# taz.de -- Michail Gorbatschow: Ein einsamer Geburtstag
       
       > Der große Reformer des Ostblocks wird 80. Jetzt ehrt ihn eine
       > Fotoausstellung in Moskau. Doch die Russen machen darum einen Bogen und
       > schauen sich lieber Pelze an.
       
 (IMG) Bild: Gorbatschow: In Russland wird er als Handlanger des Westens angesehen.
       
       MOSKAU taz | Geduldig warten die Menschen in der langen Schlange vor der
       Manege, der ehemaligen Offiziersreitschule der Zaren in Moskau. Minus 15
       Grad zeigt das Thermometer. Anlässlich des 80. Geburtstags Michail
       Gorbatschows bringt die zur Mehrzweckhalle umfunktionierte Manege eine
       Fotoausstellung zu Ehren des letzten Generalsekretär der KPdSU. Die
       fröstelnden Besucher zieht es indes woandershin. Sie warten auf Einlass zu
       den Parallelveranstaltungen "Honig aus allen Teilen Russlands" und "Die
       neue Pelzmode".
       
       Bei Gorbatschow herrscht kein Andrang. Der Reformer, der in den 1980er
       Jahren die Welt veränderte, hat im eigenen Land noch immer einen schweren
       Stand. Die Gesellschaft ist gespalten. Nur eine kleine Minderheit schätzt
       den Schöpfer von Perestroika (Umbau) und Glasnost (Offenheit). Formeln, mit
       denen er die Reformen des siechenden sozialistischen Systems einleitete und
       in der Welt eine Gorbimanie auslöste. Mit dem kommunistischen Funktionär
       betrat nach Jahrzehnten erstmals wieder ein Russe die internationale Bühne,
       den man nicht fürchten musste.
       
       Mit dem Plädoyer für ein "Neues Denken" und die Errichtung eines
       "Gemeinsamen Hauses Europa" machte er zunächst auch die westlichen Eliten
       stutzig. Der Kalte Krieg wirkte in den Köpfen fort, das Misstrauen saß
       tief. Nicht zuletzt waren die Russen im Propagandakrieg erfahren und
       erfolgreicher als in der Planwirtschaft und bei der Herstellung von
       Taschenlampen.
       
       Inzwischen ist Gorbatschow im Westen einer der wenigen, wenn nicht gar der
       einzige Russe, dem man noch zuhört, wohlgesinnt und ohne Hintergedanken.
       Michail Sergejewitsch ist ein hochdotierter Gastredner, wohl auch, weil man
       sich im Westen nachträglich für die friedliche Grablegung des Kommunismus
       bedanken will. Russland hat es ihm nicht verziehen, dass er die Drohgestalt
       des gepanzerten Russen im Westen und im sowjetischen Herrschaftsbereich
       demontierte.
       
       Achtung genießt zu Hause vor allem, wer Macht verkörpert und sie auch
       einsetzt. Opfer, auch die eigenen, spielen in dieser Weltsicht keine Rolle.
       Mit der Veränderung ebendieses Menschenbildes war der Generalsekretär 1985
       angetreten. Das militarisierte System verweste und hatte den Konnex zu den
       Menschen verloren. Gorbatschow ging unterdessen ins Volk und hörte zu. Die
       Untergebenen waren dies von den Apparatschiks nicht gewohnt. Er ließ
       politische Häftlinge wie den Friedensnobelpreisträger Andre Sacharow frei
       und verhalf Bürgerrechten zum Durchbruch. Freies Wort und freie Presse,
       Glasnost, fegten über das Land hinweg und unterspülten jeden Tag die Säule
       der Einparteienherrschaft weiter.
       
       Der Reformer, der angetreten war, dem Sozialismus ein menschliches Antlitz
       zu verleihen, war bald nicht mehr in der Lage, den Prozess zu steuern.
       Einen Plan besaß der Sohn einer kleinbäuerlichen Kosakenfamilie nicht, nur
       die Intuition für den unausweichlichen Kollaps. Kapitalismus nach
       westlichem Muster peilte er nicht an, als er mehr Freiheit verhieß. "Ich
       bin ein Produkt des Systems", sagt er offen von sich. Aber "immerhin die
       schönste Blüte, die auf dem Kompost der Nomenklatura gewachsen ist",
       entgegnete einst der sowjetische Ministerratsvorsitzende Nikolai Ryschkow.
       Sein früherer Chef hätte "die maßlose Vorliebe, vor jeder Entscheidung
       unzählige Meinungen einzuholen". Gorbatschow öffnete den Eisernen Vorhang
       und entließ die eingesperrten Völker.
       
       Die meisten können damit etwas anfangen. Russland tut sich schwer. Davon
       zeugen auch zahlreiche Schmähungen im Gästebuch der Ausstellung, die
       "Gorbi" zum "Verräter" und "Handlanger des Westens" stempeln. Auch der
       Gouverneur Alexander Tkatschow, Gastgeber der Olympischen Winterspiele
       2014, schlug vorm Jubiläum in die gleiche Kerbe: Gorbatschow sei der "beste
       aller Deutschen", der die "schlimmste geopolitische Katastrophe der
       Gegenwart und unwiederbringliche Verluste" verursacht hätte.
       
       Ohne Körper und Rüstung des Imperiums gelingt der Elite die Menschwerdung
       nicht. Der Reformer war vor 25 Jahren weiter. Zuletzt ging er auf Distanz
       zum System Putin. Kein Wunder, denn die Staatspartei Einiges Russland
       erinnere ihn an "eine schlechte Kopie der KPdSU", sagte der ehemalige
       Generalsekretär, der nicht glauben will, "dass wir Russen zur Diktatur
       verdammt sind". Russland befindet sich wieder dort, wo Gorbatschow einst
       angefangen hat.
       
       2 Mar 2011
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Klaus Helge-Donath
       
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