# taz.de -- Video der Woche: Oben ohne für die Revolution
       
       > Der Dresdner Hans-Jürgen Westphal liefert seinen ganz eigenen Beitrag zur
       > Kommunismusdebatte – unter anderem mit einem Musikvideoclip.
       
 (IMG) Bild: Dresdens bekanntester Kommunist: Hans-Jürgen Westphal.
       
       Für den Kommunismus streitet er. Für den Kommunismus singt er. Für den
       Kommunismus zieht er auch schon mal blank. Wenn alles zusammenkommt, kommt
       ein bemerkenswerter Musikvideoclip dabei heraus: „DDR, wir erkämpfen
       unseren Staat! Wo ist die Oppositionspartei? Der Kommunismus ist unser
       Ziel!“, lautet der etwas sperrige Titel. Unendlich lange zwölf Minuten und
       47 Sekunden dauert das Stück. Wer sich für den Kommunismus des Hans-Jürgen
       Westphal interessiert, muss eine gute Kondition und starke Nerven besitzen.
       Trotzdem ist sich der 59-jährige Dresdner sicher: "Unser Sieg wird sein!"
       
       Der Mann mit der Halbglatze, dem weißen Vollbart und der stark behaarten
       Brust ist Dresdens bekanntester Kommunist. Seit mehr als zwanzig Jahren
       folgt der gelernte Ingenieur-Pädagoge nun schon unverdrossen der Losung der
       Linkspartei-Vorsitzenden Gesine Lötzsch: [1]["Die Wege zum Kommunismus
       können wir nur finden, wenn wir uns auf den Weg machen und sie
       ausprobieren, ob in der Opposition oder in der Regierung."] Westphal hat
       sich auf den Weg gemacht. Das erste Mal am 3. Oktober 1990, „dem Tag, als
       mein Vaterland geraubt wurde“. Seit damals zieht er tagaus, tagein und bei
       Wind und Wetter in die Dresdner Innenstadt. Dort steht der zweifache
       Familienvater dann mittags für ein paar Stunden mit seiner roten
       Hammer-und- Sichel-Fahne auf der Prager Straße in der Höhe von Karstadt und
       agitiert mal alleine, mal mit Mitstreitern für den Kommunismus.
       Beziehungsweise das, was er sich darunter vorstellt.
       
       Inzwischen ist Westphal die sächsische Landeshauptstadt als Aktionsfeld
       allerdings zu klein geworden. Es reicht ihm nicht mehr, die Passanten in
       der Fußgängerzone mit selbstverfassten Traktaten à la "Diktatur des
       Proletariats, jetzt!" zu traktieren. Er hat das Internet für sich und seine
       Heilsbotschaft entdeckt. Der komische Kauz, der es bitter ernst meint,
       lässt nichts unversucht, um seine Mitbürger – er würde einschränkend sagen:
       die Proletarier – auf den rechten linken Weg zu bringen. Der seit 1992
       erwerbslose Westphal nutzt seine freie Zeit äußerst produktiv: Unzählige
       Aufsätze und Gedichte hat er für die Sache des Kommunismus geschrieben. Er
       produziert Broschüren, Kalender mit eigenen Bleistift- und
       Tuschezeichnungen, Hörspiele und inzwischen auch eine Menge Videos. Sogar
       ein Puppenspiel gehört zu seinem umfangreichen Œuvre. Eine eigene
       "kommunistische Rockband" hat er ebenfalls gegründet. VERITAS nennt sich
       die dreiköpfige Combo. Zwanzig CDs hat sie inzwischen herausgebracht.
       Westphal ist der Leadsänger, spielt E-Bass, sechsseitige und 12-seitige
       Gitarre, Querflöte - und schreibt die meisten Texte. "VERITAS ist
       lateinisch und bedeutet so viel wie Wahrheit, Wahrheitsliebe,
       Wirklichkeit", erläutert er. Und um die Wahrheit gehe es ihm. Seine
       Wahrheit.
       
       Westphal trat acht Jahre vor Gesine Lötzsch in die SED ein. Das war 1978.
       Mit ihr gemeinsam machte er die Transformation der einst allmächtigen
       Staatspartei zur PDS mit. Doch im Gegensatz zu Lötzsch war für den
       ehemaligen Leitender Museumsassistenten am Museum für Geschichte der Stadt
       Dresden 1994 Schluss in der SED-Nachfolgepartei. Sie war ihm nicht mehr
       kommunistisch genug. Anders als die Junge Welt, jenes ehemalige
       Zentralorgan der Freien Deutschen Jugend, das heute das Kampfblatt für alle
       kommunistischen Plattformen in und außerhalb der Linkspartei ist. In ihr
       veröffentlichte Lötzsch ihren umstrittenen Beitrag zur
       „Rosa-Luxemburg-Konferenz“. Westphal ist begeisterter Abonnent der Jungen
       Welt, hält sie für „die beste Tageszeitung der BRD“ – und hat ihr sogar
       eine eigene DVD gewidmet. Wie der Chefredakteur der Jungen Welt bis heute
       auf seine Spitzeldienste für die Stasi stolz ist, hält auch er den
       Untergang der DDR für eine "Konterrevolution". Die Bundesrepublik ist ihm
       ein Graus: "Wir haben hier nichts zu verlieren, in der verhassten BRD."
       
       Westphals Weg zum Kommunismus ist ein Weg zurück: "Unser Staat, der war
       schon da." Er möchte seine gute, alte DDR wiederhaben. Deren Untergang
       betrauert er inbrünstig: „Ja, ich bin in dir geboren, meine schöne DDR",
       singt er mit trauriger Stimme, „und ich habe dich verloren, dieser Schmerz
       vergeht nie mehr". Aber kapituliert vor den herrschenden Verhältnissen hat
       Westphal nicht: „Unsere Tränen sind geflossen, doch wir haben uns
       aufgerafft. Unsere Tränen wurden Schwerter. Auch aus dem Leid erwächst uns
       Kraft für unseren Sieg.“ Solche Zeilen hält er für Kunst, "kommunistische
       Kunst". Was sonst?
       
       Ideologische Unterstützung holt sich der glühende Marxist-Leninist dabei
       bisweilen vom Genossen Stalin. Auch ihn besingt er in einem seiner
       Musikvideos: [2]["Schau in die Stalin-Werke und versteh!"] Die
       Kommunismus-Äußerungen von Lötzsch in der Jungen Welt kommentierte Gregor
       Gysi mit den Worten: „Als Politiker muss ich berücksichtigen, dass andere
       unter dem Begriff Kommunismus Stalin verstehen oder an die Mauer denken.“
       Hans-Jürgen Westphal ist ein Beispiel dafür, wie richtig der
       Linkspartei-Bundestagsfraktionschef mit seiner Einschätzung liegt - wenn
       auch etwas anders, als er es sich gedacht haben dürfte.
       
       15 Jan 2011
       
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