# taz.de -- Referendum in Südsudan: Abenteuer Freiheit
       
       > Historische Stunden in Südsudans Hauptstadt Juba: Die Unabhängigkeit ist
       > zum Greifen nah. Entstehen jetzt nach über 20 Jahren Bürgerkrieg
       > Sicherheit und Stabilität?
       
 (IMG) Bild: In Südsudans Hauptstadt Juba herrscht kurz vor dem Referendum angespannte Ruhe.
       
       JUBA taz | Sobald die Luft in der Mittagshitze anfängt zu flimmern, legt
       sich auf dem Markt im Zentrum von Südsudans Hauptstadt Juba das geschäftige
       Treiben. Die Geldwechsler dösen im Schatten eines Baumes auf
       Plastikstühlen, ihre Geldbündel fest in der Hand. Die Schuhputzer legen
       ihre Bürsten zur Seite, die Gemüsefrauen verkriechen sich hinter ihren
       bunten Stofftüchern.
       
       Nur unter dem großen Mangobaum am Straßenrand wird laut debattiert. Rund
       ein Dutzend ältere Männer, die meisten mit den für das Dinka-Volk
       typischen, tief eingeritzten Narben auf der Stirn, hocken auf Schemeln im
       Kreis und trinken heißen Tee. Sie diskutieren auf Arabisch über das am
       Sonntag anstehende Referendum. Daneben sitzt James Lodiong auf der
       Bordsteinkante und hört aufmerksam zu.
       
       Statt Tee schlürft er einen eiskalten, frisch gepressten roten Beerensaft,
       den eine junge Frau aus einer Kühlbox neben ihm verkauft. Der 27-Jährige
       lächelt: "Alles dreht sich hier dieser Tage um das Referendum", zwinkert
       er. Die Männer diskutierten darüber, wie Südsudan nach der Unabhängigkeit
       aussehen könnte, erklärt er und fügt hinzu: "Wir brauchen dringend neue
       Visionen, die über die Unabhängigkeit hinausreichen."
       
       Lodiong, Vater von zwei Kindern, studiert an der Universität von Juba
       Entwicklungsansätze in den ländlichen Regionen - ein Sektor, in dem er
       viele Jobmöglichkeiten wittert. Er selbst stammt aus einem kleinen Dorf im
       Süden Südsudans, an der Grenze zu Uganda. Seine Heimatregion habe sich
       "verhältnismäßig gut" entwickelt, erklärt er auf Englisch.
       
       Die Überlandstraße sei frisch geteert, die Stromleitungen bereits
       unterirdisch verlegt, Händler bringen Waren aus Uganda, und: "Sogar unser
       Schulsystem ist besser, weil ugandische Lehrer uns unterrichten", sagt er.
       In anderen Regionen Südsudans sehe es ganz anders aus. "Die Infrastruktur
       jenseits von Juba ist in einem katastrophalen Zustand", seufzt er. Dies
       könne sich jedoch rasch ändern, fügt er schnell hinzu und guckt sich um.
       
       Juba im Wandel 
       
       Seit dem Friedensabkommen 2005 zwischen Sudans Regierung in Khartum und
       Südsudans ehemaliger Rebellenbewegung SPLA (Sudanesische
       Volksbefreiungsarmee), die seitdem den Süden als Autonomieregion regiert,
       hat sich Juba von einer Container- und Zeltsiedlung zwischen Ruinen alter
       Kolonialgebäude zu einer richtigen Stadt gemausert: mit einer Handvoll
       geteerten Straßen sowie neuen, klimatisierten Ministerien.
       
       "Wenn wir unsere Ressourcen sinnvoll einsetzen, dann können wir in den
       nächsten fünf Jahren auch die Städte und Regionen außerhalb von Juba
       entwickeln", sagt Lodiong. Er deutet auf ein Poster, das an den Mangobaum
       gepinnt ist: "Stimmt für Entwicklung, wählt die Unabhängigkeit", steht
       darauf.
       
       Die Begeisterung über die anstehende Volksabstimmung ist in Juba groß.
       Feste werden vorbereitet. Junge Leute diskutieren, wo und wie sie den
       Referendumsauftakt am Sonntag feiern. Doch es liegt eine gewisse Anspannung
       in der Luft. Der Parkplatz nahe dem Hafen, wo sonst die ugandischen Händler
       Gemüse und Obst anliefern, ist fast verwaist. Kaum ein Händler riskiert
       derzeit sein Vermögen in Juba. Die Gemüseverkäuferinnen auf dem Markt haben
       deswegen nur wenige, nicht mehr ganz so frische Tomaten anzubieten, die sie
       zum doppelten Preis verkaufen. Die Geldwechsler haben kaum noch
       Dollarnoten. Der Umrechnungskurs dafür ist in die Höhe geschnellt.
       
       Während die ugandischen Händler aus Angst vor aufflammenden Konflikten
       Südsudan meiden, geben sich westliche Delegierte in Juba die Klinke in die
       Hand. Fast täglich brausen Staatskarossen auf der Straße vom Flughafen in
       das Regierungsviertel. Vertreter des UN-Sicherheitsrats waren zu Besuch,
       US-Außenministerin Hillary Clinton kommt, selbst Hollywoodschauspieler
       George Clooney tourt durch Südsudan. Mehrmals pro Tag sperren Polizisten
       deswegen die wenigen geteerten Straßen ab.
       
       Motorradtaxi-Fahrer wie John Baradong nervt das gewaltig. "Jetzt, da wir
       endlich Frieden haben, interessiert sich die ganze Welt für uns", wundert
       er sich kopfschüttelnd. Er hockt mal wieder am Straßenrand unter einem Baum
       auf seinem geparkten Motorrad und wartet, bis die Limousinenkolonne vorüber
       ist. In den vergangenen Tagen hat Baradong, Vater von fünf Kindern, fast
       ein Viertel weniger Geld verdient als sonst. "Viele Leute bleiben in diesen
       Tagen lieber zu Hause", sagt er. Nach Einbruch der Dunkelheit um sieben Uhr
       abends sei die Stadt wie ausgestorben. Und vor den Polizisten müsse man
       sich in Acht nehmen, warnt er.
       
       In den vergangenen Wochen haben in Juba mehrfach junge, frisch ausgebildete
       Polizisten Frauen bedroht, sogar geschlagen, weil sie angeblich zu leicht
       bekleidet waren. Auf einem Jugendkonzert zu Weihnachten griff ein
       21-jähriger Rekrut ein Mädchen mit dem Messer an. "Über die Feiertage
       mussten wir feststellen, dass unsere Polizisten nur bedingt über längere
       Zeit einsatzfähig sind", muss Polizeisprecher Biar Mading zugeben. Der
       Generalmajor mit den Schulterklappen sitzt im heruntergekommenen
       Polizeihauptquartier hinter seinem polierten Schreibtisch in einem großen
       Ledersessel. Während seiner Teepause verfolgt er auf einem großen
       Flachbildschirm die internationale TV-Berichterstattung über Südsudan.
       
       Über das Image seines Landes mache er sich große Sorgen, erklärt der
       Generalmajor. "Um Sicherheit zu garantieren, haben wir sämtliche Polizisten
       im Einsatz, die das Land aufzubieten hat", sagt er. Insgesamt 60.000
       Sicherheitskräfte sollen Wahlstationen bewachen und den Transport der
       Wahlurnen sichern - das ist nicht viel auf einem Gebiet von der
       anderthalbfachen Fläche Deutschlands. Für die potenziell bald unabhängige
       Regierung Südsudans wird das Referendum ein entscheidender Testlauf, ob der
       Staat in der Lage ist, seinem Volk das zu liefern, was es nach über 20
       Jahren Bürgerkrieg am meisten braucht: Sicherheit und Stabilität.
       
       Das Risiko eines Konflikts mit dem Norden zu minimieren, das ist Deng Alors
       Aufgabe. Südsudans Minister für regionale Kooperation ist derzeit der
       meistbeschäftigte Mann im Land, so scheint es. Eben hat er eine deutsche
       Delegation verabschiedet, gleich darauf steht der nächste Staatsbesuch vor
       seinem Büro. Dennoch nimmt er sich Zeit, über seine Heimat zu sprechen.
       Alor ist ein groß gewachsener Mann mit breiten Schultern und aufrechtem
       Gang - typisch für sein Volk der Dinka, die in Südsudans Regierung die
       Mehrheit der Ministerposten sowie den Präsidenten stellen.
       
       Alor stammt aus Abyei, der zwischen Nord und Süd umstrittenen Ölregion an
       der Grenze. Auch wenn er dort Konflikte nicht ausschließen will, versichert
       er, dass die Beziehungen zwischen Nord und Süd derzeit besser seien als je
       zuvor. "Die Abspaltung wird ein großer Schock für den Norden", sagt er. Die
       Opposition in Khartum werde dies ausnutzen, um gegen Bashir zu
       mobilisieren. "Unser Volk im Süden ist im Vergleich relativ gut
       vorbereitet", meint er.
       
       Über eine solche Aussage kann James Ninrew, Vorsitzender des
       Nuer-Friedensrats, nur den Kopf schütteln. Die Nuer und die Dinka sind mit
       je rund 20 Prozent die größten der 67 Ethnien im Südsudan. Als stolze
       Kriegervölker mit alter Nomadentradition bekämpften sie sich während des
       Bürgerkrieges, ein Teil der Nuer wurde von Khartum bewaffnet, um gegen die
       Dinka in der SPLA vorzugehen.
       
       In der Autonomieregierung stellen die Nuer den Vizepräsidenten Riek Machar
       sowie vier Minister von insgesamt 36. Dass die Dinka ansonsten sämtliche
       Machtposten innehaben, vor allem in der Armee und Polizei, sieht Ninrew als
       gefährlich an. "Politik ist hier reine Vetternwirtschaft", sagt er
       ernüchtert. Und da die politische Elite auch über die Wirtschaft
       entscheidet, seien sämtliche Branchen in der Hand der Dinka.
       
       Ninrews Nuer-Friedensrat betreibt seine Bemühungen um friedliche
       Lösungsansätze zwischen den beiden dominierenden Ethnien Südsudans in einem
       kleinen Büro hinter einem übervollen Schreibtisch in einem Haus, das sich
       lokale Menschenrechts- und Frauenorganisationen teilen.
       
       Gänse schnattern im Innenhof herum, klicken mit dem Schnabel an die Glastür
       zu Ninrews Büro. Eben korrigiert er einen Bericht über die jüngsten
       Auseinandersetzungen im Osten des Südsudans, nahe der Stadt Akobo an der
       Grenze zu Äthiopien, wo sich zwei Nuer-Gemeinden bekriegen. SPLA-Soldaten,
       in der Mehrheit Dinka, marschierten im November ein und brannten die Dörfer
       nieder.
       
       Ninrew befüchtet, dass solche Auseinandersetzungen Südsudan in einen neuen
       Bürgerkrieg treiben könnten. Denn die derzeitige, Dinka-dominierte
       Autonomieregierung wird nach einem Ja der Südsudanesen zur Unabhängigkeit
       über die Spielregeln des neuen Staates entscheiden, der ein halbes Jahr
       später ausgerufen werden soll: eine verfassunggebende Versammlung
       einberufen, Neuwahlen organisieren.
       
       "Wenn die Dinka heute unfaire Regeln einführen, dann werden sich die
       anderen Ethnien früher oder später rächen", warnt der Nuer Ninrew.
       Südsudans Regierung müsse es vermeiden, dieselben Fehler zu begehen wie
       einst Khartum. Nicht weit entfernt von seinem Fenster sprüht eine
       Teermaschine flüssigen Asphalt auf die Straße. "Sie sollten nicht nur die
       Hauptstadt entwickeln, sondern auch die Provinzstädte", sagt Ninrew und
       hebt den Zeigefinger: Wenn die Regierung in Khartum auch in die Provinzen
       und nicht nur in das Zentrum investiert hätte, würde sich der Süden nun
       nicht abspalten.
       
       Nationalheld Garang 
       
       "Bringt die Städte zu den Völkern und nicht die Völker in die Städte",
       zitiert Ninrew ausgerechnet Südsudans Kriegshelden und SPLA-Gründer John
       Garang, dessen Porträt über seinem Schreibtisch hängt. Jahrzehntelang
       führte Garang die SPLA im Bürgerkrieg und handelte 2005 das
       Friedensabkommen mit Khartum aus. Es war der größte Triumph des Urvaters
       der Unabhängigkeitsbewegung Südsudans.
       
       Aber wenige Monate später kam Garang bei einem Helikopterabsturz ums Leben.
       Garang hatte sich in seinem jahrzehntelangen Kampf auch für die Interessen
       anderer Gruppen in der vernachlässigten Peripherie Sudans ausgesprochen,
       zum Beispiel auch für die Menschen in Darfur. Seine Vision war ein
       sozialistischer und demokratischer Staat im ganzen Sudan, ein "neuer
       Sudan", in dem alle Menschen frei leben und gleich behandelt werden.
       
       Garang war ein Dinka, aber wurde auch von anderen Südsudanesen als
       Nationalheld anerkannt. In Jubas Stadtzentrum hat man Garang ein
       schlichtes, aber würdevolles Mausoleum errichtet. Daneben ist eine der
       zentralen Wahlstationen der Hauptstadt errichtet worden. Stets liegen
       frische Blumen auf seinem Grab.
       
       7 Jan 2011
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Simone Schlindwein
       
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