# taz.de -- Feminismus in Tunesien: Die Frauen der Revolution
       
       > Sie gelten als stark, modern und selbstbewusst - tunesische Frauen haben
       > die Macht des Autokraten aller Autokraten aktiv bekämpft. Nun lassen sie
       > sich nichts mehr wegnehmen.
       
 (IMG) Bild: "Die Liebe zur Demokratie ist die Liebe zur Gleichheit": Eine Tunesierin fordert Gleichberechtigung - gemeinsam mit Montesquieu.
       
       TUNIS taz | Die Proteste auf den Straßen von Tunis enden nicht. Am Sonntag
       trat auf Druck der Straße, darunter viele junge Frauen, der Premierminister
       der Übergangsregierung Mohammed Ghannouchi, ein Mann des alten Regimes,
       zurück. Der neu nominierte Premierminister, Béji Caïd Essebsi, gilt unter
       Frauen als laizistischer Politiker.
       
       "Das ist ein gutes Omen", sagt Emna Ben Miled, Frauenforscherin und
       Mitbegründerin eines Masterstudiengangs in Frauenforschung. "Denn auch der
       Verantwortliche der Verfassungskommission Ben Achour ist laizistischer
       Überzeugung und will das Prinzip der Geschlechtergleichheit in der
       Verfassung verankern."
       
       Seit dem 14. Januar ist die tunesische Öffentlichkeit weiblicher geworden.
       In Radio, Fernsehen oder Zeitungen sind bekannte Feministinnen wie Sana Ben
       Achour, Vorsitzende der Vereinigung Demokratischer Frauen, Noura Borsali,
       Khadija Cherif, Bochra Belhaj Hmida, Neila Jrad jetzt gefragte
       Gesprächspartnerinnen. Was sie über Religion und Politik denken, ob ihnen
       die Islamisten Angst machen, wie ihre Haltung zum Schleier ist.
       
       Sichtbar mischen sich Feministinnen ins revolutionäre Geschehen ein, bei
       Diskussionen über Islam und Laizität, über Verfassung und Politik, sie
       schreiben Manifeste, die junge Generation ist im Netz unterwegs,
       informiert, diskutiert, verbreitet Petitionen. Überwachung, Verbot von
       öffentlichen Aktionen, polizeiliche Willkür - das war der Alltag
       tunesischer Feministinnen in den Jahrzehnten der Diktatur.
       
       "Bis zur Revolution haben wir in gewisser Weise unsichtbar gearbeitet",
       sagt Emna Ben Miled, "die herrschende Macht hat uns keine soziale
       Sichtbarkeit gestattet. Das war auch so, als wir vor zwei Jahren die
       feministische Universität, immerhin mit UN-Geldern finanziert, eröffnet
       haben. Wieder stand der Polizeibus mit den schwarz Uniformierten vorm Tor.
       Sogar das Schild mit der Aufschrift 'Frauenuniversität' konnten wir erst
       nach dem 14. Januar anbringen."
       
       ## 
       
       "Es geht jetzt konkret darum", erklärt Emna Ben Miled, die bei den Femmes
       Démocrates aktiv mitarbeitet, "im neuen Tunesien das umzusetzen, woran
       Frauenrechtlerinnen seit Langem arbeiten. Dazu gehöre die Reform des
       Erbrechts auf der Basis von Geschlechtergleichheit genauso wie die
       rechtliche Verankerung der Gleichheit von Männern und Frauen in einer
       tunesischen Verfassung. Gewalt gegen Frauen stehe noch immer im Fokus, da
       muss ein Rahmengesetz her, das effektiveres Handeln ermöglicht. "Ein erster
       sichtbarer Schritt könnte die Streichung der tunesischen Vorbehalte in den
       unterzeichneten internationalen Konventionen zur Beseitigung jeglicher
       Diskriminierung von Frauen durch die jetzige Übergangsregierung sein", sagt
       Emna Ben Miled
       
       Bei der neuen Frauenministerin Lilia Labidi, selbst Frauenforscherin und
       eine der beiden Frauen in einer mehr als zwanzigköpfigen
       Übergangsregierung, müssten diese Forderungen auf offene Ohren treffen. Vor
       einigen Tagen war die Vereinigung demokratischer Frauen (ATFD) bei Lilia
       Labidi und hat nachdrücklich an die Notwendigkeit erinnert, Reformen für
       die Rechte der Frauen verstärkt fortzuführen.
       
       Schon seit den 1920er Jahren setzten sich Pionierinnen der
       Frauenemanzipation in Tunesien öffentlich für die Rechte der Frauen und
       gegen deren gesellschaftlichen Ausschluss ein. Nach der Unabhängigkeit 1956
       wurde die UNFT (Union Nationale des Femmes Tunisiennes) als staatliche
       Frauenorganisation gegründet.
       
       Eine autonome Frauenbewegung entwickelte sich seit Ende der 1970er Jahre.
       Die zwei unabhängigen feministischen Vereinigungen ATFD (Tunesische
       Vereinigung demokratischer Frauen) und AFTURD (Vereinigung tunesischer
       Frauen für Forschung und Entwicklung) wurden 1989 zugelassen. Das
       Engagement unabhängiger Feministinnen wurde vom Staat immer wieder
       behindert und eingeschränkt. Doch die Emanzipation der tunesischen
       Mittelschichtsfrauen ist sicher auch ein Erfolg dieser Bewegungen.
       
       Für viele junge Frauen sind die erlangten Rechte eine
       Selbstverständlichkeit. "Ich bin frei, fühle mich frei", sagt Azza Lamine,
       die 25-jährige Softwarespezialistin. "Ich brauche nicht auf die Straße zu
       gehen, um für unsere Freiheit als Frauen zu demonstrieren." Früher habe sie
       sich in die Politik nicht eingemischt. Die Videos über die brutalen
       Gewalteinsätze im Landesinneren, die Bilder der Toten in Thala, Kasserine,
       Gafsa haben sie aufgerüttelt.
       
       Am 14. Januar ging sie zum ersten Mal in ihrem Leben, zusammen mit
       Freundinnen und "viel Angst im Bauch", zu einer Demonstration, um den
       Diktator zu verjagen. "Jetzt will ich wissen, was die Übergangsregierung
       macht, ich informiere mich über Parteien und Vereine. Früher war das fast
       ein Tabuthema. Ich sehe aber keine Partei, die mich besonders interessiert.
       Da wird viel geredet. Aber was ist mit der Zukunft, was ist euer Programm?
       Ich beobachte alles mit kritischen Augen und möchte gern etwas Neues für
       die junge Generation hinzufügen."
       
       ## 
       
       Selma Ammar, die 27-jährige Erdölingenieurin, war auf einem Meeting der
       Partei von Nejib Chebbi, der jetzt Minister für regionale Entwicklung ist.
       "Die Parteivorsitzende Maya Jeribi hat mir gefallen. Vielleicht kann ich
       die im Wahlkampf unterstützen. Mal sehen", sagt sie. Auch die 30-jährige
       Ärztin Soukaina Ouerdi interessiert sich jetzt mehr für Politik. Sie
       findet, dass in der Übergangsregierung ganz gute Leute sitzen. "Es stimmt,
       da sind nicht so viele aus der jungen Generation wie der Blogger Slim
       Amamou, der jetzt Staatssekretär ist. Wir Jungen brauchen noch etwas Zeit,
       glaube ich, um in die Politik hineinzuwachsen. Und sollte man versuchen,
       uns Frauen etwas wegzunehmen, bin ich wieder auf der Straße."
       
       Dem Aufruf von Feministinnen zum Marsch der Zivilgesellschaft sind Selma
       Ammar, Azza Lamine und Soukaina Ouerdi nicht gefolgt. "Meine Mutter ist
       dorthin gegangen", sagt Soukaina. Tunesische Feministinnen wollen, dass
       sich die laizistische Richtung bei den ersten freien Wahlen in Tunesien
       durchsetzt. "Da liegt viel Arbeit vor uns", sagt Emna Ben Miled: "Nicht nur
       unter Ben Ali, auch unter Bourguiba ist uns eine 'culture de citoyenneté'
       (zivilgesellschaftliche Kultur) verweigert worden. Seit der Revolution
       sprechen und handeln Menschen zusammen, und viele sind bereit zu hören, was
       'citoyenneté' bedeutet." Ben Miled hält eine Weiterbildung in
       zivilgesellschaftlichem Denken - sie nennt es "recyclage des citoyens", für
       erforderlich, bevor Wahlen stattfinden können.
       
       Samstag, 26. Februar. Um die Statue Ibn Khaldoun im Zentrum von Tunis hat
       sich - wie so oft in letzter Zeit - eine große Menschentraube gebildet.
       Spruchbänder werden hochgehalten: " Für eine demokratische, laizistische
       Republik" - "Gleichheit, erste Priorität" - "Nein zu Obskurantismus, ja zu
       Modernität". Frauen und Männer aus der Zivilgesellschaft sind dem Aufruf
       für ein laizistisches Tunesien zu Tausenden gefolgt. "Nein zur
       Diskriminierung. Alle sind gleich in dieser Nation. Gleichheit, Freiheit,
       Brüderlichkeit. Auch die Minoritäten müssen vertreten sein."
       
       Als Rached Ghannouchi, Chef der islamischen Ennahdha, nach zwanzig Jahren
       Exil zurückkehrt, gab es auf Facebook einen Aufruf, ihn im Bikini am
       Flughafen zu begrüßen. Ein paar Feministinnen sind gekommen - nicht im
       Bikini, aber mit Plakaten, die man ihnen aus den Händen reißt." Wir haben
       keine Angst vor den Islamisten", sagt Sana Ben Achour, "denn wir haben ein
       außergewöhnliches Potenzial an Menschen in unserem Land, das bewiesen hat,
       dass es eine Diktatur zu Fall bringen kann. Und wir befreien uns nicht aus
       der einen Diktatur, um uns in einer anderen wiederzufinden." Fragt man
       Frauen, was sie von der Rückkehr der Islamisten auf die politische Bühne in
       Tunesien halten, ähnelt ihre Antwort häufig der von Sana Ben Achour. Das
       Vertrauen in die eigene Kraft ist in der Revolution mächtig gewachsen.
       
       1 Mar 2011
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Renate Fisseler
       
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