# taz.de -- Mohammed Ghannouchi legt Amt nieder: Regierungschef in Tunesien tritt ab
> Der Chef der tunesischen Übergangsregierung, Mohammed Ghannouchi, hat
> seinen Rücktritt erklärt. Sein Nachfolger steht bereits fest.
(IMG) Bild: Von Erfolg zu Erfolg: Demonstranten in Tunis.
MADRID taz | Der Chef der tunesischen Übergangsregierung, Mohammed
Ghannouchi, hat auf einer Pressekonferenz am Sonntagmittag in Tunis seinen
Rücktritt erklärt. Ghannouchi hatte über elf Jahre lang bereits unter dem
am 14. Januar 2011 gestürtzten Diktator Zine El Abidine Ben Ali als
Regierungschef gedient. Als Nachfolger des zurückgetretenen
Ministerpräsidenten Mohammed Ghannouchi wurde am Sonntagabend der Jurist
Béji Caïd Essebsi ernannt.
Der Rücktritt kommt nach Massenprotesten gegen ihn und für die Wahl zu
einer verfassungsgebenden Versammlung am Wochenende. "Veschwinde
Ghannouchi", riefen über 100.000 Protestierende, die aus dem ganzen Land in
die Hauptstadt gereist waren. Ghannouchi beschuldigte "verschiedene
Parteien", ihn nicht arbeiten zu lassen. "Ich bin nicht bereit
Entscheidungen zu treffen, die zu Toten führen", erklärte er den Grund für
seinen Rücktritt und zog damit die Konsequenz aus einem erneuten Aufflammen
der Gewalt.
Tunesiens Polizei war das ganze Wochenende über gewaltsam gegen
Demonstranten vorgegangen. Am Samstag kamen dabei in Tunis drei
Demonstranten ums Leben. Ein Dutzend Menschen wurde zum Teil schwer
verletzt, über 100 wurden festgenommen. Auch im Landesinneren, in der Stadt
Kasserine, die bereits vor dem Sturz von Ben Ali unter starker Repression
litt, kam es zu gewaltsamen Zusammenstößen zwischen Polizei und
Ghannouchi-Gegnern.
Der erneute Ausbruch der Gewalt begann am Freitag kurz vor 19 Uhr. Völlig
überraschend griff die Polizei eine Zehntausende zählende Demonstration auf
der Avenue Habib Bourguiba an. Vor dem Innenministerium gab die Polizei
Warnschüsse ab und schoss Tränengas in die Demonstration, die bis dahin
festliche Züge hatte. Weit über 100.000 Menschen waren stundenlang durch
die Stadt gezogen, um die Wahl einer verfassungsgebenden Versammlung
einzufordern. Die Demonstranten verbrüderten sich mit den Soldaten, die vor
dem Innenministerium und vor der französischen Botschaft seit dem Sturz Ben
Alis aufgezogen sind. Junge Menschen stiegen mit libyschen Fahnen auf die
Wasserwerfer.
Als die Polizei angriff, änderte sich die Szene schlagartig. Die gesamte
Flaniermeile und deren Seitenstraßen versanken im Tränengasnebel.
Jugendliche errichteten Barrikaden und steckten sie in Brand. Auch in der
Kasbah, vor dem Sitz Ghannouchis, griff die Polizei die Demonstranten an.
Auf dem Platz am oberen Ende der arabischen Altstadt sind seit mehr als
einer Woche Tausende Menschen zu einem permanenten Sit-in versammelt. Um
weitere Proteste vor dem Innenministerium zu verhindern, hat die Polizei
mittlerweile die Avenue Bourguiba für Pkws und Fußgänger gesperrt.
Ghannouchi kündigte an, dass die Regierung noch vor Mitte Juli erste freie
Wahlen abhalten werde. Ob es sich dabei um Parlamentswahlen handeln wird,
wie die Demonstranten fordern, oder um Präsidentschaftswahlen - was großen
Teile der Bevölkerung aus Angst vor einem neuen starken Mann im Staate
ablehnen - ließ er offen. Gegenüber einer sechsköpfigen Delegation von
Bürgerrechtlern unter Leitung der bekannten Oppositionellen Sihem
Bensedrine versprach Ghannouchi, dass die Übergangsregieurng noch vor dem
1. März zur Frage einer verfasungsgebenden Versammlung Stellung beziehen zu
wollen.
"Das Land steht vor einer echten Vertrauenskrise", warnt die Tageszeitung
Le Temps und empfiehlt "eine echten Denkprozess aller politischen und
sozialen Kräfte, um eine Lösung zu finden, die eine Explosion der Lage
verhindert und den Erwartungen des Volkes gerecht wird."
27 Feb 2011
## AUTOREN
(DIR) Reiner Wandler
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