# taz.de -- Dogan Akhanli nach seiner Freilassung: "Ich kämpfe um meine Freiheit"
> "Ich will einen klaren Freispruch", sagt der deutsch-türkische
> Schriftsteller Dogan Akhanli. Er hat Angst vor der ungerechten türkischen
> Justiz, bleibt aber trotzdem freiwillig in der Türkei.
(IMG) Bild: Wartet auf seinen Prozess: Dogan Akhanli
taz: Herr Akhanli, wie geht es Ihnen jetzt, drei Wochen nach Ihrer
Freilassung aus der Untersuchungshaft?
Dogan Akhanli: Ich hatte zunächst Angst vor dem, was mich erwartet. In den
letzten Jahren in Köln habe ich oft an unser Dorf, an meinen Vater und an
meine Kindheit dort gedacht. Im Sommer letzten Jahres bin ich dann nach
fast 20 Jahren in die Türkei zurückgekehrt, vor allem, weil ich meinen
kranken Vater besuchen wollte - trotz des Risikos, verhaftet zu werden.
Dann starb mein Vater, während der türkische Staat mich grundlos im
Gefängnis festhielt. Ich war so entnervt und wütend auf diesen Staat, dass
ich am liebsten direkt nach meiner Freilassung nach Deutschland
zurückgeflogen wäre.
Das haben Sie aber nicht getan, stattdessen sind Sie in der Türkei
geblieben.
Ich habe mich doch dazu entschlossen, zumindest am Grab meines Vaters
Abschied zu nehmen und habe mich auf den langen Weg nach Ciritdüzü gemacht.
Unser Dorf liegt am Schwarzen Meer, kurz vor der Grenze nach Georgien. Als
ich in der Kreisstadt ankam, erfuhr ich von meiner Schwester als Erstes,
dass unser Onkel gerade ins Krankenhaus gekommen war. Ich empfand das als
einen erneuten Tiefschlag. Zum Glück war es ein Fehlalarm. Mein Onkel war
so lebendig und begrüßte mich begeistert im Krankenhaus, mir fiel ein Stein
vom Herzen.
Wie war es, nach so vielen Jahren in Ihr Dorf zurückzukommen?
Es war wie eine Heimkehr. Ich wurde begrüßt wie ein verlorener Sohn. Die
Menschen im Dorf gaben mir das Gefühl, als wäre ich nur zwei, drei Tage
weggewesen. Ich gehörte selbstverständlich dazu. Und sie waren stolz auf
ihren Schriftsteller, ihren "Kämpfer gegen Ungerechtigkeit", wie eine Tante
zu einem türkischen Fernsehsender sagte. Ich fühlte mich toll. Das war die
Türkei, die ich so lange vermisst hatte.
Ging es Ihnen nur in Ihrem Dorf so oder haben Sie auch woanders, hier in
Istanbul beispielsweise, die Türkei neu entdeckt?
Ja, auch Istanbul war aufregend und voller schöner Erfahrungen. Ich habe
hier mein neues Buch "Fasil" vorgestellt. Ein Verlag, den ich über meinen
Anwalt aus dem Gefängnis heraus kontaktieren konnte, hat das Manuskript in
Rekordzeit bearbeitet und gedruckt. Die erste Lesung hier war wie ein
Treffen unter Freunden; ein Treffen mit vielen Menschen, die mich
unterstützt haben, während ich im Gefängnis saß. Es war für mich fast wie
ein Traum, ich konnte kaum glauben, dass es real war.
Sie sind zwar jetzt nicht mehr im Gefängnis, aber Ihr Prozess geht ja im
März weiter. Womit rechnen Sie?
Die Verhandlung ist lebenswichtig für mich. Ich will einen klaren
Freispruch, es soll alles bis zum Ende geklärt werden. Für mein Gefühl war
die Entlassung aus der Untersuchungshaft praktisch ein Freispruch. Ich kann
nicht glauben, dass das Gericht im März die Farce fortsetzt und mich
tatsächlich für etwas verurteilt, mit dem ich so offensichtlich nichts zu
tun habe.
Werden Sie denn aus Köln zum Prozess anreisen?
Ich weiß es noch nicht genau, aber ich glaube, ich haue nicht mehr ab. Ich
will im März da sein, ich will den Schutz, den mir die deutsche
Staatsbürgerschaft bietet, nicht in Anspruch nehmen, sondern um mein Recht
und meine Freiheit hier kämpfen.
Warum?
Für den Prozess selbst ist meine persönliche Anwesenheit nicht wichtig.
Aber falls ich in Abwesenheit verurteilt würde, könnte ich nicht mehr in
die Türkei fahren. Sie würden mir einen wichtigen Teil von mir nehmen, und
das will ich nicht mehr zulassen. Dann müssen sie mich vor den Augen der
Weltöffentlichkeit erneut verhaften und in den Knast stecken. Das wäre eine
Kriegserklärung für mich, und ich will nicht mehr davor weglaufen.
Haben Sie keine Angst dabei?
Doch, ich habe riesige Angst. Die Richter und Staatsanwälte haben hier ja
so viel Macht - man ist ihnen ausgeliefert. Nach meiner Verhaftung war
klar, dass der Staatsanwalt mich im Gefängnis sehen wollte. Meine Version
der Geschichte hat ihn überhaupt nicht interessiert, er hat nie mit mir
geredet - er hat nicht ermittelt oder die Polizei ermitteln lassen. Selbst
als ich 1985 vor dem Militärgericht stand, hatte ich nicht so ein Gefühl
der Hilflosigkeit wie jetzt. Aber die großartige Solidaritätskampagne für
mich in Deutschland und auch in der Türkei hat dann ja dafür gesorgt, dass
sie mich nicht einfach im Gefängnis verschwinden lassen konnten. Das
Schönste im Knast war übrigens, dass ich nach einiger Zeit die taz und die
Zeit geschickt bekam. Ich konnte in aller Ruhe alles über diese blöde
Sarrazin-Debatte lesen. Im Knast war das lustig zu lesen, wie da ganz
Deutschland im Aufstand war.
Warum bleiben Sie nicht einfach in Köln und lassen die Türkei hinter sich?
Ich bin ein türkischer Schriftsteller. In den Jahren, in denen ich in Köln
war und nicht in die Türkei fahren konnte, hatte ich Angst, mein Türkisch,
den Anschluss an die lebendige Sprache zu verlieren. Ich hatte Angst, aus
der türkischen Literaturszene herauszufallen. Es hat mich krank gemacht,
dass ich nicht zurückfahren konnte. Ich habe mich intensiv mit der
deutschen Sprache auseinandergesetzt, ich denke auch oft in Deutsch, aber
wenn ich dann schreibe, ist es doch automatisch in Türkisch. Das war auch
bei meinem letzten Buch so. Wenn ich in Deutsch hätte schreiben können,
wäre das Exil vielleicht weniger Exil gewesen.
Ist "Fasil", die Geschichte einer Folterung, ein autobiografischer Roman?
Der Ausgangspunkt ist autobiografisch, ja. Mein Folterer, damals, 1985, war
sehr musisch, er konnte traditionelle Fasil-Lieder singen. Ich habe aber
nicht meine persönliche Geschichte erzählt, sondern zunächst mit vielen
anderen Folteropfern geredet oder ihre Berichte gelesen. Beim Schreiben
habe ich festgestellt, dass es mir viel schwerer fiel, dem Opfer eine
Stimme zu geben als dem Täter. In dem Buch versucht ein Vater seinem Sohn
zu erzählen, was ihm im Gefängnis zugefügt wurde. Er scheitert immer wieder
daran.
Was hat sich für Sie durch die Erfahrungen des letzten halben Jahres
verändert?
Meine Wut, die ich in Köln empfunden habe und natürlich als ich hier wieder
ins Gefängnis gesteckt wurde, ist jetzt, nach der Freilassung, Schritt für
Schritt zurückgegangen. Mein Traum jetzt ist, drei Monate im Jahr in mein
Dorf am Schwarzen Meer zurückkehren zu können, um dort zu schreiben. In
Deutschland alles vorzubereiten und zu recherchieren und dann hier im Dorf
zu schreiben. Ich bin froh, dass ich nach meiner Freilassung nicht gleich
zurückgeflogen, sondern noch vier Wochen hier geblieben bin. Ich kehre
jetzt als veränderter Mensch nach Köln zurück.
4 Jan 2011
## AUTOREN
(DIR) Jürgen Gottschlich
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