn
       man ihn als engsten Vertrauten im Kabinett bezeichnet. Wladimir Putin mag
       es schmeicheln, wenn Hillary Clinton in ihm einen Alpha-Rüden sieht. Aber
       für die Öffentlichkeit sind solche Einschätzungen aus guten Gründen nicht
       bestimmt. Wer würde schon am Schwarzen Brett im Haus anschlagen, was er von
       der Nachbarin oder vom Hausherrn hält? Freunde macht man sich mit solcher
       Offenheit nicht.
       
       Dass Journalisten 2008 auf der Reise zum G-8-Gipfel in Japan die
       Beurteilung des State Department über Italien und dessen Regierungschef
       Silvio Berlusconi in einer Pressemappe in die Hand gedrückt bekamen, dürfte
       nicht den Intentionen entsprochen haben. Die Darstellungen, wonach der
       Regierungschef als "politischer Dilettant" eingestuft werde, von vielen
       gehasst und schon als Kind eine "Leidenschaft fürs Geld" entwickelt habe,
       entsprächen nicht "der Sichtweise von Präsident Bush", musste der
       stellvertretende Sprechers des Weißen Hauses Toni Fratto in einem
       zerknirschten Entschuldigungsschreiben klarstellen. Auch die Beschreibung
       Italiens als Land "das bekannt ist für Korruption und Lasterhaftigkeit" sei
       ein "unglücklicher Fehler" gewesen.
       
       Es mag interessant sein, was man in Europas Staatskanzleien wirklich von
       George W. Bush hielt oder wie das State Department über die Führer der
       engsten Verbündeten im Nahen Osten, Ägypten und Israel, denkt. Den
       internationalen Beziehungen ist es sicher nicht förderlich, wenn wir alle
       es wissen. Daher werden sich Diplomaten künftig wohl auch in den internen
       Mitteilungen der nichtssagenden Floskeln bedienen und ihre wirkliche
       Meinung nur mehr mündlich unter vier Augen mitteilen.
       
       1 Dec 2010
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Ralf Leonhard
       
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