# taz.de -- Debatte Gülen-Bewegung: Konservative Integration
       
       > Die sogenannte Gülen-Bewegung hilft frommen Muslimen beim
       > Bildungsaufstieg. Auch in Deutschland betreibt sie Privatschulen - und
       > ruft Argwohn hervor.
       
 (IMG) Bild: "Undressing" von Nilbar Güres, im Schaufenster der Galerie Rampa in Istanbul.
       
       Die einen warnen vor der Gülen-Bewegung als der "einflussreichsten
       politisch-religiösen Geheimorganisation in der Türkei", so die
       Islamkritikerin Necla Kelek. Andere dagegen loben die Bildungseinrichtungen
       und Schulen dieser muslimischen Bewegung, die insbesondere türkischen
       Kindern und Jugendlichen einen erfolgreichen Bildungsweg ermöglichen. Die
       Bewegung wird nach dem muslimischen Prediger und Islamgelehrten Fethullah
       Gülen benannt, der zurzeit in den USA lebt. Es bejaht die säkulare
       Gesellschaft und fordert dazu auf, diese mitzugestalten - vor allem aber,
       in ihr Erfolg zu haben. Das hat Gülen und seine Schulen unter konservativen
       Muslimen populär gemacht.
       
       Islamische Privatschulen, die von seinen Anhängern betrieben werden, finden
       sich inzwischen fast überall auf der Welt. Ausgehend von der Türkei, haben
       sie sich zuerst in den Turkrepubliken der ehemaligen Sowjetunion
       verbreitet. Und als die türkischen Militärs 1997 mit einem "sanften"
       Staatsstreich die Regierung des Islamisten Necmettin Erbakan zwang, den
       religiösen Einfluss im Land zurückzudrängen und Mädchen mit Kopftüchern aus
       Schulen und Universitäten zu verbannen, wich die Bewegung, gestützt auf die
       türkische Diaspora, in die USA, nach Australien und Europa aus. Auch in
       Deutschland wurden seitdem private Grund- und Realschulen sowie Gymnasien,
       die der Bewegung nahestehen, gegründet.
       
       ## Englisch- statt Koranunterricht
       
       Die Gülen-Bewegung sei eine "Sekte mit Konzernstrukturen", warnt Necla
       Kelek. Aber sieht so eine Sekte aus? Die Unterrichtssprache an den
       Gülen-Schulen ist selbstverständlich Deutsch. In den Gymnasien wird
       Englisch als erste Fremdsprache angeboten, als zweite Fremdsprache kann
       Türkisch oder Französisch gewählt werden. Religion wird in den Schulen
       nicht unterrichtet. Es herrscht eine Atmosphäre, die Lern- und
       Leistungsbereitschaft fördert. Die überwiegend deutschen Lehrer sind
       engagiert und können sich in den bislang noch relativ kleinen Klassen um
       die einzelnen Kinder kümmern.
       
       In Berlin-Spandau zum Beispiel wird das Gülen-Gymnasium von zwei deutschen
       Frauen geleitet - Frauen in leitenden Funktionen sind in der Gülen-Bewegung
       überhaupt keine Ausnahme. Auf dem Schulhof sieht man zwar mehr Mädchen mit
       Kopftuch als ohne, aber Letztere stellen eine starke Minderheit. Besuch von
       Journalisten und Politikern bekommt die Schule so häufig, dass das
       Kollegium schon über eine Störung des Unterrichts stöhnt: Das öffentliche
       Interesse - man könnte auch sagen: der Wunsch nach öffentlicher Kontrolle -
       ist groß.
       
       Die Schulämter fanden bislang keinen Grund zur Klage. Trotzdem wird immer
       wieder der Verdacht laut, hinter dem Ganzen stünde eine versteckte Agenda
       der Islamisierung. Dazu muss man die Herkunft dieser Bildungsbewegung
       kennen: Einst waren es fromme Kleinunternehmer aus der Osttürkei, die zu
       bescheidenem Wohlstand gelangt waren und Aufstiegswünsche für ihre Kinder
       entwickelten, die die Basis der Gülen-Bewegung bildeten. Auch in
       Deutschland ist es heute vor allem die untere türkische Mittelschicht im
       Berliner Wedding, dem Frankfurter Gallus oder dem Hamburger Stadtteil
       Wilhelmsburg, die bereit ist, in diesen Institutionen ein nicht zu knappes
       Schulgeld für die Zukunft ihrer Kinder zu investieren.
       
       ## Brücke zur modernen Welt
       
       Das zeigt: Der Wunsch nach "Bildung, Bildung, Bildung" ist heute auch im
       konservativen, religionsfreundlichen türkischen Milieu angekommen. Diesem
       Anspruch kam Fethullah Gülen mit einer berühmten Parole entgegen: "Moscheen
       haben wir genug, wir müssen Schulen bauen." Die Gülen-Bildungsbewegung ist
       eine Wertegemeinschaft, die eine Brücke zwischen der bäuerlichen,
       traditionsverbundenen Herkunft vieler türkischer Migrantenfamilien und der
       modernen säkularen Welt schlägt, mithin eine konservative
       Modernisierungsbewegung.
       
       Das Misstrauen gegen die Gülen-Schulen speist sich hierzulande aus zwei
       Quellen. Die erste findet sich unter den in Deutschland lebenden Anhängern
       des türkischen Staatsgründers Kemal Atatürk. Die Kemalisten sahen den Islam
       von jeher als potenzielle Gefahr für den türkischen Nationalstaat und die
       Gläubigen als störendes Hindernis auf dem Weg in eine moderne Republik -
       das erklärt ihren Argwohn gegen diese konservative religionsfreundliche
       Bewegung.
       
       ## Umkehrung der Beweislast
       
       Die andere Quelle sind die grundsätzlichen Vorbehalte, die innerhalb der
       deutschen Mehrheitsgesellschaft gegenüber dem Islam bestehen, nach dem
       Motto: Man weiß ja nie, welche Wege plötzlich zu einer gefährlichen und zu
       spät erkannten religiösen Radikalisierung führen. Aus dieser chronischen
       Sorge entsteht die Umkehrung der Beweislast: Der Verdächtige muss seine
       Unschuld beweisen, was nicht nur einen Rückfall in voraufklärerische Zeiten
       bedeutet, sondern auch eine Zumutung darstellt.
       
       Es lohnt sich, das Buch "Muslime zwischen Tradition und Moderne. Die
       Gülen-Bewegung als Brücke zwischen den Kulturen" zu lesen, das jüngst von
       einem jüdisch-christlich-muslimischen Team herausgegeben wurde und im
       Herder-Verlag erschienen ist. Das Buch versammelt Vorträge, die 2009 auf
       der gleichnamigen Konferenz in Potsdam gehalten wurden. Veranstaltet wurde
       sie vom Institut für Religionswissenschaft der Universität Potsdam und dem
       "Forum für Interreligiösen Dialog", das der Gülen-Bewegung nahesteht, in
       Zusammenarbeit mit dem Deutsche Orient Institut, dem Abraham Geiger Kolleg
       und der Evangelischen Akademie.
       
       Bei dem Besuch der Schulen wie bei der Lektüre des Sammelbands entfaltet
       sich ein optimistisches Bild: Weil die Gülen-Bewegung konservativ und
       religionsfreundlich ausgerichtet ist, spricht sie auch diejenigen an, die
       sich bislang der säkularen Moderne verweigerten - und das sind häufig die
       Eltern der heutigen Schüler und Schülerinnen. Weil diese Schulen die
       realistische Möglichkeit eines gelingenden Abschlusses in Aussicht stellen,
       tragen sie auch viel zum Zugehörigkeitsgefühl des Einzelnen bei. Denn von
       der Hoffnung, in dieser Gesellschaft einen Platz zu finden, hängt auch der
       Wille und die Möglichkeit zur Integration ab.
       
       14 Mar 2011
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Elisabeth Kiderlen
       
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