# taz.de -- Buchmesse in Minsk: 404 Error. Belarus not found
       
       > In Minsk interessieren sich die Besucher vor allem für die Lebensläufe
       > der Schriftsteller und Schriftstellerinnen aus Deutschland, das Gastland
       > der Messe ist.
       
 (IMG) Bild: Wer in den Buchhandlungen von Minsk stöbert, stößt meist auf Bücher aus staatlichen Verlagen.
       
       Drogen, Gewalt, Hoffnungslosigkeit. Clemens Meyer geht in seinen Texten
       dahin, wo es wehtut. Seine Zuhörer gehen an diesem Abend dorthin, wo die
       deutsche Literatur im Mittelpunkt steht. Der 33-jährige Leipziger, der mit
       seinem Roman "Als wir träumten" 2006 den Durchbruch als Schriftsteller
       schaffte, ist einer von drei deutschen Autoren, die ihre Bücher auf der
       Buchmesse in der weißrussischen Hauptstadt Minsk vorstellen.
       
       Alkohol und vor allem Hoffnungslosigkeit kennen sie auch in Minsk. Doch
       nicht die Passagen aus "Als wir träumten" oder die Erzählung "German Amok"
       aus Meyers jüngstem Band "Gewalten" interessieren das vorwiegend junge
       Publikum, sondern der von Brüchen gekennzeichnete Lebensweg des Autors.
       "Wie sind Sie Schriftsteller geworden?", will eine junge Frau wissen, und
       Meyer erzählt mit Genuss seine Geschichte vom verkannten Autor, der seine
       Manuskripte wie Sauerbier anbietet, bis er schließlich von einem Großen wie
       Sten Nadolny entdeckt wird. Solche Karrieren sind selten in einem Land, in
       dem die Lebensplanung eher einem Fünfjahresplan gleicht als dem vermessenen
       Willen eines Autors, die Nachwendetristesse des Leipziger Ostens zwischen
       zwei Buchdeckel zu pressen.
       
       Auch auf dem Messegelände, einem schmucklosen Glaskasten, der bald einem
       Investorenprojekt aus dem Oman weichen soll, ist das Interesse an Büchern
       aus Deutschland groß. Die Frankfurter Messe hat sich zwar aus Angst vor
       schlechter Presse offiziell vom Gastlandauftritt zurückgezogen. Doch die
       Container waren schon unterwegs, und so präsentieren das Goethe-Institut
       und die deutsche Botschaft die deutschen Bücher. Wie wichtig das ist, weiß
       Rajko Lassonczyk. Der DAAD-Lektor, der bereits seit sieben Jahren in
       Belarus arbeitet, hat gleichzeitig zur Messe im Goethe-Institut einen
       Workshop für Deutschlehrer gegeben. "Die haben zur Vorbereitung auf die
       Buchmesse noch einmal Arnold Zweig und Erich-Maria Remarque gelesen."
       Lassonczyk kann es immer noch nicht fassen. "Das ist das Bild, das man hier
       von deutscher Literatur hat." Einer wie Clemens Meyer kommt da also gerade
       recht.
       
       Wer in den Buchhandlungen von Minsk stöbert, stößt meist auf Bücher aus
       staatlichen Verlagen. Eine Vorabzensur gibt es zwar nicht, doch bei
       Missfallen droht einem Verlag nach der Veröffentlichung der Entzug der
       Lizenz. Entsprechend eintönig ist das offizielle Lesevergnügen. In Belarus
       hat darum das Internet die Rolle eines freien Buchmarktes übernommen. Auf
       den Seiten der Oppositionsportale wie Nascha Niwa oder Arche kann man
       lesen, was man in den staatlichen Buchhandlungen nicht findet. Immerhin:
       Nach einigen Protesten beim privaten Betreiber der Buchmesse gelang es den
       kleinen, unabhängigen Verlagen, ihre Bücher und Zeitschriften auf einem
       eigenen Stand präsentieren zu dürfen.
       
       Wie wichtig in Belarus Bücher aus dem Ausland sind, zeigen nicht nur die
       deutschen Bücher auf der Messe. Stolz holt Aleh einen Band nach dem andern
       aus seiner Privatbibliothek. "Wenn du die Wahrheit über die Geschichte
       wissen willst, musst du die Perspektiven der anderen kennen", sagt er. Aleh
       lehrt Kunst an der Europäischen Humanistischen Universität, die sich seit
       ihrer Schließung durch Alexander Lukaschenko im Exil in Wilna befindet.
       Seitdem pendelt auch Aleh. Für ihn ist die litauische Hauptstadt ein ebenso
       wichtiges Zentrum für weißrussische Intellektuelle wie Minsk. "Hier
       schließt sich ein Kreis", lacht er und verweist darauf, dass auch Nascha
       Niwa, die Zeitschrift der belarussischen Intelligenz, 1905 in Wilna
       gegründet wurde. Aleh spricht neben Belarussisch, Russisch und Englisch
       auch Litauisch und Polnisch. Ein wahrer Grenzgänger also, der lieber Bücher
       aus Polen und Litauen liest und im Internet schmökert, als allein der
       einheimischen Buchproduktion zu vertrauen.
       
       Dass der deutsche Gastlandauftritt daran etwas ändern kann, glauben
       Intellektuelle wie Aleh nicht. Aber das Interesse an Büchern aus dem
       Ausland könne dadurch geweckt werden, sagen viele. Auch durch scheinbar
       unpolitische Bücher wie "Du stirbst nicht". Kathrin Schmidt, die mit der
       Geschichte über die Rückkehr ins Leben nach einem geplatzten Aneurysma 2009
       den Deutschen Buchpreis gewann, stellt in Minsk die belarussische Ausgabe
       vor. Auch sie wird nach ihrem Werdegang als Schriftstellerin gefragt.
       Lebensläufe aus Deutschland, scheint es, sind auch deshalb so interessant
       für die jungen Minskerinnen und Minsker, weil Deutschland in Belarus das
       "Andere" repräsentiert: Gewalt und Drogen, aber auch Meinungsfreiheit und
       die Möglichkeit, aus dem Dunkel wieder ins Leben zurückzukehren.
       
       Und das Interesse an Belarus in Deutschland? Clemens Meyer, der
       literarische Underdog aus Leipzig, weigert sich bei seinem Aufenthalt in
       Minsk standhaft, das Belarussische als eigene Sprache anzuerkennen.
       Vielmehr beeindruckt er beim Bierbestellen jede Kellnerin mit seinen über
       einen Sprachführer aufgefrischten Russischkenntnissen. Als Meyer in der
       unabhängigen Buchhandlung und Galerie "Y" nach einem Geschenk für seine
       Freundin sucht, fällt ihm ein T-Shirt in die Hand. "Da hast du es", sagt er
       und zeigt auf den Aufdruck. Auf dem T-Shirt steht, als Protest gegen die
       Internetzensur: "404 Error. Belarus not found."
       
       16 Feb 2011
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Uwe Rada
       
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 (DIR) Plädoyer für Weißrussland-Reisen: Auf nach Belarus!
       
       Nur wenige Westeuropäer besuchen Weißrussland. Dabei würde ein intensiver
       Dialog zwischen den Menschen das autoritäre Regime Lukaschenkos weiter
       unter Druck setzen.