# taz.de -- Zahlungen an Heimkinder: 120 Millionen für tausendfaches Leid
       
       > Sexueller Missbrauch, Prügel, Zwangsarbeit: Nach dem Willen des Runden
       > Tisches Heimerziehung sollen ehemalige Heimkinder nun Geld aus einem
       > Entschädigungsfonds erhalten.
       
 (IMG) Bild: Ein Ausschnitt des Kunstwerks "Im Namen des Herrn" von Gudrun Adrion und Eckhardt Kowalke, das an die Misshandlung und Demütigung von Kindern in kirchlichen Heimen gemahnt.
       
       Der Runde Tisch Heimerziehung schlägt dem Bundestag einen Hilfsfonds für
       ehemalige Heimkinder vor. Damit sollen Kinder finanziell entschädigt
       werden, die zwischen 1949 und 1975 in Heimen in der Bundesrepublik
       misshandelt, sexuell missbraucht und zur Arbeit gezwungen worden waren. Das
       sagte Antje Vollmer (Grüne), Vorsitzende des runden Tisches und frühere
       Bundestagsvizepräsidentin, am Montag in Berlin. Das Gremium wurde vor zwei
       Jahren ins Leben gerufen, nachdem sich der Petitionsausschuss des
       Bundestages bereits drei Jahre mit dem Thema beschäftigt hatte.
       
       Jetzt soll es einen "Fonds für ehemalige Heimkinder" und einen "Fonds für
       Folgeschäden aus Heimerziehung" geben. Dafür sollen 120 Millionen Euro zur
       Verfügung stehen, die zu gleichen Teilen von Bund, Bundesländern und den
       beiden Kirchen getragen werden sollen. 100 Millionen Euro sollen für
       physische und psychische Folgen der Opfer verwendet werden, 20 Millionen
       Euro für verloren gegangene Rentenansprüche. Beide Fonds sind "nach oben
       offen", sagte Hans-Siegfried Wiegang, Opfervertreter am runden Tisch. Wenn
       das Geld nicht reicht, um alle Opfer zu entschädigen, soll der Fonds
       aufgestockt werden.
       
       700.000 bis 800.000 Kinder waren in den Heimen, die meist von den Kirchen
       betrieben wurden, untergebracht. Viele von ihnen wurden regelmäßig
       verprügelt, seelisch gedemütigt, sie mussten schwer arbeiten, in
       Industriebetrieben, Wäschereien, in der Landwirtschaft, nicht wenige der
       Mädchen und Jungen wurden sexuell missbraucht. Opfer berichten davon, dass
       sie in Keller gesperrt wurden, hungern oder ihr Erbrochenes essen mussten.
       Diese Qualen des "Systems Heimerziehung" werden nun im Bericht "als Regel-
       und Rechtsverstöße" anerkannt. Das heißt, dass auch unter den damaligen
       pädagogischen Maßstäben hätte klar sein müssen, dass solche
       "Erziehungsmethoden" Menschenrechtsverletzungen sind. Ebenso erkennt der
       Bericht an, dass das unrechtmäßige Arbeiten eine Form der Zwangsarbeit
       darstellt und dass dafür Renten nachgezahlt werden müssen.
       
       Diese Ergebnisse standen am Donnerstag und Freitag vergangener Woche noch
       auf der Kippe. An diesen beiden Tagen kamen die Mitglieder des runden
       Tischs, die alle zwei Monate ehrenamtlich getagt hatten, ein letztes Mal
       zusammen, um ihrem Abschlussbericht einen letzten Schliff zu geben. Vor der
       Sitzung sickerte durch, dass es vermutlich nur geringe Entschädigungssummen
       für die Opfer geben wird. Die ehemaligen Heimkinder hatten unter anderem
       für jeden Betroffenen eine pauschale Entschädigung von 300 Euro monatlich
       oder eine Einmalzahlung von 54.000 Euro gefordert. Das wollten Bund und
       Länder nicht mitmachen. Daraufhin blieben die drei Vertreter der Heimkinder
       den Gesprächen fern und protestierten damit gegen das Papier.
       
       Ihre fehlende Unterschrift hätte zur Folge gehabt, dass der runde Tisch
       nahezu ergebnislos zu Ende gegangen wäre. Auf die ehemaligen Heimkinder sei
       deswegen starker Druck ausgeübt worden, kritisierte der Verein ehemaliger
       Heimkinder (VeH). "Es wurde gesagt: Wenn ihr den Bericht nicht annehmt,
       wird es gar nichts geben, für niemanden", sagte die VeH-Vorsitzende Monika
       Tschapek-Güntner. Der Verein veranstaltete am Montag eine
       Gegenveranstaltung zum runden Tisch. Der VeH fordert weiterhin eine
       pauschale Entschädigung. Die Opfervertreter am runden Tisch stimmten dem
       Bericht schließlich zu.
       
       Viele Kinder wurden in Heime eingewiesen, weil sie als "gefährdet" und
       "verwahrlost" galten, heißt es im Bericht. Das waren sie damals schon, wenn
       sie zu Rockkonzerten gingen, Jungen lange Haare und Mädchen kurze Röcke
       trugen. Aber auch Eltern schickten ihre Söhne und Töchter ins Heim, wenn
       sie mit ihnen nicht mehr klarkamen.
       
       "Wir haben darauf verzichtet, Einzeltäter zu suchen", sagte Antje Vollmer:
       "Es gab viele Orte des Bösen." Stattdessen ist im Bericht die Rede von
       einer "kollektiven Verantwortung".
       
       Rund 2.500 ehemalige Heimkinder haben sich bislang beim runden Tisch
       gemeldet. Die Dunkelziffer sei hoch, sagte Antje Vollmer. Damit die Opfer
       Renten nachgezahlt bekommen oder Therapien für die Folgeschäden erhalten,
       müssen sie künftig "nur noch glaubwürdig darlegen", dass sie betroffen
       seien, sagte Vollmer. Der Verein ehemaliger Heimkinder spricht dagegen von
       großen bürokratischen Hürden.
       
       Die Opfer setzten in letzter Minute durch, dass diejenigen, die sexuell
       missbraucht worden sind, künftig durch den Opferfonds des Runden Tisches
       "Sexueller Kindesmissbrauch" entschädigt werden können.
       
       "Wir wollen zügig dafür sorgen, dass die Beschlüsse umgesetzt werden",
       sagte Georg Gornissen vom Familienministerium Schleswig-Holstein. Er saß
       für die Bundesländer mit am runden Tisch. Allerdings haben Bund und Länder
       noch nicht darüber abgestimmt.
       
       13 Dec 2010
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Simone Schmollack
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA