# taz.de -- Fußballer Biermann über Depressionen: "Ich wurde mit Ignoranz behandelt"
       
       > Der frühere Fußballprofi Andreas Biermann leidet an Depressionen und hat
       > ein Buch darüber geschrieben. Nach der stationären Behandlung war seine
       > Karriere beendet.
       
 (IMG) Bild: "Die einen rasten aus, ich bin innerlich abgestumpft" - Andreas Biermann.
       
       taz: Herr Biermann, als ich vor 20 Jahren bei meinem Hausarzt um eine
       Überweisung zum Psychotherapeuten bat, sagte die Frau am Empfang. "In Ihrem
       Alter? Sie sehen doch fröhlich und gesund aus." Kommt Ihnen diese Situation
       bekannt vor? 
       
       Andreas Biermann: So habe ich das nicht erlebt. Ich habe ja auch nicht
       darum gebeten, zum Psychotherapeuten zu gehen. Als ich nach meinen beiden
       Suizidversuchen beim Arzt war und meine Geschichte erzählt habe, kam
       allerdings niemand auf die Idee, ich könnte unter Depressionen leiden. Das
       erste Mal sah man das als Kurzschlussreaktion auf die Nachricht, ich könne
       keinen Fußball mehr spielen, das zweite Mal als Folge von Spielsucht. Bei
       Ärzten gibt es viel Unwissenheit über Depressionen.
       
       Wann haben Sie das erste Mal selbst daran gedacht, Sie könnten Depressionen
       haben? 
       
       Das war einen Tag nach dem Tod von Robert Enke, als Teresa Enke in einer
       Pressekonferenz die Symptome von Robert und das Zusammenleben mit ihm
       geschildert hat. Mein letzter Suizidversuch lag da gerade drei Wochen
       zurück. Das war so, als ob sie auch mich beschreibt.
       
       Sie gehen in Ihrem Buch so weit zu sagen, damit habe Teresa Enke Ihr Leben
       gerettet. 
       
       Ja, ohne die richtige Therapie ist bei dieser Krankheit die Gefahr groß,
       wieder Suizidversuche zu starten. Durch ihre Offenheit ist es gelungen,
       Leute wie mich aufzuklären und wachzurütteln. Ich bin anschließend sofort
       für 58 Tage zur stationären Behandlung in die Klinik gegangen.
       
       Der erste Bundesliga-Fußballer, dessen Depressionen bekannt wurden, war
       Sebastian Deisler. Mit ihm haben Sie bei Hertha BSC zusammengespielt und
       sich auch nachher mit seiner Biografie beschäftigt. Sind Sie damals nicht
       auf die Idee gekommen, dass Ihr Leiden das gleiche sein könnte? 
       
       Im Fall Sebastian Deisler war es ja nicht so, dass über die Krankheit
       aufgeklärt wurde. Es wurde zwar der Begriff Depression genannt, aber ich
       habe nichts darüber erfahren, was das genau ist, welche Symptome es da
       gibt. Auch in seinem Buch nicht.
       
       Sie schildern dennoch, dass Sie früh eine Art Seelenverwandtschaft zu ihm
       empfunden haben. Worin bestand die? 
       
       In diesem ewigen Verletzungspech und dem Zwang, sich immer wieder
       rankämpfen zu müssen. Wie er immer wieder zurückgekommen ist - das habe ich
       mir als Vorbild genommen.
       
       Im Buch versuchen Sie, Ihren Krankheitsverlauf bis in die Kindheit
       zurückzuverfolgen. 
       
       Durch die Therapie habe ich gelernt, dass es sehr ungesund war, mit
       niemandem darüber zu reden, was mir widerfahren ist. Das haben wir in
       unserer Familie nicht gelernt. Ich musste die Sachen mit mir selbst
       ausmachen, aber irgendwann ist das Maß voll. Die einen rasten dann aus, ich
       bin innerlich abgestumpft. Ohne viele Gefühle zu empfinden. Schon gar kein
       Selbstwertgefühl.
       
       Das dominierende Bild für Ihre Außenseiterposition in der Kindheit ist der
       "Pumuckl aus Spandau", der mit seinem roten Feuerschopf von allen
       verspottet wird. Später haben Sie Ihre roten Haare oft versteckt. Jetzt
       präsentieren Sie im Innenband des Buches selbstbewusst Ihr
       Konfirmationsfoto. 
       
       Mit Selbstbewusstsein hat das nichts zu tun. Ich wollte einfach ein Bild
       aus der Zeit drin haben, weil man dadurch einiges versteht. Für das
       Selbstwertgefühl wäre es wohl besser gewesen, es nicht reinzunehmen. Aber
       nach dem Lesen werden wahrscheinlich sowieso die wenigsten Leser
       menschlichen Respekt vor mir haben. Es ist eben keine Geschichte, wo man
       sagen muss: Das ist ein toller Mensch.
       
       Das sehe ich anders. Warum haben Sie das Buch geschrieben, wenn Sie mit
       solchen Reaktionen rechnen? 
       
       Ich wollte anfangs sicher nicht das Ende meiner Karriere beschreiben,
       sondern den Leuten einen Beweis in die Hand geben, dass man trotz
       Depressionen Leistungssport betreiben kann. Dass die Entwicklung dann eine
       andere war, ist ärgerlich. Trotzdem zeigt es hoffentlich vielen Leuten, wie
       wichtig es ist, zu ihrer Krankheit zu stehen.
       
       Welches Männerbild haben Sie im Profisport kennen gelernt? 
       
       Das man keine Schwäche zeigen darf. Dadurch macht man sich angreifbar. Es
       ist halt eine Konkurrenzsituation in der Mannschaft, von 25 können nur 11
       spielen, und da wird dann eben jede Schwäche ausgenutzt, damit man selbst
       spielt.
       
       Bei der Beerdigung von Robert Enke rief DFB-Präsident Theo Zwanziger dazu
       auf, das Kartell der Tabuisierer zu brechen. 
       
       Mit dem Abstand von eineinhalb Jahren kann man mit Gewissheit sagen, dass
       sich nichts geändert hat. Ich habe genau das gemacht, mich zu meinen
       Problemen bekannt. Und ich wurde mit kompletter Ignoranz behandelt. Bis
       heute hat sich niemand vom DFB bei mir gemeldet. Wenn man tatsächlich nach
       Lösungsansätzen sucht, müssten die Betroffenen doch einbezogen werden.
       
       Wie ist man beim FC St. Pauli mit Ihnen umgegangen, als Sie wieder auf dem
       Trainingsplatz standen. 
       
       Vom Trainer Holger Stanislawski wurde ich bestmöglich unterstützt. Er hat
       sich auch für eine vertragliche Lösung eingesetzt, mit der ich hätte leben
       können. Die sah vor, in der 2. Mannschaft zu spielen, eine Jugendmannschaft
       zu trainieren und auf der Geschäftsstelle zu arbeiten. Einen Vertrag für
       die Erste Liga, in die die Mannschaft dann aufgestiegen ist, habe ich ja
       gar nicht gefordert.
       
       Wieso ist es trotzdem zu keiner Lösung gekommen? 
       
       Weil andere Entscheidungsträger nicht dahinterstanden. Ich hatte nach dem
       Klinikaufenthalt in Absprache mit meiner Psychologin darum gebeten,
       möglichst schnell zu wissen, wie es weitergeht. Dann hat man fünf Monate
       gebrauchte, um mir ein Angebot zu machen, bei dem ein Teil des Gehaltes aus
       den Prämien der anderen Spieler finanziert werden sollte. Das konnte ich
       natürlich nicht annehmen und hat mich sehr enttäuscht.
       
       Sie haben die Konsequenz gezogen, Hamburg zu verlassen und leben jetzt
       wieder in Berlin. Führen Sie es auf Ihr Outing zurück, dass Sie keinen
       neuen Verein gefunden haben? 
       
       Ohne das Outing wäre sicher ein normaler Drittliga-Vertrag realisierbar
       gewesen. Bei Vertragsgesprächen zeigte sich immer wieder, dass die
       Verantwortlichen beim Thema Depression ins Grübeln kamen. Ob ich zum
       Beispiel bei Auswärtsspielen mental dem Druck gewachsen bin.
       Dementsprechend sahen dann die Angebote aus, wenn überhaupt noch welche
       kamen. Als Familienvater konnte ich die nicht annehmen.
       
       Ihre Psychologin schildert es fast als Glücksfall, dass Sie durch den
       Verlust Ihrer Perspektive als Fußballspieler dazu gezwungen wurden, sich
       ganz anders mit Ihren Problemen auseinanderzusetzen, als Sie es vorher
       getan hatten. 
       
       Für mich als Mensch definitiv. Ich habe dadurch gelernt, dass ich noch
       andere Talente als Fußball habe. Und dass es vielleicht besser ist, meinen
       Traum, Sportpsychologie zu studieren, schon jetzt anzugehen. Aber trotzdem
       ist eine Wehmut da, weil ich den Sport nach wie vor liebe.
       
       Ihren Schilderungen nach war der Ball bis vor Kurzem Ihr wichtigstes
       Kommunikationsmittel. Haben Sie inzwischen andere Sprachen gelernt? 
       
       Ich arbeite dran. Ich bin inzwischen schon Spezialist darin, meine
       Geschichte zu erzählen, und durch den enormen Zulauf und Zuspruch über
       meine Website habe ich zum Thema Depression wohl einen Erfahrungsschatz wie
       kaum ein anderer. Aber im privaten Bereich bin ich bei Weitem noch nicht so
       weit wie andere, über meine Gefühle zu reden. Ich muss noch lernen,
       zumindest mit meiner Frau und meiner Familie über meine Ängste und
       Schwächen zu reden. Und da arbeiten wir dran.
       
       Wie geht es Ihnen heute? 
       
       Ich bin stabil und habe keine Suizidgedanken mehr. Aber ich bin nach wie
       vor in Behandlung und nehme Antidepressiva. Viele Gefühle kommen langsam
       wieder, gerade im Umgang mit den Kindern. Ich kann wieder Freude empfinden.
       
       16 Mar 2011
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Ralf Lorenzen
       
       ## TAGS
       
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