# taz.de -- Debatte Begriffsdefinition: Ja zum Antikapitalismus
       
       > Das Herumeiern mit den Begriffen Sozialismus und Kommunismus zeigt, dass
       > die Partei Die Linke antikapitalistische Bewegungen zu wenig würdigt.
       
 (IMG) Bild: Wenn wir bei der Marx'schen Maßgabe bleiben, können wir "kommunistisch" als "antikapitalistisch" übersetzen.
       
       Ob in der Presse oder in Gesine Lötzschs Partei selbst – wer immer auf die
       positive Bezugnahme der Linkenchefin zum Kommunismus reagierte, setzte
       meistens Kommunismus mit Terror beziehungsweise Terrorstaaten gleich. Und
       das ist noch nicht mal nur falsch. Dennoch muss einer so oberflächlichen
       Herangehensweise widersprochen werden. Sie schließt nämlich sowohl die
       Geistesgeschichte des Kommunismus aus als auch alternative politische
       Initiativen, die sich differenziert auf den Begriff Kommunismus beziehen.
       
       Der Partei Die Linke hätte es genützt, sich nicht auf die Gleichsetzung von
       Kommunismus und (Post-)Stalinismus festlegen zu lassen. Doch anstatt
       deutlicher auf die Vielfalt kommunistischer Agitation und Politik der
       letzten 150 Jahre hinzuweisen, flüchtet sich die Parteiführung nun in die
       Formel "demokratischer Sozialismus". Der sei das Ziel, nicht der
       Kommunismus.
       
       Doch was soll das sein, dieser demokratische Sozialismus? Er steht ja sogar
       im Parteiprogramm der SPD. Gemeinhin erinnern sich zwar nur noch einige
       wenige Jusos daran, doch jetzt hat sogar der SPD-Vorsitzende Sigmar Gabriel
       am Aufbau des demokratischen Sozialismus interessierte Linke-Mitglieder in
       seine Partei eingeladen. Überhaupt, die Jusos – ihren eigentlichen Namen
       verschweigen sie anscheinend gerne, selbst in ihrem eigenen
       Internetauftritt taucht er kaum auf: Jungsozialistinnen und
       Jungsozialisten. Die sozialdemokratischen Parteien etwa Spaniens,
       Frankreichs und Ungarns tragen das "sozialistisch" im Namen (letzteren hat
       das Finanzkapital wie auch der SPD, viel zu danken).
       
       Ein wirklich im Sinne der Benachteiligten umverteilender Sozialstaat ist
       ebenfalls sozialistisch, was hierzulande aber vielen Menschen nur dann
       auffällt, wenn offensichtlich Millionen Menschen in den USA gegen Barack
       Obamas Gesundheitsreform protestieren, da die sozialistisch sei.
       
       "Sozialismus" ist also ein dehnbarer Begriff – und ein windelweicher. Im
       Gegensatz dazu ist es nicht schwierig, das K-Wort gleichzeitig dehnbar und
       hart zu definieren. Die Härte hat den Vorteil, eine klare Aussage zu
       machen, und die Dehnbarkeit erlaubt, sich von Idioten aus Vergangenheit und
       Gegenwart abzugrenzen, die ebenfalls Kommunismus wollen.
       
       Karl Marx und Friedrich Engels haben folgende einfache, dabei auch harte
       Definition angeboten: Kommunismus ist der Gegenbegriff zu Kapitalismus. Was
       am Kapitalismus schlecht ist, gibt es im Kommunismus nicht, was gut ist,
       schon. Wie das konkret aussieht, zu dieser Frage findet sich in den
       Schriften von Marx kaum etwas. Er analysierte erst mal den Kapitalismus und
       starb darüber. Klar ist jedoch: Zum Kommunismus gehörte für Marx dazu, dass
       der Zwangsapparat Staat abgestorben ist.
       
       Nun ist es überhaupt nicht so, dass Kommunismus entweder für einen vagen
       theoretischen Begriff, gar akademische Spielerei steht oder für eine fatale
       Staatsform. Es gab und gibt Alternativen. Ein Schlagwort wäre etwa
       "libertärer", also freiheitlicher Kommunismus.
       
       So entstand zwischen den Weltkriegen die rätekommunistische Bewegung. Sie
       setzte sich aus Menschen zusammen, die die großen kommunistischen Parteien
       aufgrund der Einführung des Lenin'schen Zentralismus und Parteifetischismus
       verließen. Diese Strömung setzte auf Räte (nichts anderes bedeutet ja das
       russische Wort "Sowjet") in den Fabriken und plädierte stramm kommunistisch
       für eine Revolution. Diese sollte das Proletariat unabhängig von Parteien
       in Angriff nehmen. Die Bewegung fiel weitgehend den innerkommunistischen
       Säuberungen zum Opfer.
       
       Wenn wir also bei der erwähnten diffusen Marx'schen Maßgabe bleiben, können
       wir "kommunistisch" als "antikapitalistisch" übersetzen und darunter solche
       nichtleninistischen Ansätze fassen.
       
       In der heutigen globalen Szene der politischen Bewegungen finden sich noch
       weitere Anknüpfungspunkte, von theoretischen Gruppen, die Sowjetunion und
       Co. als Staatskapitalismus kritisieren, bis zur zapatistischen Bewegung aus
       der mexikanischen Provinz. Diese nimmt nicht den Marx'schen
       Antikapitalismus zum Bezugspunkt, sondern etwa den Begriff "Würde".
       
       Nun kann sich eine Partei wie Die Linke nicht auf alle diese
       antiautoritären Strömungen positiv beziehen, zumindest wenn sie glaubwürdig
       sein will. Und immerhin bleibt Lötzsch in ihrem viel gescholtenen
       Zeitungsartikel zumindest pluralistisch. Bizarr ist nun, dass das zu Beginn
       des Textes stehende K-Wort nachträglich unter den Teppich gekehrt wird.
       Anstatt den Begriff zu erklären, lässt sich die Parteiführung die
       Gleichsetzung von Kommunismus und Stalinismus unterschieben. Das befremdet
       umso mehr, als der Text mit Stalinismus überhaupt nichts am Hut hat.
       
       Durch diese fatale Gleichsetzung ist Lötzsch nun erstens Anfeindungen
       ausgeliefert – und zwar zu Recht, denn sich wegen öffentlicher Kritik von
       einem zentralen Begriff eines soeben verfassten Textes zu distanzieren, ist
       schlicht unglaubwürdig.
       
       Lötzsch und Co. haben zweitens die seltene Gelegenheit verpasst, einer
       größeren Öffentlichkeit ein paar vernünftige Sätze über Kapitalismus und
       dessen ewigen Widerpart zu sagen. Sie hätten dadurch zumindest einem Teil
       der journalistischen Anfeindungen ein bisschen den Boden entziehen können,
       in denen beispielsweise behauptet wurde, Kommunismus führe "unausweichlich
       in die Diktatur" (so jüngst etwa die Süddeutsche Zeitung und
       Deutschlandradio Kultur).
       
       Naheliegend wäre es auch gewesen, die bei Thilo Sarrazin so erfolgreiche
       Karte "Das wird man ja wohl noch sagen dürfen" zu spielen. Und zwar in etwa
       so: Mit Kommunismus ist zwar nicht die Lösung aller Menschheitsprobleme
       gemeint, aber seit Marx immerhin jene, die vom Kapitalismus hervorgerufen
       werden. Der Kommunismus als gegenläufige Idee bleibt darum eine
       Notwendigkeit, denn der Kapitalismus ist immer in vielfacher Hinsicht
       zerstörerisch, nie ganz kontrollierbar und damit irrational – das wird man
       ja wohl noch sagen dürfen.
       
       25 Jan 2011
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Ralf Hutter
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
 (DIR) Debatte Kommunismus: Verlorenes Paradies
       
       Da steht es wieder so im Raum, das K-Wort. Aber soll man den Kommunismus
       noch beschwören? Besser nicht. Die Kommunisten von heute leben in einer
       Welt der leeren Vorstellung.
       
 (DIR) Kommunismus-Debatte: Das böse Wort mit K
       
       Der Traum von einer anderen Gesellschaft bleibt aktuell. Der Begriff
       "Kommunismus" aber gehört entsorgt: Gianna Nannini ist K., Wikipedia ist K,
       "Tiere essen" von Jonathan Safran Foer ist K.
       
 (DIR) Video der Woche: Oben ohne für die Revolution
       
       Der Dresdner Hans-Jürgen Westphal liefert seinen ganz eigenen Beitrag zur
       Kommunismusdebatte – unter anderem mit einem Musikvideoclip.
       
 (DIR) Kommunismus-Debatte: Die etwas andere Wahrheit
       
       Lötzsch ließ ihren Kommunismustext vom linken Philosophen Michael Brie
       schreiben. Ihre Eigenleistung hingegen: Die Streichung der Passagen über
       kommunistische Verbrechen.
       
 (DIR) Politischer Jahresauftakt der Linkspartei: Lötzsch fühlt sich missverstanden
       
       Die Linken-Parteichefin wehrt sich: Gabriel betreibe eine "üble
       Diffamierungskampagne". Ihr Co-Vorsitzender Klaus Ernst betont, niemand in
       der Partei wolle den Kommunismus.
       
 (DIR) Dietmar Bartsch über die Linkspartei: "Ernst hat Fehler gemacht"
       
       Die drei Gehälter von Parteichef Klaus Ernst, Gesine Lötzsch und das
       K-Wort: Ist die Linke noch zu retten? Der ehemalige Bundesgeschäftsführer
       Dietmar Bartsch erklärt, wie.