# taz.de -- Kommentar Chodorkowski-Urteil: Putins Vendetta
       
       > Putin ist von Haus aus Jurist. Wo das Recht aber nicht rechtsstaatlichen
       > Verfahren unterliegt, dient es der Macht und dem Stärkeren. Das war in
       > Russland nie anders.
       
 (IMG) Bild: Die russische Staatsmacht hat Michail Chodorkowski immer im Blick.
       
       Der Schuldspruch gegen den einstigen Ölmilliardär Michail Chodorkowski in
       einem zweiten absurden Verfahren kommt nicht wirklich überraschend. Es war
       abzusehen, dass die politischen Drahtzieher nicht nachgeben werden.
       Abzuwarten bleibt indes, ob der Richter nicht doch noch so viel Courage
       aufbringt, zumindest bei der Verhängung des Strafmaßes unter den sechs
       Jahren zu bleiben, die die Staatsanwaltschaft fordert. Noch einmal sechs
       Jahre Haft wären für die Angeklagten ein Martyrium.
       
       Schlimmer jedoch sind die Konsequenzen für Russland. Der Fall Chodorkowski
       hat sich zu einer Chiffre entwickelt, an der sich erkennen lässt, ob Moskau
       Rechtsstaatlichkeit überhaupt für erstrebenswert hält - und ob es in der
       Lage ist, dafür auch die Vorarbeiten zu leisten.
       
       Bislang sieht es danach nicht aus. Premier Wladimir Putin hatte im
       TV-Fragespiel mit dem Volk vor zwei Wochen dem Richter ein klares Signal
       gesandt. Er nahm den Schuldspruch vorweg: Ein Dieb gehöre hinter Gitter.
       Premierminister Putin ist von Haus aus Jurist. Wo das Recht aber nicht
       rechtsstaatlichen Verfahren unterliegt, dient es der Macht und dem
       Stärkeren. Das war in Russland nie anders. Der Premier bleibt der
       heimischen Rechtstradition treu.
       
       Die Klage Präsident Medwedjews über den Rechtsnihilismus und die Appelle
       zur Modernisierung laufen daher ins Leere. Wer geht schon als Westler in
       ein Land, wo er die Justiz fürchten und als Unternehmer jederzeit mit
       Enteignung durch die Bürokratie rechnen muss, es sei denn, er verfügte über
       den persönlichen Segen Putins?
       
       Den jedoch haben die wenigsten. Der Premier erweist dem Kremlchef einen
       Bärendienst. Aber auch sich selbst tut er keinen Gefallen. Mit der
       persönlichen Vendetta gegen Chodorkowski zeigt er seine Schwäche und ist
       sogar bereit, gegen die Interessen des Staates zu handeln. Denn ohne
       Modernisierung wird Russland schon bald nicht mal mehr die Rolle einer
       regionalen Großmacht bekleiden können. Der Patriot entpuppt sich als
       kleinmütiger Rachegott.
       
       Noch sitzt Putin fest im Sattel und schielt schon wieder nach dem Kreml.
       Dass ihm das Format fehlt, Russland aus der Krise zu führen, wird er nicht
       mehr lange verbergen können. Auch nicht, dass er das Land erst in die Krise
       manövrierte. Staat und Gesellschaft, die Leute wie Chodorkowski hinter
       Gitter stecken, haben ein gewaltiges Problem: Sie haben keine Zukunft.
       
       27 Dec 2010
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Klaus-Helge Donath
       
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