# taz.de -- Volksaufstand in Ägypten: Sie singen die tunesische Hymne
       
       > Massenproteste in Kairo. Die Regierung verhängt eine Ausgangssperre und
       > stellt El-Baradei, den Hoffnungsträger der Opposition, unter Hausarrest.
       
 (IMG) Bild: Demonstranten gegen Wasserwerfer: Proteste in Kairo.
       
       KAIRO/BERLIN taz | Es ging Schlag auf Schlag am Freitagabend in Ägypten:
       Nach den schweren Auseinandersetzungen im ganzen Land verhängte die
       Regierung zunächst einen nächtlichen Ausnahmezustand über Kairo, Suez und
       Alexandria. Dann erhielt die Armee die Anweisung, auszurücken. Augenzeugen
       beobachteten, wie die Soldaten die Polizisten nach Hause schickten. Im
       Stadtzentrum von Kairo fielen Schüsse.
       
       Dennoch waren auch nach Beginn der Ausgangssperre noch zahlreiche
       Demonstranten auf der Straße – und feierten zum Teil bereits das nahe Ende
       des Regimes. Und schließlich stand das Hauptquartier der Regierungspartei
       NDP in Brand. In dieser Situation fragten sich viele, was Präsident Husni
       Mubarak in seiner angekündigten Rede eigentlich sagen würde. Spekuliert
       wurde auch über die Rolle der Armee und wer den Befehl zu ihrem Einsatz
       gab. Offiziell ist Mubarak der Oberbefehlshaber.
       
       In zahlreichen Städten Ägyptens waren zuvor zehntausende Menschen auf die
       Straßen gegangen und forderten den Rücktritt Mubaraks. Proteste wurden
       außer aus der Hauptstadt Kairo auch aus Alexandria, Suez, Ismaelija,
       Mansura, Aswan, Minya und al-Arish gemeldet. Erstmals hatten auch die
       Muslimbrüder ihre Anhänger aufgefordert, auf die Straßen zu gehen.
       
       Bei den Massenprotesten kam es zu chaotischen Szenen, als die Polizei
       versuchte, die Demonstrationen aufzulösen. Alle waren sie in Kairo auf der
       Straße, Junge, Alte, Bauern, Angehörige der Mittelschicht, Männer und
       Frauen. Im Kairoer Nobelviertel Maadi demonstrierten sie ebenso wie in
       Arbeitervierteln. Die Dimension der Gewalt war deutlich größer als in den
       vergangenen Tagen. Vereinzelt riefen Demonstranten nach einem Eingreifen
       der Armee gegen das brutale Vorgehen der Polizei.
       
       Die Polizei hatte zuvor angekündigt, die Demonstrationen notfalls mit
       Gewalt zu verhindern. "Die Polizei hat klare Anweisungen erhalten, jede
       Demonstration zu verhindern und notfalls auch direkt auf mögliche
       Demonstranten zu schießen", hieß es aus Sicherheitskreisen.
       
       Bis zum Nachmittag setzte die Polizei Gummigeschosse, Wasserwerfer und
       Tränengas gegen die Protestierenden ein, die teilweise durch ihre schiere
       Überzahl Polizeiketten durchbrachen.
       
       Die Sicherheitskräfte riegelten in Kairo einzelne Stadtviertel ab, anderswo
       sperrten sie Hauptverbindungsstraßen. Dennoch versammelten sich laut der
       unabhängigen ägyptischen Zeitung Al Masry Al Youm allein auf der Brücke,
       die den zentralen Tahrir- oder Freiheitsplatz mit Giza verbindet, 20.000
       Menschen, die die tunesische Nationalhymne sangen.
       
       Der Tahrir-Platz wurde abgesperrt, wohl um zu verhindern, dass die
       Demonstranten dort wie am Dienstag nach den Protesten ein Volksfest feiern.
       Hier wurden auch Gummigeschosse eingesetzt, es gab viele Verletzte.
       
       Anderswo zerschlugen Polizisten Cola-Flaschen, um damit auf die
       Demonstranten loszugehen. Diese bewarfen die Polizisten mit Steinen und
       zündeten Autos an. Auf der zentralen Ramsis-Straße warfen Bewohner von
       ihren Balkons aus Backsteine auf die Polizisten, die mit Tränengas
       zurückschossen. In einem Fall geriet das Haus in Brand. Im Einsatz waren
       auch die gefürchteten zivilen Prügeltruppen, die mit dem Sicherheitsapparat
       zusammenarbeiten.
       
       Die Opposition hatte dazu aufgerufen, nach dem Freitagsgebet in der Moschee
       oder dem Mittagsgottesdienst in den Kirchen auf die Straße zu gehen. Dies
       gab den Demonstrationen einen dezentralen Charakter. Mit dabei war auch der
       Friedensnobelpreisträger und ehemalige Leiter der Atomenergiebehörde in
       Wien, Mohammed al-Baradei. Auch er hatte Mubarak zum Rücktritt
       aufgefordert.
       
       Dem arabischen Sender al-Dschasira zufolge nahm der
       Friedensnobelpreisträger an einem Gottesdienst in einer Moschee in Giza
       teil. Nach Ende des Gebets kam es vor dem Gebäude zu heftigen
       Auseinandersetzungen mit der Polizei, sodass die Menschen wieder in die
       Moschee flüchteten. Wie ein Reporter von al-Dschasira berichtete, habe es
       viele Verletzte gegeben. Später wurde al-Baradei von den Behörden unter
       Hausarrest gestellt.
       
       Laut al-Dschasira stürmten Demonstranten in Suez nördlich von Kairo das
       Hauptquartier der Polizei und befreiten Gefangene. Auch drei gepanzerte
       Fahrzeuge wurden in Brand gesteckt. Anderen Berichten zufolge nahmen sie
       auch dort gelagerte Waffen mit. Bei Zusammenstößen mit der Polizei kam
       Augenzeugen zufolge ein 30-jähriger Taxifahrer ums Leben.
       
       Doch aus dem Regierungslager kamen auch andere Reaktionen als nackte
       Gewalt. Mustafa al-Fiqi, ein Berater Mubaraks, sagte in einem Interview, es
       handele sich um eine beispiellose Situation, wie es sie in den vergangenen
       30, 40 Jahren nicht gegeben hätte - und diese erfordere eine ungewöhnliche
       Art, damit umzugehen. Eine Antwort des Staates auf die Forderungen der
       Demonstranten sei "keine Schwäche, sondern Klugheit".
       
       28 Jan 2011
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) K. El-Gawhary
 (DIR) B. Seel
       
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