# taz.de -- Aus der Deutschland-taz: Linke Lebenslügen
       
       > Die drei dogmatischen Mythen der deutschen Linken in Sachen Einwanderung
       > und Integration.
       
 (IMG) Bild: Der U-Bahnhof Kottbusser Tor in Berlin. Norbert Bolz meint, hier gebe es keine "Linken".
       
       Nicht alle Probleme, die unser Land bewegen, sind heillos komplex. Manchmal
       würden schon ein wenig historische Bildung und gesunder Menschenverstand
       genügen, um sie zu lösen. Das zeigt sich vor allem in der
       Integrationsdebatte. Dass es hier keine Fortschritte gibt, liegt nicht an
       den Dummen und Ewig-Gestrigen, die man an den Stammtischen vermutet,
       sondern an den Linken. Das ist erstaunlich, denn Linke sind in der Regel
       intelligent und gebildet. Was ihr Denken blockiert, lässt sich aber sehr
       genau bestimmen. Es sind drei dogmatische Mythen, die wir hier kurz
       skizzieren wollen.
       
       Erstens: der Mythos der Ausländerfeindlichkeit. Kranke Hirne unter Glatzen,
       Springerstiefel und Kampfhunde gibt es überall in der Welt. Aber diese
       Verrückten, für die wir in Deutschland aus historischen Gründen natürlich
       besonders sensibel sind, sollten doch nicht den Blick dafür trüben, dass
       wir in einem der ausländerfreundlichsten Länder leben. Das wahre Problem,
       das der Mythos von der Ausländerfeindlichkeit verschleiert, hat der
       türkische Ministerpräsident Erdogan im Februar auf eine prägnante Formel
       gebracht: "Assimilation ist ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit."
       
       So lange diese Anti-Assimilationspolitik gilt, gibt es das
       Integrationsproblem. Erdogan verkörpert ein Roll-back des heroischen
       Projekts von Kemal Atatürk, die Türkei zu modernisieren und die Türken zu
       Europäern zu machen. Und vieles wäre gewonnen, wenn einer der klugen
       Repräsentanten der türkischen Gemeinde einmal den Mut aufbringen würde, das
       auszusprechen.
       
       Der Mythos von der Ausländerfeindlichkeit verschleiert auch das Problem der
       Gewalt "mit Migrationshintergrund". Die Linken flanieren zwar gerne durch
       die türkischen Gemüsemärkte in ihrem "Kiez", aber den U-Bahnhof Kottbusser
       Tor oder den Hermannplatz kennen sie nicht. Buschkowsky steht hier als
       heroischer Alleinunternehmer auf verlorenem Posten. Und die Lehrer in den
       Schulen der "sozialen Brennpunkte" haben längst resigniert. Unter den
       Schülern dort sucht man die Kinder der Linken, so sie welche haben,
       übrigens vergebens. Und das könnte optimistisch stimmen. Denn fast jeder,
       der ein schulpflichtiges Kind hat, fängt an, vernünftig zu werden.
       
       Zweitens: der Mythos des Multikulturalismus. Zwei Schlagworte markieren die
       festgefahrene Integrationsdebatte: "Multikulti" auf der Linken und
       "Leitkultur" auf der Rechten. Multikulturalismus ist das Fazit einer mit
       dem Kolonialismus des 19. Jahrhunderts beginnenden Selbstkritik des
       Westens, die das Abendland als einen Schuldzusammenhang konstruiert, aus
       dem uns nur "die Anderen" erlösen können.
       
       Aber dieser Multikulti-Kult der guten Anderen ist so undialektisch wie die
       Gegenparole "Leitkultur". Am Multikulturalismus ist wahr, dass wir die
       Anderen brauchen. An der Leitkultur ist wahr, dass wir die Anderen nur
       anerkennen können, wenn wir unserer Toleranz eine Grenze setzen. Nur wer
       selbstbewusst ist, kann auch offen sein. Wer keine eigenen Werte zu
       verteidigen hat, kann auch nicht tolerant sein. Wahrer Multikulturalismus
       setzt eine Leitkultur voraus.
       
       Es ist eigentlich eine ganz selbstverständliche Erwartung, dass Einwanderer
       sich mit dem Land ihrer Wahl identifizieren. Dass Linke ein solches
       Bekenntnis zu Deutschland nicht erwarten, ja geradezu verabscheuen, liegt
       an ihrem pathologischen Verhältnis zum Patriotismus. Gerade hinter
       ostentativer Ausländerfreundlichkeit versteckt sich oft nichts anderes als
       Deutschenhass. Überhaupt drängt sich beim Thema Integration der Eindruck
       auf: Der Kampf gegen die jetzt in "Islamophobie" umgetaufte
       Ausländerfeindlichkeit erfindet die Bösen, damit sich die Guten alles
       erlauben können.
       
       Drittens: der Mythos von der Unmenschlichkeit des ökonomischen Arguments.
       Wer heute nicht sieht, dass Deutschland Einwanderer braucht, ist einfach
       ignorant. Die Frage ist nur: welche? Dass an deutschen Universitäten
       brillante Köpfe aus dem Ausland ausgebildet werden, denen nach
       Studienabschluss dann Arbeit und Aufenthalt verweigert werden, ist
       natürlich ein Schildbürgerstreich. Wir brauchen Kinder und Inder. Vor
       produktiven Immigranten, die sich mit Deutschland identifizieren, hat
       niemand Angst.
       
       Die Akzeptanz der Einwanderer hängt daran, dass die Immigration nicht als
       Invasion erscheint. Der Eindruck der Invasion entsteht am leichtesten bei
       Wirtschaftsflüchtlingen und beim Nachzug von Großfamilien. Natürlich muss
       Deutschland stets politisch Verfolgten Asyl gewähren; aber die Kriterien
       dafür sollten dem gesunden Menschenverstand nachvollziehbar sein.
       
       Multikulturalismus hieß bisher nur: Abschaffung der Qualitätskriterien bei
       der Einwanderung. Schon die Immigrationsgesetze von 1967 in Amerika haben
       diesen entscheidenden Umschwung gebracht. Seither gibt es ein
       humanitaristisches Tabu über der einfachen Frage: Können wir die Leute, die
       zu uns wollen, brauchen? Früher hat man ganz selbstverständlich nach
       Leistungsfähigkeit und Job-Qualifikation gefragt. Heute gelten solche
       Fragen nach dem Humankapital des Einwanderers als unmenschlich. In Wahrheit
       aber zeigen sie den Weg zur gelungenen Integration: Deutschland bekommt die
       Leute, die es braucht. Und die, die dann kommen, sind herzlich willkommen.
       
       4 Dec 2010
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Norbert Bolz
       
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