# taz.de -- Die ARD wühlt in Gysis Vergangenheit: Im Osten nichts Neues
       
       > War Gregor Gysi in seiner Zeit als DDR-Rechtsanwalt ein Stasi-IM? Oder
       > nicht? "Die Akte Gysi" (Donnerstag, 23.30 Uhr, ARD) macht sich auf der
       > Suche nach einer Antwort.
       
 (IMG) Bild: Advocatus diaboli? Gregor Gysi.
       
       Wer sich in der vergangenen Woche die neue Late Show von Stuckrad-Barre auf
       dem Kika (Oder war es ZDFneo? Jedenfalls irgendein Nischenprogramm für
       junge Zuschauer, an deren mögliche Rückgewinnung für das
       öffentlich-rechtliche Hauptprogramm dort offenbar keiner mehr glaubt)
       angeguckt hat, konnte von dem als Gast geladenen Gregor Gysi erfahren, dass
       es 2000 Euro kostet, ihn "IM Notar" zu nennen.
       
       Stuckrad-Barre befand, das könne er sich leisten. Die Kollegen vom
       Hauptprogramm bezahlen so einen Betrag natürlich aus der Kaffee- oder
       Portokasse. Und so tun sie es heute wieder, bei der ARD nennen sie Gregor
       Gysi "IM Notar". Neu ist der Vorwurf natürlich nicht, aber ein bisschen
       Säbelrasseln muss sein, und so versprechen Hans-Jürgen Börner und Silke
       König gleich zu Beginn ihrer Dokumentation "neue Erkenntnisse, neue
       Antworten zu Gregor Gysi".
       
       Die suchen sie erst mal in seiner Vergangenheit: "Ost-Berlin 1977. Der
       junge Rechtsanwalt Gysi übernimmt sein erstes wichtiges Mandat." Rudolf
       Bahro hatte sein DDR-kritisches Buch "Die Alternative" veröffentlicht, im
       Westen. Damit war Gysi quasi auf Dissidenten abonniert, es folgten Robert
       Havemann, Lutz Rathenow, Vera Lengsfeld und andere. Einige der ehemaligen
       Mandanten haben die Filmemacher im vergangenen Jahr aufgesucht. Sie sagen,
       was sie von Gysi halten: nicht viel.
       
       Kann sein, dass Börner und König akribisch Interviewpartner gesammelt
       haben. Kann sein, dass sie die eine oder andere Stasi-Akte neu aufgetan
       haben. Aber eine Verpflichtungserklärung Gysis konnten auch sie – wie viele
       andere vor ihnen – nicht finden. Ihre Indizienkette gegen Gysi baut vor
       allem darauf, dass die Stasi über Informationen verfügte, von denen die
       jetzigen Belastungszeugen sagen, sie könnten ausschließlich von Gysi selbst
       stammen.
       
       Gysis Einwendung, die Stasi habe sich Zugang zu seinem Büro verschafft und
       dort Vermerke eingesehen, kontert Hubertus Knabe, Direktor der Gedenkstätte
       Hohenschönhausen: "Ja, da kann ich nur sagen: Herr Gysi, legen Sie mal
       diesen Vermerk vor!" Das hat natürlich eine gewisse Plausibilität, ist doch
       nicht einzusehen, warum Gysi auf diese Möglichkeit der Entlastung
       verzichten sollte – wenn er sie denn hätte. Ein stichhaltiger Beweis ist es
       gleichwohl nicht.
       
       Aber vielleicht ist das auch gar nicht des Pudels Kern, die Frage, ob Gysi
       nun ganz offiziell – mit Verpflichtungserklärung und allem – Inoffizieller
       Mitarbeiter (IM) des Ministeriums für Staatssicherheit war. Sicher ist,
       dass er seine prominenten Mandate nur dadurch bestreiten konnte, dass er,
       das SED-Mitglied Gysi, regelmäßig und mehr oder weniger offen als Mittler
       zwischen Mandant und Staatsorganen auftrat; als gleichzeitiger Vertreter
       der sich diametral zueinander verhaltenden Interessen der Angeklagten und
       der Ankläger.
       
       § 1 der Bundesrechtsanwaltsordnung (BRAO) definiert den Rechtsanwalt als
       "unabhängiges Organ der Rechtspflege" – Gysi war das Gegenteil davon:
       abhängig. Natürlich galt die BRAO in der DDR nicht, gleichwohl hat der
       Begriff des "Rechtsanwalts" einen unabdingbaren überpositiven Kerngehalt.
       Auf Deutsch: Ein Anwalt kann nicht gleichzeitig seinen Mandanten vertreten
       und sich mit der Gegenseite gemein machen – da bleibt unterm Strich immer
       nur der Verrat übrig.
       
       Möglicherweise lag es an der Verabredung mit Stuckrad-Barre, aber Gysi
       konnte es "weder zeitlich noch inhaltlich schaffen, für das Interview zur
       Verfügung zu stehen" – so Gysi in seiner Absage an Börner und König. Die
       Filmemacher waren (anders als vor einer Woche Christoph Lütgert in seiner
       [1][Drückerkönig-Maschmeyer-Doku]) klug genug, auf dieses
       TV-magazinjournalistische Mätzchen zu verzichten und haben nicht an Gysis
       Haustüre sturmgeklingelt. Was hätte Gysi ihnen auch anderes sagen sollen
       als zuvor schon dem Bundestag: "Ich brauchte keine Kontakte zur
       Staatssicherheit. Sie waren gar nicht nötig (...). Ich hatte Gespräche mit
       dem Zentralkomitee, der führenden Kraft der DDR."
       
       Dazu Hubertus Knabe: "Wenn Herr Gysi meint, dass es weniger problematisch
       sei, mit den Auftraggebern der Stasi zu sprechen statt mit der Stasi selbst
       – da kann ich nur mit dem Kopf schütteln." Viele Fernsehzuschauer werden es
       ihm morgen Abend gleichtun.
       
       19 Jan 2011
       
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