# taz.de -- Alexander Kluge über die Zensur im Iran: "Wir nehmen das Land ernst"
> Die Verurteilung der beiden iranischen Regisseure sollte auf der
> Berlinale Thema sein, findet der Filmemacher Alexander Kluge. Und zwar
> produktiv statt demonstrativ.
(IMG) Bild: Filmemacher mit aufklärerischem Anliegen: Alexander Kluge.
taz: Herr Kluge, die Verurteilung der beiden iranischen Regisseure Jafar
Panahi und Mohammad Rasoulof hat international Erschütterung ausgelöst. Es
ist das erste Mal, dass Filmemacher mit harten Strafen belegt wurden, nur
weil sie dabei waren, einen Film zu drehen. Ihr Verbrechen ist also der
Film im Kopf. Trotzdem: Macht diese neue Form der Zensur wirklich einen so
großen qualitativen Unterschied?
Alexander Kluge: Ja, das ist schon ein Unterschied. Denn es ist
Gedankenzensur. Wenn so eine Zensur immer weiter um sich greift, haben wir
das Gegenteil von Freiheit. Das finde ich schwierig. Schwierig auch zu
verstehen.
Warum schwierig zu verstehen?
Wenn ich die ganze Geschichte des Iran nehme, dann kann ich sie auch so
lesen: Es ist ein altes, sehr traditionsreiches, aber nach dem Ersten
Weltkrieg okkupiertes Land. Im Zweiten Weltkrieg besetzen die Russen und
die Engländer breite Teile von Persien und geben es erst wieder 1946 frei.
In der Mitte des 20. Jahrhunderts gibt es die Bewegung um den Politiker
Mohammad Mossadegh, eine imponierende, freiheitliche, demokratische
Bewegung, die dann wieder unterdrückt wird. Dann kommt das Schah-Regime,
und gegen dieses lehnt sich etwas auf. Als das begann, hatte ich nicht das
Gefühl, ich wäre dagegen. Ich hab immer noch den Schah bei der Berliner
Aufführung der "Zauberflöte" im Juni 1967 vor Augen, mit all seinen
Wächtern und Schlägern. Ich kann immer noch nicht glauben, trotz aller
Nachrichten und Erfahrung, die man macht, dass dieses Land endgültig
autoritär sein will.
Die neuesten Protestbewegungen zeigen doch, dass große Teile des Landes
gegen das Autoritärwerden kämpfen.
Genau. Autoritär wäre eine Macht, die Gedanken verfolgt. Und im Iran wird
auch nicht abgebildet, wie eine so autoritäre Machtausübung in der Welt
ankommt.
Zweifellos nicht. Sie sprachen die besondere Rolle des Iran für die
politische Bewegung in Deutschland Ende der 60er Jahre an. Hat der Iran
auch für Ihre politische Haltung eine Rolle gespielt?
Ich hab gerade ein Gespräch aufgenommen mit einer sehr, sehr guten
Historikerin, die uns erzählt hat, wie die Besetzung des Iran als die erste
Reibungsfläche innerhalb der Alliierten im Kalten Krieg dargestellt werden
kann. Als sie das neutrale Land 1941 besetzen, kommt gegen sie eine
Befreiungsbewegung in Gang. Die Freiheitsbewegung selbst sogar zurück bis
zu Lord George Curzon (1859-1925). Das war ein Politiker, der altpersische
Philologie studiert hatte, Vizekönig von Indien war und den Irak auf der
Landkarte erzeugte und den Iran als Interessensgebiet der britischen
Erdölindustrie fixierte. So weit gehen die Reizungen zurück, die heute den
Iran prägen. Eine Zwischenstation ist dabei 68.
Welche Rolle spielt die Befreiungsbewegung heute in der internationalen
Öffentlichkeit? Die allgemeine Sensibilität gegenüber den
Menschenrechtsverletzungen im Iran ist bis heute deutlich größer als etwa
gegenüber denen in Tunesien, um ein aktuelles Beispiel zu nehmen.
Es ist eine bestimmte Verwunderung damit verbunden. Warum hat dieses an
Erfahrung so reiche Land, warum hat dieses wichtige Land so extreme
Ausreißer in Richtung Fundamentalismus? Es muss da irgendetwas geben, was
wir hier nicht wahrnehmen können. Doch Machtausübung dieser Art ist meiner
Erfahrung nach immer vorübergehend.
Sie sind also hoffnungsvoll, dass die Tage von Ahmadinedschad und den
Revolutionsgarden gezählt sind?
Ich wäre verblüfft, wenn es sich in dieser Äußerungsform so halten würde.
Aber ich war auch verblüfft, als das autoritäre Regime in Portugal von der
Nelkenrevolution abgelöst wurde und eine Kolonialarmee nach links putschte.
Die Welt ist reich an Überraschung.
Der iranische, inzwischen in Paris lebende Regisseur Rafi Pitts hat
anlässlich der Verurteilung seiner beiden Kollegen am heutigen Tag, der
auch der 32. Jahrestag der iranischen Revolution ist, alle Kultur- und
Medienschaffenden zu einem zweistündigen Streik aufgerufen. Angesichts
dieser Gewalt gelte es, die Routine zu durchbrechen. Es ist der erste
reguläre Tag der Berlinale.
Dass man die Berlinale zwei Stunden unterbricht und innehält, das ist eine
sehr starke Waffe. Das ist selbst ein Film, wenn Sie so wollen. Das wäre
selber eine Form der Öffentlichkeit.
Die Berlinale beteiligt sich nicht an dem Streik.
Aha.
Sondern hat sich entschieden, zur Eröffnung des Wettbewerbs "Offside" von
Jafar Panahi zu zeigen. Das ganze Festival für zwei Stunden zu unterbrechen
kam für den Leiter, Herrn Dieter Kosslick, nicht infrage.
Ob ein Festival, mit Steuermitteln bewaffnet, unbedingt eine Demonstration
machen muss, indem es zwei Stunden nichts macht, da bin ich mir nicht ganz
sicher. Es trifft ja immer eine konkrete Filmvorführung, die dann
verschoben oder ganz ausfallen würde. Das ist eine Abwägung. Als private
Einzelperson würde ich sagen: Man muss gegen diese Zensurmaßnahme der
iranischen Regierung demonstrieren und so etwas in Kauf nehmen. Aber als
kollektive Erscheinung, also als Festivalleitung, würde ich vielleicht nach
anderen Äußerungsformen suchen.
Zum Beispiel?
Da müsste ich drüber schlafen. Sie können aber gegen wirkliche Gewalt mit
bloß demonstrativen Äußerungen nicht immer wirksam angehen. Jetzt
protestieren wir gegen das, was an einer anderen Stelle der Welt gemacht
wird - das hat etwas von Gratismut. Ich bin der Meinung, dass man auf
Gewalt mit Produktion antwortet. Ich hab jetzt nachdenken können, während
ich redete … und finde: Äußerliche Demonstrationen, wie etwa die
Unterbrechung der Berlinale, das Aufstellen einer Fahne, 900 Kerzen werden
angezündet, sind kein produktiver Akt, sondern ein demonstrativer. Wenn man
aber sagen würde, wir Filmemacher legen zusammen und erzählen aus Prostest
gemeinsam eine Geschichte Persiens, wir nehmen dieses Land ernst, dann
würden wir ausdrücken: Wer solche Verfolgungsmaßnahmen ergreift, nimmt sich
selbst nicht ernst. So etwas halte ich für wirksam. Es gibt in Deutschland
ja keine richtige Vorstellung von Persien.
Das Land ist nach wie vor eine Blackbox.
Genau. Mit diesem Nichtwissen Pause zu machen, das ist etwas, was wir
können. Pause machen an sich …
Kaffeetrinken …
… genau, das ist ja nichts Auffälliges.
Doch den Betrieb gezielt zu unterbrechen, bewusst innezuhalten, um sich mit
dem Iran zu beschäftigen, um sich wirklich vorzustellen, was ein solches
Urteil bedeutet und wie man vielleicht selbst in einer solchen Situation
agieren würde - das alles könnte doch auch produktiv sein.
Kann sein. Aber ist wieder die Frage: Wird es freiwillig von den
Teilnehmern der Berlinale gemacht, ist es eine legitime Maßnahme. Wird es
von der Berlinale angeordnet, dann ist es in der Art und Weise des Handelns
nicht besser, als wenn eine Regierung etwas verbietet oder anordnet. Denn
es ist autoritär gegenüber denjenigen, die aufgrund der Maßnahme
Verletzungen entgegennehmen müssen. Aber ich bin in der Sache nicht so
entschieden. Je mehr ich mit Ihnen rede, desto mehr finde ich, dass man auf
der Berlinale ausrufen müsste, dass man sich ganz konkret mit dem Iran
befasst. Und zwar nicht polemisch, sondern durch Darstellen. Auch das
Darstellen der Zeiten, die nicht aktuell sind.
Da wären wir wieder bei der Geschichte des Iran. Was schwebt Ihnen genau
vor?
Wir haben doch alle Onlineseiten zur Verfügung. Die können wir
zusammenlegen und uns über das Brennglas Film mit der Geschichte des Iran
befassen. Ein jeder, der Unrecht erleidet, mit dem gebe ich mir Mühe. Das
Problem mit dem Iran wird ja auch noch nächstes Jahr da sein. Wir können
uns also schon jetzt damit befassen, dass wir gründlich sein sollen.
11 Feb 2011
## AUTOREN
(DIR) Ines Kappert
## ARTIKEL ZUM THEMA
(DIR) Regisseurin über Optimismus und Musik: "Da hat es bei mir klick gemacht"
Hinter den Kulissen des Musikgeschäfts: "Utopia Ltd." von Sandra Trostel
zeigt das Making of der Popband 1000 Robota (Perspektive Deutsches Kino).
(DIR) Berlinale zeigt Solidarität: Roter Teppich für Jafar Panahi
Die Berlinale ehrt den zum Schweigen verurteilten iranischen Filmemacher
Jafar Panahi mit Sondervorführung und einem Empfang.
(DIR) Appell für iranische Filmemacher: Gedankenfreiheit im Iran!
Die taz ruft zusammen mit Filmemachern und Medien Irans Justiz auf, die
Unrechts-Urteile gegen Panahi und Rasoulof aufzuheben. Aus Solidarität wird
taz.de die Website am 11.2. grün färben.