# taz.de -- Rauchende Gesichter auf der Berlinale: Diese Stille ist kaum auszuhalten
       
       > Wenn die Kamera stillhält, bis ein Zug durch die Landschaft gefahren ist,
       > ist es ein Film von James Benning. In "Twenty Cigarettes" beobachtet er
       > Raucher (Forum).
       
 (IMG) Bild: Jeder Raucher raucht seine Zigarette auf eine andere Art und Weise.
       
       "Twenty Cigarettes", der neue, gewohnt formalistische Film des
       amerikanischen Regisseurs James Benning, lässt einen etwas ratlos zurück.
       Berühmt geworden war Benning durch menschenleere Landschaftsfilme. Manchmal
       ging es um Natur, wie in "13 Lakes", manchmal um Güterzüge oder auch
       Schornsteine. In "Twenty Cigarettes" geht es um rauchende Gesichter. 20
       Menschen stehen in unterschiedlichen Umgebungen vor der unbewegten Kamera
       und rauchen jeweils eine Zigarette.
       
       Es ist eine Laborsituation. Normalerweise macht man ja noch etwas anderes,
       während man raucht. Im Merkblatt zum Film stehen die Namen der Rauchenden.
       Im Internet erfährt man, dass es sich meist um Künstler handelt. Das hilft
       aber auch nicht weiter.
       
       Der erste Raucher scheint ein Nichtraucher zu sein. Er raucht mit einem
       gewissen Widerwillen und hustet manchmal. Die zweite Raucherin, die Autorin
       und Regisseurin Francesca Sloane aus Philadelphia, pustet den Rauch nicht
       weg. Er quillt ihr eher so aus dem Mund. Wenn der Rauch ihr in die Augen
       kommt, blinzelt sie ein bisschen. Sie weiß nicht, wohin mit ihren Augen,
       und blickt manchmal während der Giftzufuhr direkt in die Kamera.
       
       Bei der dritten, einer schwarzen gut gekleideten Frau, die vor einer weißen
       Wand raucht, achtet man auf die Außengeräusche. Eine Straßenbahn. Man
       stellt sich vor, sie sei eine Ausstellungsmacherin.Nummer vier ist der
       67-jährige Filmemacher Thom Andersen, er legt die linke Hand fast ganz auf
       den Mund beim Rauchen. Er ist sehr blass. Das ist der Erste, bei dem man
       denkt, der raucht viel, und stellt Mutmaßungen an.
       
       32.850 Euro für Zigaretten? 
       
       Wenn er jetzt Ende sechzig ist, mit 15 angefangen hat und jeden Tag
       durchschnittlich zwanzig Zigaretten geraucht hatte, werden es jetzt 365.000
       Zigaretten gewesen sein. Ich habe dagegen bislang etwa 164.250 Zigaretten
       geraucht und somit etwa 32.850 Euro für Zigaretten ausgegeben. Dafür hätte
       ich … Ach Quatsch: Früher haben Zigaretten ja nur ein Fünftel von heute
       gekostet.
       
       Thom Andersen macht lange Pausen zwischen den Zügen.
       
       Nummer fünf scheint italienischer Herkunft zu sein. Während er raucht, hört
       man Züge von weitem vorbeifahren. Früher rauchten auch Züge. Aber Menschen
       haben schon früher als Züge geraucht. Aber rauchende Züge sehen
       interessanter aus als rauchende Gesichter, vielleicht auch, weil die
       logischerweise mehr in sich ruhen.
       
       Der Sechste wirkt wie ein junger Vertreter der englischen Arbeiterklasse.
       Das ist witzig. Man hört einen Vogel kurz zwitschern. Nieder mit den
       Rauchverboten! Während der Siebte raucht - er trägt eine Brille und wirkt
       japanisch -, verlassen die Ersten das Kino und ich hab keine Lust mehr zu
       zählen.
       
       Niemand redet oder so 
       
       Jemand macht manchmal Pausen, um dann wieder schnell ein paar Züge
       hintereinander zu nehmen. Einer benutzt alle Finger beim Rauchen.Man schaut
       auf ein Gesicht vor der Kamera, das nicht weiß, was es tun soll. Niemand
       redet ja oder so. Oder dann doch; da ist einer, der sieht aus wie ein
       Bastler und redet mit seinem Hund. Man ist erleichtert, dass endlich jemand
       was sagt. Diese Stille war ja kaum auszuhalten.
       
       Der Film strukturiert die Langeweile, die er erzeugt. Ich denke an diesen
       koreanischen Film, in dem der eine Typ einen Nikotininhalator benutzt. Mir
       fällt ein, dass es beim alljährlichen Berliner "Pornfilmfestival" immer
       auch den Programmpunkt "Nacktrauchen" gibt.
       
       Eine Frau um die fünfzig sieht aus wie eine Buchhändlerin und hat eine sehr
       angenehme Ausstrahlung. Eine vielleicht halb so alte hat einen Knutschfleck
       am Hals. Eine ältere hat Krähenfüße im Gesicht. Geschirr klimpert im
       Hintergrund. Ein Typ trägt eine Harley-Davidson-Mütze. Es scheint ihn zu
       stören, nichts andres beim Rauchen machen zu dürfen. Ab und an grinst er
       fast. Ein schwarzer Junge hat kurze Finger und raucht mit links. Im
       Hintergrund ruft jemand "Hey - Fuck you!"
       
       Manchmal denke ich während der Vorführung zurück an Vlado Kristls Film "Tod
       dem Zuschauer" (1984), der verglichen mit James Bennings Film eine heitere
       Actionkomödie ist.
       
       19. 2., 22 Uhr, CinemaxX 4; 20. 2., 14 Uhr, Delphi.
       
       17 Feb 2011
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Detlef Kuhlbrodt
       
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