# taz.de -- Kommentar Wikileaks und USA: Wikileaks nützt den USA
       
       > Dank der Veröffentlichungen zeigt sich, dass die USA in der
       > Weltdiplomatie gute Arbeit leisten. Die Weltmacht lebt und gedeiht und
       > kann den Skandal sogar für sich nutzen.
       
 (IMG) Bild: Die Idee einer globalen Öffentlichkeit als Regulativ internationaler Politik: Immanuel Kant.
       
       Amerika ist nicht nur stark genug, die Veröffentlichung seiner Geheimnisse
       zu überstehen, es ist auch in der glücklichen Lage, diesen Skandal zum
       eigenen Vorteil zu nutzen.
       
       "Es ist ein Angriff auf die außenpolitischen Interessen Amerikas", ließ
       Anfang letzter Woche die gedemütigte Chefdiplomatin Hillary Clinton
       verlauten, die nicht zum ersten Mal von gelüfteten Geheimnissen geplagt
       wird. Doch schon wenige Tage später stellte sie fest, dass das, "was wir da
       gesehen haben, gar nicht so schlimm war".
       
       Verteidigungsminister Gates äußerte sich ähnlich: "Jede andere Regierung
       dieser Welt weiß, dass die US-amerikanische Regierung Löcher hat wie ein
       Sieb, das war schon immer so. Trotzdem machen andere Regierungen Geschäfte
       mit den USA, nicht weil sie uns mögen, uns vertrauen oder denken, dass wir
       Geheimnisse für uns behalten können, sondern weil es in ihrem Interesse
       ist." Wenn die US-Regierung so lässig reagiert, sollte man annehmen, selbst
       sie sehe die Vorteile der Veröffentlichung - trotz manchen Theaterdonners
       von wegen Straftat und Hochverrat. Auch die US-Verfassung scheint
       eindeutig: Die Presse darf veröffentlichen, ohne ihre Quellen zu nennen.
       Die allerdings machen die sich, wie Bradley Manning, im Zweifel strafbar.
       
       Freie Infos, freie Märkte 
       
       Die unverblümten Worte zeigen die Konturen der internationalen Politik in
       neuer Schärfe. Für Staaten und Völker, die offene Informationssysteme zu
       nutzen wissen, ist die Sichtung der wahren Gegebenheiten eher von Vorteil.
       Wird man mit dieser Offenheit nicht fertig, hat man Grund zur Sorge. Freie
       Märkte und freie Information gehen Hand in Hand.
       
       In den Depeschen begegnet uns eine amerikanische Staatskunst, die sich
       sehen lassen kann. Die US-Diplomaten setzen sich hartnäckig für ein
       bisschen mehr Frieden, Freiheit und Wohlstand ein - nicht nur für Amerika,
       sondern für alle Bewohner des globalen Dorfs. Amerikanische Absichten und
       Methoden erweisen sich als gar nicht so schlecht, vor allem wenn man sie
       vergleicht mit denen von Amerikas Gegnern - und Partnern.
       
       Natürlich erleiden amerikanische Diplomaten vorübergehenden Schaden,
       amerikanische Interessen aber werden unterm Strich gestärkt. Denn kommen
       die Fakten auf dem Tisch, profitiert Amerika mehr als seine Gegner, deren
       Kommunikationspolitik eher darauf ausgerichtet ist, das Unangenehme unter
       den Teppich zu kehren. Daher fiebert die ganze Welt der nächsten Episode
       aus der Wikileaks-Serie entgegen. Dass Iran gefährlicher als Israel ist,
       dass die Regierenden in Jemen zugeben, dass sie mit Amerika gegen al-Qaida
       arbeiten, dass Karsai in allen Zeitungen lesen muss, was für ein riesiges
       Problem er darstellt, dass Pakistan eher von den Taliban als von Indien
       bedroht wird - all dies als gegenwärtigen "Istzustand" zu erkennen, kann
       der Verfolgung amerikanischer Interessen nur hilfreich sein.
       
       Alle buhlen um uns 
       
       Die weltweiten Reaktionen auf Amerikas Kabeldiplomatie bestätigen die
       zentrale Rolle der USA im Zeitalter der Netzwerke. Heute, behauptet
       Clintons Chefstrategin, Anne-Marie Slaughter, bemesse sich Macht nach dem
       Ausmaß der Konnektivität. Die Dichte seiner weltweiten Verbindungen sei
       somit auch Amerikas größter Vorteil. In jedem Fall zeigen die Schlagzeilen
       der globalen Medien eine Welt, die Amerikas Meinung ernst nimmt. Wie am
       Zeugnistag in der Schule will jedes Land, will jede Partei wissen, wie sie
       abgeschnitten haben. Und alle versuchen sie weiter, Amerika auf ihre Seite
       zu ziehen. Jeder will seinen Karren vom amerikanischen Esel aus dem Dreck
       ziehen lassen.
       
       Trotzdem irritiert die Wut über die Entblößung der vertraulichen Dialoge
       das globale Gespräch über Frieden und Freiheit und Wohlstand. Ein
       Phasenwechsel in der Betrachtung bedeutet aber noch nicht ein Umwerfen der
       etablierten Interessen der Nationen. Was sich die vielen Menschen der Welt
       wünschen, wie sie ihre Interessen bündeln, dies ändert sich nur sehr
       langsam. Und angesichts der gegebenen Interessenlagen werden die USA auch
       weiterhin Gesprächspartner finden - und andere Wege der Datensicherheit.
       Noch lange wird es nötig sein, die Amerikaner zu gewinnen, um die eigenen
       Interessen durchzusetzen.
       
       Rosige Zukunft für die USA 
       
       In den nächsten fünfzig Jahren werden die USA einen relativ sicheren Weg
       beschreiten, der Wachstum und Wohlstand verspricht. Die Zukunft Europas,
       und des europäischen Umlands - gemeint sind Russland, Zentralasien, China,
       Indien und auch der den Europäern sehr Nahe Osten -, sie sieht weniger
       rosig aus. Natürlich stellen die revolutionäre Veränderungen des
       Informationszeitalters auch die Amerikaner vor Probleme. Sie, die so sehr
       auf das vernetzte Wissen setzen, müssen das Verhältnis zwischen
       Informationsfreiheit und Informationssicherheit immer wieder neu
       balancieren. Dies erfordert politisches Können.
       
       Die Masse der veröffentlichten Dokumente führt in jeder Hauptstadt zu
       eigenen Schlüssen. Aus Berlin hören wir "schlechte Aktenführung",
       "inkompetente Bürokraten". In Teheran sagt Ahmadinedschad: Dass der König
       von Saudi-Arabien die iranische Schlange geköpft sehen will, sei sicher nur
       ein Mythos der CIA.
       
       Nicht nur in den USA halten viele Julian Assange für eine Gefahr, er sei
       ein Verräter oder noch Schlimmeres. Also: Erledige den Boten! Natürlich
       sollte man die Motive und Methoden von Assange hinterfragen, wie bei jedem
       Aktivisten oder Journalisten. Aber das Phänomen Wikileaks geht über Assange
       hinaus. Der Hype um seine Person führt in die Irre.
       
       Keinesfalls bedeutet Wikileaks das Ende des traditionellen Journalismus,
       sondern eher seine Renaissance. Die Verhältnisse zu deuten, die
       Zusammenhänge zu erklären, die Konturen der politischen (und
       wirtschaftlichen) Landschaft realitätsnah zu beschreiben, dies wird nicht
       weniger wichtig, sondern im Gegenteil: es wird unverzichtbar im
       Informationszeitalter, wo Datenmengen sich rasant vermehren. Zwischen 2008
       und 2009 wuchs die globale Informationsmenge um 62 Prozent auf 800.000
       Petabyte. 2010 bricht das Zeitalter der Zettabytes (1.000.000 Petabyte) an.
       Keine Atempause, Geschichte wird gemacht!
       
       10 Dec 2010
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Andrew Denison
       
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