# taz.de -- Margot Käßmann spricht: Bochum statt Kabul
       
       > Die ehemalige EKD-Ratsvorsitzende Margot Käßmann hält ihre
       > Antrittsvorlesung an der Bochumer Ruhr-Universität – und lässt sich als
       > Gegenpol zu Thilo Sarrazin feiern.
       
 (IMG) Bild: Sie kann's noch: Margit Käßmann im vollbesetzten Audimax der Ruhr-Universität.
       
       BOCHUM taz | Es ist der Auftritt eines Popstars: Fernsehkameras laufen,
       Objektive surren, Blitzlichter zucken bei der Antrittsvorlesung an der
       Ruhr-Universität.
       
       Die Bochumer Hochschule hat ihre neue Max-Imdahl-Gastprofessur neu besetzt
       – und sichtlich stolz präsentieren Rektor Elmar Weiler und die Dekanin der
       evangelisch-theologischen Fakultät, Isolde Karle, am Dienstag die ehemalige
       Ratsvorsitzende der evangelischen Kirche in Deutschland und Landesbischöfin
       von Hannover: Margot Käßmann.
       
       Käßmann, die mit ihrem aus ihrer Neujahrspredigt stammenden Satz "Nichts
       ist gut in Afghanistan" die Debatte über den Bundeswehr-Einsatz am
       Hindukusch angestoßen hat. Käßmann, die nach einer Alkoholfahrt sämtliche
       Leitungsämter aufgab. Käßmann, die sich selbst zur Pastorin degradierte und
       so die Herzen des Publikums gewann: Angesichts von Eliten aus Politik und
       Wirtschaft, deren Klammern an Posten und Pöstchen als notorisch gilt,
       überhöhte der Rücktritt die Zurückgetretene. Ein wenig von Käßmanns Glanz
       soll jetzt auf ihre alte Hochschule zurückstrahlen.
       
       Die Bochumer Universität, an der die Theologin 1989 mit einer Arbeit über
       "Armut und Reichtum als Anfrage an die Einheit der Kirche" promoviert
       wurde, leidet noch immer unter ihrem Image von in Beton gegossener
       Hässlichkeit – dabei hat die 1962 gegründete Uni mit ihren über 30.000
       Studierenden den Strukturwandel von Deutschlands größter Metropolregion
       entscheidend befördert, steht nicht nur symbolisch für den Weg des
       Ruhrgebiets weg von Kohle und Stahl hin zu Forschung und Wissenschaft.
       
       Und Käßmann ist Medienprofi genug, um die Erwartungen zu erfüllen.
       
       Nein, die ehemalige Bischöfin redet nicht über Afghanistan. Die von
       Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg ausgesprochene Einladung
       nach Kabul hatte sie schon bei ihrer Vorstellung vor Journalisten
       ausgeschlagen. "Weder Amt noch Mandat" habe sie dafür – auf die
       "Pastoralreise" geht ihr Nachfolger, Präses Nikolaus Schneider.
       
       Der andere Sarrazin 
       
       Doch in ihrer Antrittsvorlesung nimmt sich Käßmann, die im Sommersemester
       laut Dekanin Karle "zur sozialethischen Bewertung von Babyklappen,
       Kinderarmut, Asylrechtspraxis, Genderdiskriminierung" lesen soll, mit der
       Migrationsdebatte ein weiteres Großthema vor.
       
       Thilo Sarrazin aber erwähnt die 52-Jährige dabei mit keinem Wort.
       
       Stattdessen zitiert Käßmann den in Dortmund geborenen, einen Hamburger
       Wahlkreis vertretenden grünen Bundestagsabgeordneten Manuel Sarrazin, mahnt
       "eine menschenrechtlich fundierte humanitäre EU-Migrationspolitik" an, die
       "Möglichkeiten der legalen Migration besser und neu" eröffnen müsse. In
       knapp 90 Minuten zieht die Theologin einen großen Spannungsbogen: Sie
       beginnt bei der Migration als biblischem Motiv, wörtlich bei der
       Vertreibung Adams und Evas aus dem Paradies, bei Moses.
       
       "Fremd sein oder anpassen, integrieren oder okkupieren, abgrenzen oder
       assimilieren" – schon die Bibel buchstabiere diese Themen "auf
       faszinierende Weise" durch.
       
       Multikulti ist nicht tot 
       
       Käßmann erläutert das Motiv der Angst, das zu Abwehr führe: Angst vor "dem
       Fremden", vor "der Vielfalt", vor "anderen Religionen". Die "Angst der
       Fremden" vor der neuen Heimat vergisst sie nicht – und verwirft ganz
       nebenbei die Ansagen von Kanzlerin Angela Merkel und CSU-Chef Horst
       Seehofer, Multikulti sei "gescheitert" oder gar "tot".
       
       Schon heute habe die Bundesrepublik Millionen Menschen integriert, ohne zur
       Assimilation zu zwingen, sagt die Gastprofessorin – und wirbt am Beispiel
       einer Migrantin, die auch nach 18 Jahren in Deutschland noch "kein
       deutsches Wohnzimmer gesehen" habe, für "Begegnung" und "Gastfreundschaft"
       - und natürlich klassisch für "Bildung", "Respekt" und "Toleranz".
       
       Die über 1.800 Zuhörer im fast voll besetzten Audimax der Ruhr-Uni,
       darunter auffällig viele Ältere, applaudieren erlöst. "Beeindruckend" sei
       die Rednerin Käßmann, findet nicht nur Jost Weber, der in Bonn
       Agrarwissenschaften studiert und extra für die Antrittsvorlesung nach
       Bochum gereist ist.
       
       "Ich habe gehofft, dass sie Position bezieht", sagt auch Anke Bischoff, die
       ihre an der Ruhr-Universität studierende Tochter Lisa begleitet: "Käßmann
       ist eine mutige Frau."
       
       12 Jan 2011
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Andreas Wyputta
       
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