# taz.de -- Am Stadionkiosk des FC Barcelona: Wo Lionel Messi Süßigkeiten kaufte
       
       > Messi, Xavi, Iniesta – alle vom FC Barcelona, und einer von ihnen wird am
       > Montag Weltfußballer des Jahres. Grund genug, sich mal beim Kiosk im
       > "Camp Nou" sehen zu lassen.
       
 (IMG) Bild: Marta und Joan Cruellas, seit 33 Jahren hinter dem Tresen.
       
       BARCELONA taz | Lionel Messi gibt es nicht mehr. Auch Andrés Iniesta ist
       ausverkauft. Aber Carles Puyol und David Villa sind noch da. Und sogar
       einige Thierry Henrys lachen noch aus dem roten Pappkarton auf dem Tresen
       aus braunen Fliesen und grauem Beton. Der Franzose spielt zwar schon seit
       letztem Sommer nicht mehr für den Verein und jetzt in New York, doch das
       Verfallsdatum der Lutscher mit seinem Gesicht ist noch nicht erreicht.
       
       "Eigentlich müssten wir die Lollis auswechseln", sagt Marta Cruellas, "aber
       die schmecken ja noch." Ihr Mann Joan nickt, dreht einen der Henrys
       zwischen Zeigefinger und Daumen. Er sagt: "Im Fußball geht alles so
       schnell, manchmal etwas zu schnell für mich und meine Frau."
       
       Vielleicht ist es aber auch genau andersherum, und es fehlt dem Fußball an
       Beständigkeit. Joan und Marta Cruellas sind so etwas wie die
       personifizierte Verlässlichkeit bei einem der beliebtesten Fußballvereine
       unserer Zeit, dem FC Barcelona. Sie haben hunderte Spieler kommen und gehen
       sehen, dutzende Trainer wurden entlassen, einige Präsidenten abgewählt.
       Doch sie selber sind geblieben. Seit 33 Jahren steht das Ehepaar hinter dem
       Tresen ihres kleinen Kiosks im größten Stadion Europas, dem mächtigen Camp
       Nou.
       
       Fast 100.000 Menschen können hier Fußball sehen. Jede Sightseeingtour führt
       auch irgendwann zum Camp Nou, neben der Sagrada Família, dem Parc Güell und
       dem Picasso-Museum die meistbesuchte Sehenswürdigkeit der Stadt. Denn das
       Estadi del Futbol Club Barcelona ist nicht bloß eine Fußballarena, es ist
       sein eigenes Museum.
       
       Selbst an Tagen ohne Spiel bildet sich am Morgen vor dem Haupteingang eine
       lange Schlange, die bis zum Abend in Bewegung bleibt. Rund 1,5 Millionen
       Besucher im Jahr lassen sich für elf Euro durch die Sportstätte führen. Im
       Vereinsmuseum bestaunen sie die Trophäen, die in Vitrinen unter
       Designerleuchten lagern, wie Bilder von Salvador Dalí oder Joan Miró.
       
       Stolze Chips 
       
       Eingang Nummer 242, zweite Etage - dort befindet sich der kleine Stand, wo
       Joan und Marta Cruellas bei Heimspielen Getränke, Wurst mit Brot, Süßes und
       Barça-Kartoffelchips verkaufen. Die Chipstüten tragen das
       geschichtsträchtige Wappen und die Farben des FC Barcelona: blau und
       granatrot. Es sind kräftige, stolze Farben. Es sind stolze Kartoffelchips.
       
       An diesem Abend spielen die Katalanen gegen ihren größten Rivalen, gegen
       Real Madrid. Drinnen, unten auf dem Rasen, machen die Barça-Spieler eines
       der unglaublichsten Spiele der vergangenen Jahre, schießen fünf Tore.
       Draußen, hinter dem Tresen, schüttelt Joan Cruellas den Kopf, sagt: "Ein
       5:0 im Camp Nou hat es gegen Real zuletzt in der Saison 1993/1994 gegeben."
       
       Wenn Joan Cruellas spricht, kann man hören, dass er starker Raucher ist.
       Jedes seiner Worte wird herausgepresst. Er trägt Brille, ist Anfang
       sechzig, der Schnauzbart struppig, das Haar grau und auf dem Kopf etwas
       licht geworden in den letzten Jahren. Unter der Woche arbeitet er als
       Grafiker. Am Wochenende ist er Kioskbesitzer - und vor allem eines:
       Aficionado, Anhänger des FC Barcelona. Seit mehr als 40 Jahren hat er eine
       Dauerkarte.
       
       Doch sein Sitzplatz bleibt während der Spiele meist leer. "Zu viel zu tun",
       sagt er knapp. Manche Tore, die des Gegners, bekommen er und seine Frau
       erst mit, wenn der Stadionsprecher sie durchsagt - der Jubel der meist
       wenigen Gästefans ist an ihrem Kiosk nicht zu hören.
       
       Doch auch wenn Joan Cruellas selten ein Spiel ganz gesehen hat in den
       vergangenen drei Jahrzehnten, weiß er sehr genau, worum es geht. Er ist ein
       stiller Kenner des Fußballs. "Er weiß alles", sagt seine Frau. Bei
       wichtigen Spielen schickt sie ihren Mann dann doch auf die Tribüne, wenn
       sie merkt, dass er unruhig wird, er beginnt die Plastikbecher auf dem
       Tresen grundlos von links nach rechts und wieder nach links zu schieben.
       Wenn er jeden zweiten Kunden fragt, wie denn einzelne Spieler in Form sind
       an diesem Tag. "Dann sehe ich, wie er leidet", sagt sie. Joan Cruellas
       nickt. "Der FC Barcelona ist das Größte in unserem Leben", sagt er nach
       einer kurzen Pause, "und ich meine den gesamten Verein, auch die zweite und
       dritte Mannschaft."
       
       Im Mini Estadi, dem kleinen Stadion des Klubs gleich neben dem Camp Nou,
       hat das Ehepaar einen weiteren Kiosk, den letzten noch verbliebenen. Dort
       bewirten sie die Fans von Barça B und Barça C. Doch meist verlieren sich
       gerade einmal 500 Interessierte im 15.000 Zuschauer fassenden Rund. Manche
       Sitzschalen sind herausgebrochen, auf der Tribüne steht das Wasser. "Es
       geht hier nicht ums Geldverdienen", sagt Joan Cruellas, "es ist eine Sache
       des Herzens."
       
       Hinter dem Mini Estadi führt eine schmale Treppe hinauf zu einem
       Kunstrasenplatz. Regelmäßig kommen Messitouristen aus der ganzen Welt
       hierher, um das Übungsgelände zu begutachten und zu fotografieren. Manche
       stehen fast ehrfürchtig da, zeigen immer wieder auf den menschenleeren
       Fußballplatz. Seit der FC Barcelona sich vor den Toren der Stadt ein
       modernes Ausbildungszentrum für seine Talente hat bauen lassen, wird hier
       nur noch selten trainiert. "Doch hier haben sie alle angefangen", weiß Joan
       Cruellas, "Xavi, Iniesta, Messi, Puyol, Bojan, Piqué, Valdés, Guardiola und
       die vielen, vielen anderen."
       
       Dreimal FCB 
       
       Wenn der Fußballweltverband Fifa am Montag in Zürich den besten Spieler des
       Jahres 2010 adeln wird, werden mit Lionel Messi, Andrés Iniesta und Xavi
       Hernández ausschließlich Spieler des FC Barcelona zur Wahl stehen. Das hat
       es noch nie gegeben. "Auch das ist eine Sache des Herzens", sagt Joan
       Cruellas, denn ganz gleich, wer die Trophäe bekommen werde, verdient habe
       es jeder, "für seine Bescheidenheit.
       
       Die drei sind die Antistars unter den Besten der Welt. Am liebsten würden
       sie nur Fußball spielen, keine Autogramme oder Interviews geben." Der heute
       23-jährige Messi, dessen Spielweise mit Worten nicht mehr zu erklären ist,
       der in der vergangenen Saison in 44 Spielen 41 Tore für Barça erzielt hat
       und dessen Quote in dieser Spielzeit noch viel besser ist: 24 Treffer in 22
       Partien.
       
       Der 26-jährige Iniesta, der Spanien zum Weltmeister schoss und dessen Füße
       Finger zu haben scheinen, die jeden seiner klugen Pässe dirigieren. Und der
       30-jährige Xavi, der durch seine Ballsicherheit und Kreativität dem
       perfekten Spiel so nahe kommt wie niemand sonst. Alle drei sind in den
       Jugendmannschaften Barças groß geworden, keiner hat bis heute bei einem
       anderen Klub als Profi gespielt.
       
       An den Kiosk der Cruellas sind sie schon als Kinder gekommen, um sich
       Süßigkeiten oder eine Cola zu holen. "Sie konnten kaum über den Tresen
       gucken", sagt Marta Cruellas, "früher waren sie kleine Jungen, heute sind
       sie Millionäre - aber sie sind normal geblieben und immer noch genauso
       freundlich und zurückhaltend wie damals. Das ist selten."
       
       Weit anders ist das Benehmen manch jüngerer Spieler aus dem B- oder C-Team.
       In Zeiten, da die Grenzen zwischen Sporthelden und Popstars mehr und mehr
       verschwimmen, scheint es für viele nicht ganz einfach zu sein, auf dem
       Boden zu bleiben. Selbst für die, die noch gar keinen Grund haben,
       abzuheben. Junge Talente, die sich einen Dreitagebart stehen lassen, Gel in
       die schwarzen Haare schmieren, Goldketten um den Hals und falsche
       Edelsteine in den Ohren tragen. Manche von ihnen zahlen am Kiosk der
       Cruellas, als hätten sie zu viel Geld. Sie schmeißen es einfach auf den
       Tresen und gehen, ohne sich zu bedanken.
       
       Messi schaut vorbei 
       
       Es gibt Menschen, die vieles dafür geben würden, nur ein Wort mit den
       Messis dieser Welt sprechen zu dürfen. Es gibt Menschen, die die
       Geschichten, die sie mit den Stars erlebt haben, ungefragt erzählen - auch
       denen, die sie nicht hören wollen. Joan und Marta Cruellas sind da anders.
       Sie könnten viele Geschichten von den umjubelten Profis verraten, etwa die,
       als sich einer der Barça-Spieler hinter ihrem Tresen vor Fans und
       Journalisten versteckte.
       
       Oder die, dass sie schon häufiger von Iniesta und Xavi zum Essen eingeladen
       wurden. Oder auch die, dass Messi noch heute manchmal an ihrem Kiosk
       vorbeischaut, um zu fragen, ob es ihnen gut geht. Doch sie erzählen diese
       Geschichten nicht jedem. Sie können die Hysterie, die um den Fußball und
       seine Stars gemacht wird, nicht verstehen.
       
       Marta und Joan Cruellas wirken in ihrer Gelassenheit wie Eltern zwischen
       den aufgepeppten Möchtegernprofis und den überdrehten Fans. Sie sind eine
       der wenigen Konstanten des FC Barcelona, ein ruhiger Pol in der oft
       hysterischen Welt des Fußballs. "Wir werden hier hinter unserem Tresen
       stehen, solange wir leben", sagt Marta Cruellas, "das ist unsere Aufgabe."
       Ihr Mann nickt wieder. Dann verkauft er zwei David Villa und einen Carles
       Puyol.
       
       5 Jan 2011
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Oliver Lück
       
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