# taz.de -- "Stuckrad Late Night": Frau Sarrazin an der Orangenpresse
       
       > In "Stuckrad Late Night" (22.30 Uhr, ZDFneo) tut der beinah vergessene
       > Autor Stuckrad-Barre das, was gute Journalisten tun sollten: Er hört zu
       > und stellt Fragen.
       
 (IMG) Bild: Thilo Sarrazin ist Stuckrad-Barres Wunschgast. Weil er aufregt.
       
       Endlich mal wieder was im Fernsehen, das so richtig begeistern kann. Was
       war das Letzte? Der Start der ARD-Dailysoap "Verbotene Liebe", 1995. Aber
       damals waren die Bedürfnisse wohl noch andere. Heute nun also: Benjamin von
       Stuckrad-Barre und Christian Ulmen machen gemeinsam eine Talkshow,
       "Stuckrad Late Night", heute zum ersten Mal und ab 6. Januar dann immer
       donnerstags auf ZDFneo.
       
       Ulmen produziert, führt Regie und bringt als Uwe Wöllner mit schiefer
       Brille, schiefen Zähnen und schiefem Verstand in Dingsda-Manier den
       Zuschauern Begriffe wie "leaken" näher. Stuckrad-Barre tut als Gastgeber im
       Ballhaus Rixdorf in Berlin das, was er auch als Autor tut. Er trifft
       Menschen und macht dies mit kindlicher Neugierde, bemerkenswerter Achtung
       vor dem Gegenüber - und reichlich Unverfrorenheit. Erstaunlich offen legt
       er sein Gefühl dem Anderen gegenüber und geht rein subjektiv durch die
       Welt. Im ersten Teil der Show erzählt Stuckrad-Barre, was ihm die Woche
       über so aufgefallen ist, im zweiten widmet er sich einem Gast, dazwischen
       kommt Uwe Wöllner.
       
       Für ihn sei die Show nichts anders als ein 3-D-Text, sagt Stuckrad-Barre.
       Egal, ob er eine literarische Reportage schreibe oder das Drehbuch über die
       Berliner Republik, an dem er gerade mit Helmut Dietl arbeitet, oder eben
       Fernsehen mache, es sei immer nur Ausdruck derselben Arbeitsweise: "Ich
       latsche durch die Gegend, gucke mir alles an und mache mir dazu Gedanken."
       
       In der Pilotsendung vom Juni, die auf Youtube zu sehen ist, wirft
       Stuckrad-Barre seinem Gast Thilo Sarrazin zu Beginn Fragen an den Kopf:
       Lieblingssong von Madonna, sind Sie ein Rassist, was ist Ihr
       Beautygeheimnis? Dann betrachten sie Fotos, die Sarrazin von seinem Alltag
       geschossen hat: Frau Sarrazin an der Orangenpresse. Später werden
       Neuköllner Schüler mit Sarrazins Thesen konfrontiert und zum Abschluss
       spielen sie "Wer bin ich". Der Gastgeber macht den Gast per Post-it auf der
       Stirn zu Bushido, Sarrazin Stuckrad-Barre zu Goebbels. Nun müssen das beide
       erraten. Sarrazin kam man selten so nahe.
       
       Er ist in der ersten Show heute Abend wieder zu Gast. Schließlich hat er
       inzwischen auch ein Buch geschrieben. Und er ist Stuckrad-Barres
       Wunschgast. Weil er aufregt. Überhaupt hat der 35-Jährige am liebsten Leute
       aus dem Politgeschäft in der Show. In der dritten Folge kommt Gregor Gysi,
       und Guido Westerwelle ist auch angefragt. Stuckrad-Barre sagt, er gucke
       viele Talkshows, "alle Nachrichtensendungen, die es gibt, und irre viel
       Phoenix". Es sei seine "altmodische Form von Aufklärung - von mir selbst".
       Und er rede halt viel lieber mit Volker Kauder als mit Dieter Bohlen. Da
       dürfen dann gerne auch die üblichen Talkshow-Verdächtigen kommen und er
       habe nichts gegen einen "Shuttleverkehr zu Anne Will". Schließlich kommt es
       viel mehr auf die Art zu fragen an als auf die Gäste.
       
       Fürs Richtigfragen bekommt Stuckrad-Barre Unterstützung von Statler und
       Waldorf: Hajo Schumacher ("Der Linke"), fernsehaffiner Journalist, und Jörg
       Schönbohm ("Der General"), Ex-Innenminister von Brandenburg, geben aus der
       Loge Tipps für kritisches Nachhaken und tun das auch mal selbst, wenn der
       Gastgeber unten zu weich ist.
       
       Sie wollten eine Sendung machen, die sie selbst seit langem vermissen im
       deutschen Fernsehen, sagt Christian Ulmen. Etwas zwischen
       Selbstreferenziell-Kunst-sein-Wollen und platten
       Lothar-Matthäus-Liliana-Gags. "Ich fühle mich da oft nicht gemeint als
       Zuschauer", ergänzt Stuckrad-Barre. Die Show passe gut zu ZDFneo, wo sie
       sich entwickeln und ausprobieren könnten, on air, sozusagen. "Es geht
       darum, Spaß zu haben. Mehr ist im Fernsehen nicht zu kriegen", sagt
       Stuckrad-Barre. Doch.
       
       Denn in den 45 Minuten der Show tut Stuckrad-Barre - der sich Autor nennt,
       nicht Journalist, weil ihm, wie er sagt, die Ausbildung fehlt - genau das,
       was Journalisten tun sollten: Er hört zu und er stellt Fragen - und seien
       die auch noch so abwegig oder peinlich. Da kommen begeisternd offene
       Antworten heraus. Das macht Spaß und klüger. Und man wünscht der Show eine
       mindestens so lange Laufzeit wie "Verbotene Liebe".
       
       16 Dec 2010
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Daniela Zinser
       
       ## TAGS
       
 (DIR) Buch
       
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