# taz.de -- Lehrer-Streik in Serbiens Schulen: Setzen, sechs!
       
       > Seit Freitag streiken Serbiens Lehrer. Damit protestieren sie gegen
       > lausige Gehälter und die desolate Lage an den Schulen. Doch die Regierung
       > bleibt hart.
       
 (IMG) Bild: Verfrühte Ferien für serbische Schüler: die Stühle bleiben vorerst leer.
       
       BELGRAD taz | Serbiens Schüler haben außerplanmäßig Ferien: Seit Freitag
       sind die meisten Schulen geschlossen. Vier Lehrergewerkschaften haben nach
       gescheiterten Verhandlungen mit der Regierung zu einem unbefristeten Streik
       aufgerufen. Von den Ausmaßen scheinen nicht nur Regierungsvertreter
       überrascht zu sein, sondern auch die Lehrerschaft.
       
       Normalerweise sind serbische Gewerkschaften zerstritten und zeigen sich als
       wenig kampfbereit. Obwohl es in Serbien über eine Million Arbeitslose gibt
       und Hunderttausende knapp an oder unter der Armutsgrenze leben, finden
       Proteste lediglich sporadisch statt. Sie beschränkten sich bisher oft
       darauf, die Straßen vor dem Regierungsgebäude in Belgrad abzusperren.
       Meistens sind es die "Opfer der Transition" - Arbeiter aus Unternehmen, die
       Opfer dilettantischen Privatisierung wurden.
       
       "Wir halten es einfach nicht mehr aus", sagt Aleksandra Djeric, die an der
       Technischen Schule im Belgrader Vorort Obrenovac Englisch unterrichtet. Ein
       durchschnittliches Einkommen betrage rund 370 Euro im Monat, damit komme
       sie als Alleinstehende kaum über die Runden. Wie ihre Kollegen mit Familien
       das schafften, sei ihr schleierhaft. Die Türen in ihrer Schule seien alle
       aus Pappe und viele längst durchlöchert, erzählt Djeric. Es gebe kein Geld,
       neue Türen zu kaufen - geschweige denn moderne Schulbücher.
       
       Mit dem Streit gehe es den Lehrern nicht nur um eine Gehaltserhöhung,
       sondern auch um die Verbesserung der desolaten Lage an den Schulen. "Es ist
       zum Verzweifeln", sagt die Lehrerin. Die allgemeine Verarmung beeinflusse
       auch die Schüler. Die Jugendlichen fragten sich, warum sie überhaupt etwas
       lernen sollten, wenn sie entweder keine Arbeit bekommen oder von ihren
       Einkommen nicht leben können. Kein Wunder, dass viele T-Shirts mit dem Foto
       des legendären kolumbianischen Drogenhändlers Pablo Escobar tragen.
       
       Die Regierung gibt sich hart gegenüber den Lehrergewerkschaften. Der
       Unterrichtsminister drohte, den Streikenden die Gehälter zu sperren. Es
       gebe einfach kein Geld in der Staatskasse, sagt Finanzministerin Diana
       Dragutinovic. Wenn man den Lehrern entgegenkomme, würde das den
       Staatshaushalt sprengen und eine riesige Inflation auslösen. Was die
       Ministerin nicht sagt, ist, dass die Regierung eine Kettenreaktion von
       sozialen Forderungen politisch nicht überleben würde.
       
       Am Sonntag gaben sich die Gewerkschaftsführer kämpferisch: Sie wollen
       weitermachen. Dass das Europäische Parlament das Stabilisierungs- und
       Assoziierungsabkommen mit Serbien vergangene Woche ratifiziert hat, lässt
       die meisten Bürger kalt - ebenso Versprechen über den EU-Kandidatenstatus
       bis Jahresende. Der "außenpolitische Erfolg" überschneidet sich mit der
       Nachricht, dass im Februar Brot wieder teurer werden soll.
       
       Tatsächlich warnen Soziologen und Politologen bereits vor einer
       "Akkumulation der Unzufriedenheit", die eskalieren könnte. Die verarmten
       Bürger zeigen immer weniger Verständnis für die Aufrufe der proeuropäischen
       Regierung, sich noch etwas zu gedulden, dann würden schon Gelder aus
       EU-Beitrittsfonds nach Serbien fließen. Seit Jahren steigen Preise und
       Arbeitslosigkeit, während der Lebensstandard sinkt. Die Inflation liegt bei
       über 10 Prozent, der einheimische Dinar ist abgewertet, die Gehälter im
       öffentlichen Dienst sind eingefroren, ein Durchschnittseinkommen beträgt
       rund 280 Euro. "Diesen EU-Optimismus können die doch niemandem mehr
       verkaufen", sagt die pensionierte Lehrerin Danica Ilic. "Hier sind eher
       soziale Unruhen wie in Albanien oder Tunesien zu erwarten als ein
       glückliches Ende in der Umarmung der EU."
       
       30 Jan 2011
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Andrej Ivanji
       
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