# taz.de -- Wie NGOs Wikileaks nutzen: Hilfe beim Leichenzählen
       
       > Britische NGOs wie "Iraq Body Count" und Menschenrechtsanwälte arbeiten
       > daran, die Wikileaks-Dokumente politisch und juristisch für ihre Ziele zu
       > nutzen.
       
 (IMG) Bild: Menschenrechtsanwalt Phil Shiner und John Sloboda von Iraq Body Count zusammen mit den Wikileaks-Granden Kristinn Hrafnsson und Julian Assange (von links).
       
       John Sloboda hat ein Informationsproblem. Die von ihm mitbegründete NGO
       "Iraq Body Count" zählt seit 2003 die Opfer des Irakkriegs. Sloboda ist es
       gewohnt, mit der Zähigkeit eines Archivars kargste Informationen aus
       Presseartikeln, Statistiken aus dem Leichenschauhaus und Polizeiberichten
       zu gewinnen. Das war vor Wikileaks. Jetzt ertrinkt er in der Datenflut.
       
       Mehr als 390.000 irakische Kriegslogs, also Feldberichte, hat Wikileaks an
       die Öffentlichkeit weitergereicht. John Sloboda: "Die Kriegslogs aus dem
       Irak enthalten eine unglaubliche Fülle an Informationen über Kriegsopfer,
       die uns bisher vorenthalten worden war." Auf die Frage nach
       Opferstatistiken hatten die US-Besatzer im Irak stets behauptet, sie
       führten keine solchen. Wikileaks hat gezeigt, dass sie die Information dazu
       besaßen, aber geheim hielten.
       
       "Wikileaks hat unsere Arbeit von Grund auf verändert", sagt Sloboda.
       "Tausende von bislang anonymen Kriegstoten haben jetzt einen Namen und eine
       Geschichte zurückbekommen." Iraq Body Count schätzt nach Sichtung der
       Iraklogs, dass ihre Zählung der Kriegsopfer um 15.000 Tote nach oben
       korrigiert werden muss. Allerdings stellt die schiere Masse der Information
       NGOs wie IBC vor neue Probleme: Mit den vorhandenen Ressourcen würde es
       mehr als zehn Jahre dauern, um die Kriegslogs aufzuarbeiten.
       
       Der Birminghamer Menschenrechtsanwalt Phil Shiner hat ein
       Glaubwürdigkeitsproblem. Er versucht, Folteropfern zu Recht und
       Entschädigung zu verhelfen. Doch wer glaubt schon jemandem, der ohne
       Beweise Anklage erhebt? Shiner und seine Praxis Public Interest Lawyers
       versuchen, Wikileaks dafür nutzbar zu machen.
       
       Leaks wie die Botschaftsdepeschen zeigen, dass Regierungen und ihre
       Behörden jeden Vorfall und jedes Gerücht aufzeichnen, kommentieren und
       archivieren. Was, wenn man solch Akribie gegen ihre Urheber wendete und sie
       anhand ihres eigenen Tagebuchs überführte?
       
       Genau das versucht Shiner mithilfe der Botschaftskabel. Er sieht darin
       Belege, dass die britische Polizei in Bangladesch die dortige
       Polizeieinheit RAB ausgebildet habe, wohl wissend, dass Erlerntes zu
       Zwecken der Folter und des Missbrauchs eingesetzt werden würde. "Die
       britische Regierung verurteilt Folter, aber in der Praxis arbeitet sie mit
       Staaten zusammen, die elementare Rechte missachten", sagt Shiner. Er will
       im Namen von Folteropfern gegen die britische Regierung Klage einzureichen.
       Seine und die Arbeit von IBC sind wahrscheinlich erst der Anfang dessen,
       wie NGOS die Enthüllungen von Wikileaks nutzen können.
       
       21 Jan 2011
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Pepe Egger
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
 (DIR) Rudolf Elmer wiederholt verhaftet: Der Banker, der Wikileaks fütterte
       
       Rudolf Elmer war Bank-Geschäftsführer auf den Cayman Islands und hatte
       irgendwann genug von den Geschäftspraktiken. Weil er Wikileaks Daten
       lieferte, sitzt er jetzt erneut in Haft.
       
 (DIR) Antisemitismusverdacht bei Wikileaks: Kontaktmänner im Zwielicht
       
       Wikileaks-Verbindungsleuten in Russland und Schweden wird Antisemitismus
       vorgeworfen. So sammelt Israel Shamir Spenden "gegen die Propagandamaschine
       der Zionisten".
       
 (DIR) Julian Assange über Wikileaks-Finanzen: Miese machen mit US-Depeschen
       
       Enthüllungen als Kostenfresser: Nach Angaben von Julian Assange verliert
       Wikileaks jede Woche mehr als 480.000 Euro. Und ein Buchprojekt vom
       Wikileaks-Gründer bringt erst später Geld.